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# taz.de -- Benins Präsident vor der Wiederwahl: Ein Selfmademan als Staatschef
> Kein Müll mehr auf den Straßen, keine Opposition mehr im Parlament:
> Präsident Patrice Talon hat Benin aufgeräumt. Jetzt will er
> weiterregieren.
Bild: Kein Müll mehr im Zentrum von Cotonou: Präsident Talon hat in der Haupt…
Cotonou taz | Sylvain Hazoume läuft der Schweiß übers Gesicht. Er trägt
einen weißen Bauarbeiterhelm, eine orangefarbene Maske, ein dunkelrotes
Poloshirt und dicke, große Gummihandschuhe mit schmutzig braunen
Handflächen. Bei 30 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von mehr als 80
Prozent leistet er Schwerstarbeit.
Schon seit über sechs Wochen sind Hazoume und Dutzende Kollegen des
staatlichen Abfallbetriebs SGDS-GN in Benins Wirtschaftsmetropole Cotonou
unterwegs und säubern die Rinnsteine. An diesem Tag stehen Straßen im
Viertel Zongo an. Ganz in der Nähe sind Botschaften und Büros
internationaler Organisationen.
Hazoume schaufelt Sand aus dem Rinnstein. Zum Vorschein kommen auch
Plastiktüten und diverser Müll, alles wird später per Lkw abtransportiert.
Autos rauschen dicht an ihm vorbei. Er atmet ständig Abgase ein, steht er
doch knietief im Rinnstein.
Lob gebe es allerdings schon, sagt Hazoume in einer kurzen Pause. „Die
Menschen, die hier wohnen oder arbeiten, bleiben stehen und ermutigen uns,
weiterzumachen.“ Auch er steht hinter seiner Arbeit: „Wir müssen doch in
einem Umfeld leben, das sauber und angenehm ist.“ Dann nimmt er die
Schaufel wieder in die Hand.
In Cotonou werden längst nicht nur Rinnsteine gesäubert. Straßenkehrer sind
unterwegs, Abfalleimer werden aufgestellt. Entlang der großen Straßen
leeren Müllfahrzeuge dreimal pro Woche private Tonnen. Wo sie nicht durch
die engen, sandigen Straßen kommen, sind motorisierte Dreiräder im Einsatz.
In ihrem knalligen Grün fallen sie schon von Weitem auf. Der Service ist
kostenlos.
Im Vergleich zu vielen afrikanischen Metropolen, wo Müllentsorgung kaum
existiert, gibt sich Cotonou mit seinen rund 800.000 Einwohnern damit
sauber, modern und dynamisch. Das Stadtbild wird gründlich umgekrempelt.
Der Flughafen mitten im Zentrum wurde umgebaut. Aus der Marina an der
Meeresküste wurde eine sechsspurige Autobahn. Links und rechts davon
entsteht neben dem Hafen, der bis zu 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
von Benin erwirtschaftet, ein Park. Ein Behördenzentrum soll folgen, und es
gibt ein Startup-Hub: Sèmè City.
## Der „Baumwollkönig“ als Präsident
Für viele Beniner*innen ist die Umgestaltung Cotonous mit einem Namen
verbunden: Patrice Talon. Der 62-Jährige ist [1][seit fünf Jahren
Präsident]. Als er 2016 gewählt wurde, versprach er eine Regierung des
Umbruchs. Das klang plausibel, trat er doch als parteiunabhängiger Bewerber
an.
Gleichzeitig ist er ein Selfmademan, der sein Vermögen – das
Wirtschaftsmagazin Forbes schätzt es auf rund 353 Millionen Euro – vor
allem [2][mit Baumwolle erwirtschaftet hat], Benins Exportgut Nummer eins.
Ein politischer Außenseiter war Talon nie. Er beriet seinen Vorgänger als
Präsident, Boni Yayi, bis er sich 2012 mit ihm überwarf. Talon wurde ein
Vergiftungskomplott vorgeworfen, er ging für drei Jahre nach Frankreich ins
Exil. Dann wurde er begnadigt, kam zurück – und gewann die Präsidentenwahl.
50 Kilometer westlich von Cotonou in Ouidah sagt der einstige
Alphabetisierungsminister Roger Gbégnonvi über Talon: „Ich habe den
Eindruck, dass er dieses Land wie ein Unternehmen führt: Es muss
funktionieren.“ Dazu würden auch radikale und unliebsame Entscheidungen
gehören.
Das stört seine Anhänger*innen nicht. Beim Wahlkampfauftakt in Cotonou
jubeln ihm vor dem Kongresspalast Hunderte zu. Talon genießt die
Aufmerksamkeit. Er wirkt kleiner und unscheinbarer als auf den riesigen
Wahlplakaten. Im weißen Anzug und schwarzem Käppi schreitet er Richtung
Sitzungsaal, faltet die Hände zu einer Dankesgeste.
Flora Agoudavi, eine der Jubelnden, klatscht und strahlt. „Ich will unseren
Präsidenten unterstützen. Das sehe ich als meine Bürgerpflicht.“ Dass er
mit seiner erneuten Kandidatur sein Versprechen von 2016 bricht, nach einem
Mandat von fünf Jahren aufzuhören, stört sie nicht. Flora Agoudavi findet:
„Er muss die Chance bekommen, seine Projekte fertigzustellen.“
Seit dem Wahlkampfauftakt Ende März hängen überall in Cotonou die Plakate
von Patrice Talon und Mariam Chabi Talata – Bewerber*innen um die
Präsidentschaft in Benin treten wie in den USA als Duo an. Von den beiden
anderen Kandidatenteams ist kaum etwas zu sehen. Vor allem sind Alassane
Soumanou und Paul Hounkpè sowie Corentin Kohoué und Iréné Agossa in der
Öffentlichkeit wenig bekannt.
Spitzenkandidat Kohoué gibt im Interview unumwunden zu: „Meine Kandidatur
hat viele überrascht.“ Im Haus seines Vizes Agossa sitzt er in einem
schweren hellgrauen Ledersofa und verweist auf seine politische Erfahrung.
Vor allem aber setzt er auf eine Protestwahl gegen Talon. „Die Menschen
sind doch müde von dieser Diktatur. Selbst jene, die ihm nahe stehen.“
## Opposition wird klein gehalten
Talon hat es geschafft, die Opposition gegen ihn klein zuhalten. Bei der
Parlamentswahl 2019 wurden ausschließlich Talon-freundliche
Parteienbündnisse zugelassen. Einer der bekanntesten Oppositionellen lebt
im Exil, wie Talon früher: Sébastian Adjavon, der als Geschäftsmann mit dem
Handel von Fisch und Geflügel ein Millionenvermögen erwirtschaftet hat.
Als Dritter der Präsidentenwahl 2016 unterstützte er in der anschließenden
Stichwahl noch Talon. Im gleichen Jahr wurde in einem Container, der für
sein Unternehmen bestimmt war, Kokain in einem Wert von 18 Millionen Euro
gefunden. 2018 wurde Adjavon zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Er floh
nach Frankreich und erhielt politisches Asyl.
Auch Oppositionelle, die noch in Benin sind, treten am Sonntag nicht an.
Dazu gehört Reckya Madougou, die unter Boni Yayi Ministerin war. Sie wurde
Anfang März verhaftet. Der Vorwurf: Sie würde Terrorismus finanzieren und
wolle die Wahl sabotieren.
Vielen gilt sie als „politische Geisel“ und als eine Person, die Talon
künftig tatsächlich gefährlich werden könnte. Die 46-Jährige ist eloquent,
dynamisch, gut ausgebildet und hat als Beraterin von Togos Präsident Faure
Gnassingbé längst ein Netzwerk innerhalb der Region.
Dass die Wahlkommission von 20 Kandidat*innen nur Talon und 2 weitere
zur Wahl zugelassen hat, liegt am neu eingeführten System der Patenschaft.
Jede Kandidatur muss von 10 Prozent der Bürgermeister oder
Parlamentarier*innen befürwortet werden. Da im Parlament aufgrund
dieses Systems nur noch zwei Parteien sitzen, die beide Präsident Talon
nahestehen, ist das für Oppositionelle schwierig.
Das Interesse der Bevölkerung an Wahlen ist entsprechend gering, Talons
Wiederwahl gilt als sicher. Auch die Kommunalwahl 2020 interessierte kaum.
Benin war 1990 eines der ersten Länder Afrikas, das vom Einparteienstaat
zur Mehrparteiendemokratie fand, aber nach gut 30 Jahren nimmt die
Demokratie zunehmend autoritäre Züge an.
## Das bessere Leben ist noch weit weg
Im Viertel Menontin ganz in der Nähe des Stadions steht Monique Adinou vor
dem Eingang einer Schule unter einem Baum im Schatten. Sie muss gegen den
Lärm der Grundschüler*innen ansprechen. Die 40-Jährige hat selbst vier
Kinder im Alter von 8 bis 20 Jahren, die alle noch zur Schule gehen. Um
deren Schulgeld aufzubringen, verkauft sie seit fünf Jahren jeden Tag
Joghurt und Maniokbrei.
An guten Tagen wirft das einen Gewinn von etwas über 3 Euro ab. „Viel ist
das nicht, aber irgendetwas muss ich machen“, sagt die dünne Frau auf Fon,
der am weitesten verbreiteten Sprache im Süden Benins.
Ansonsten fühlt sich Monique Adinou ziemlich alleine gelassen, da sie keine
andere Unterstützung bekommt. Von den neuen und ausgebesserten Straßen in
Cotonou profitiert zwar die ganze Bevölkerung. Bessere Wohnbedingungen für
jene mit wenig Geld sind aber nicht entstanden.
Ein Grund, am Sonntag gegen den Amtsinhaber zu stimmen, sei das allerdings
nicht, findet Monique Adinou: „Er wird zwar viel kritisiert. Die Dynamik,
die er entfacht hat, muss aber erhalten bleiben.“
7 Apr 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Katrin Gänsler
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