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# taz.de -- SPD-Chef zu Waffenlieferungen: „Es gibt keine roten Linien“
> Lars Klingbeil verteidigt Olaf Scholz’ Haltung bei den Leopard-2-Panzern.
> Eine Eskalation des Kriegs durch deren Lieferung hält er für
> unwahrscheinlich.
Bild: Umkämpfte Panzer: Blick aus einem Leopard-2-Panzer bei einer Militärüb…
taz: Herr Klingbeil, Polen hat einen Antrag auf die Ausfuhr von
Leopard-Panzern an die Ukraine gestellt. Kann Olaf Scholz noch nein sagen?
Lars Klingbeil: Die Bundesregierung wird darüber entscheiden. Da gibt es
klare Verfahren.
Will die SPD denn Kampfpanzer an die Ukraine liefern?
Die Haltung der SPD bleibt: Es gibt keine roten Linien, was die Lieferung
von Waffen angeht. Aber: Wir besprechen uns mit unseren Partnern und
brechen nicht aus internationalen Bündnissen aus.
Deutschland will erst Kampfpanzer liefern, wenn die USA eigene
Abrams-Panzer zur Verfügung stellen …
Dieses Junktim kenne ich nicht. Aber wir sind sehr froh, dass wir die
Amerikaner an unserer Seite haben. Jeder, der behauptet, wir könnten heute
ohne die USA unsere Sicherheit gewährleisten, irrt.
Deutschland steht [1][weniger an der Seite der USA als dahinter.] Zuerst
sollen die USA Waffen liefern, dann folgt Deutschland. So war es bei
Schützenpanzern und Patriots, bei den Kampfpanzern scheint es genauso zu
sein. Reicht das?
Wenn ich mir anschaue, welche Waffensysteme wir bereits liefern, dann kann
man wirklich nicht behaupten, dass wir uns hinter irgendwem verstecken. Wir
sind mit den USA und Großbritannien der drittgrößte Unterstützer der
Ukraine. Scholz und Biden stimmen sich sehr eng ab. In Ramstein haben wir
zusätzlich militärische Unterstützung in Höhe von 1,1 Milliarden Euro auf
den Weg gebracht. Die Zeit der Zurückhaltung ist seit dem 24. Februar
definitiv vorbei.
Warum [2][zögert Scholz] dann bei der Lieferung von Leopard-Panzer?
Es geht darum, abzuwägen. Es ärgert mich wahnsinnig, dass diese sorgfältige
Abwägung in der verkürzten Debatte als ein Abrücken von der Ukraine
dargestellt wird. Dem ist nicht so. Natürlich muss sich der Bundeskanzler
die Frage stellen, welche Konsequenzen die Lieferung von Kampfpanzern haben
kann. Das erwarte ich sogar von einem Regierungschef.
Halten Sie eine [3][Eskalation] des Krieges durch die Lieferung von
Kampfpanzern für wahrscheinlich?
Nein, das halte ich für unwahrscheinlich. Aber es ist richtig, diese Frage
im Bundeskanzleramt zu durchdenken. Genauso richtig ist es, dass kein Land
alleine vorprescht. In den USA gibt es übrigens gerade ähnliche Debatten
wie bei uns.
Rolf Mützenich hat im Gespräch mit der taz gesagt, er befürchte jeden Tag,
dass der Krieg zu einer direkten Konfrontation zwischen Russland und der
Nato eskaliert. Teilen Sie diese Befürchtung?
Ich habe keine Angst. Wir lassen uns von Putin nicht einschüchtern. Olaf
Scholz hat durch seinen Besuch in Peking und durch sein Agieren zusammen
mit Joe Biden auf dem G20-Gipfel dazu beigetragen, dass die atomare
Bedrohung massiv abgenommen hat.
Warum?
Putin hat verstanden, dass er wichtige Bündnispartner wie die Chinesen
verlieren würde, wenn er diese Grenze überschreitet. Olaf Scholz trägt als
Bundeskanzler die Verantwortung in dieser historischen Situation – und
nicht jene, die ständig auf Twitter oder in Talkshows kluge Ratschläge
geben. Und noch eine zweite Sache möchte ich mit Ihnen teilen: Ich stelle
immer wieder fest, dass im politischen Berlin ganz andere Diskussionen
geführt werden als im Rest des Landes. Bei Veranstaltungen wird die Furcht,
in den Krieg verwickelt zu werden, häufiger an mich herangetragen als die
Forderung, noch mehr Waffen zu liefern. Und dennoch bin ich dafür, die
Ukraine weiter mit Waffen zu unterstützen. Die Ukraine braucht Waffen, und
auch Geländegewinne, für die Verhandlungen, die irgendwann kommen werden.
Sollte Deutschland die ukrainische Armee bei der Rückeroberung der Krim
unterstützen?
Wir unterstützen ja mit der Lieferung von Waffen, damit die Ukraine ihre
territoriale Integrität verteidigen kann. Russland hat auf ukrainischem
Boden nichts verloren. Putin muss seine Soldaten abziehen. Das muss das
Ziel sein. Die Entscheidung, ab wann verhandelt wird, fällt aber die
Ukraine.
Nicht der Westen?
Nein.
Was heißt das für die militärische Unterstützung. Liefert Deutschland
irgendwann auch Kampfflugzeuge?
Was der Bundeskanzler mit den internationalen Partnern abspricht, wird die
SPD mittragen. Olaf Scholz hat wie viele andere aber schon sehr früh
ausgeschlossen, dass Kampfflugzeuge geliefert werden.
Also doch eine rote Linie – keine Kampfflugzeuge?
Gerade steht die Entscheidung zu Kampfpanzern an.
Deutschland soll international eine Führungsrolle übernehmen. Aber nicht
bei der Lieferung von Kampfpanzern. Ist das kein Widerspruch?
Nein. Die Frage der Führungsrolle macht sich nicht an einem Waffensystem
fest. Wir sind der drittgrößte Lieferant von Waffen für die Ukraine. Und
der größte europäische Geldgeber. Olaf Scholz ist trotz Kritik nach China
gefahren. Er hat den G20-Gipfel mit Joe Biden so organisiert, dass die G20
sich gegen Russland stellen. Er ist nach Kyjiw gefahren und hat dort
gefordert, dass die Ukraine in die EU aufgenommen wird, und für den
Beschluss im Europäischen Rat gesorgt. Das ist Führung.
Soll Berlin die Aufnahme der Ukraine in die EU vorantreiben?
Bei der politischen Begleitung kann Deutschland in der EU die Führung
übernehmen. Und dafür sorgen, dass dieser Beitritt durch die Brüsseler
Bürokratie nicht auf die lange Bank geschoben wird. Klar ist aber auch, es
gibt klare Kriterien für einen Beitritt.
Der IWF hat 2021 Zahlungen an die Ukraine wegen mangelnder Reformen
storniert. Der EU-Rechnungshof hat 2021 festgestellt, dass zu wenig gegen
Korruption passiere. Ist es nicht wohlfeil zu sagen, die Brüsseler
Bürokratie sei das Problem?
Die Beitrittsverhandlungen müssen nach diesen klaren Kriterien geführt
werden. Es darf keine Ausnahmen geben. Aber wir müssen auch begreifen, dass
auch China und Russland Akteure auf dem Balkan sind. Wir müssen Geopolitik
wieder ernst nehmen und daher das Interesse haben, den Westbalkan, die
Ukraine, Moldau, auch Georgien an uns zu binden. Das muss Deutschland
politisch federführend begleiten. Bis hin zur Mitgliedschaft in der EU. Wo
ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Was war der schlimmste Fehler der SPD in der Russlandpolitik?
Dass wir Willy Brandts richtiges Konzept „Wandel durch Annäherung“ zu
„Wandel durch Handel“ haben verkommen lassen. Wir haben einfach gehofft,
dass wir uns auf Putin verlassen können. Das gilt übrigens nicht nur für
die SPD. Das ist mit dem 24. Februar brutal gescheitert.
Jetzt setzt die SPD auf komplette Entkopplung?
Die hat mit dem 24. Februar faktisch stattgefunden. Wir haben uns
energiepolitisch komplett entkoppelt. Es geht jetzt darum, in dieser
historischen Zeit Sicherheit in Europa vor Russland zu organisieren.
Deshalb die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, der Fokus auf die
Landes- und Bündnisverteidigung, das 2-Prozent-Ziel und die stärkere
Truppenpräsenz der Bundeswehr in Litauen.
In der SPD-Selbstkritik fehlen die Verträge Minsk I und II, also die
Versuche von Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier, nach der
Krim-Besetzung 2014 einen friedlichen Kompromiss zu finden. Waren das
Fehler?
Es war nie ein Fehler zu versuchen, eine diplomatische Lösung zu finden.
Der Fehler war, dass wir uns nicht auf das Szenario vorbereitet haben, das
am 24. Februar 2022 eintrat.
Gehen die Investitionen in die Bundeswehr jetzt schnell genug?
Wir brauchen mehr Tempo bei Rüstungsprozessen. Es dauert zu lange, die 100
Milliarden Euro Sondervermögen auszugeben. Produktionskapazitäten wurden
abgebaut und in der Rüstungsindustrie dauert alles sehr lange. In
Wilhelmshaven haben wir ein LNG-Terminal in 200 Tagen hochgezogen. Diese
neue Deutschland-Geschwindigkeit brauchen wir jetzt auch im
Rüstungsbereich. Dafür müssen Politik, Verwaltung, Industrie an einem Tisch
über Investitionsgarantien und Produktionsstätten reden. Einen Pakt für die
Sicherheit schmieden, damit das Geld schnell bei der Bundeswehr ankommt.
Sie fordern mehr gesellschaftliche Akzeptanz für die Bundeswehr. Was heißt
das? Eine Militärparade Unter den Linden?
Das werde ich nicht vorschlagen.
Also mehr Uniformen im Alltag?
Für mich ist die Uniform im Alltag normal. Ich komme aus Munster, dem
größten Heeresstandort, da sehen Sie überall Uniformen. Aber wenn mir
Soldatinnen und Soldaten berichten, dass sie in Uniform in Zügen angepöbelt
und bespuckt werden, dann ist das nicht akzeptabel.
Es ist mit und ohne Uniform nicht akzeptabel, bespuckt zu werden …
Natürlich! Aber die Person wurde angespuckt, weil sie Soldat ist. Das geht
nicht. Ich unterstütze das öffentliche Gelöbnis vor dem Reichstag. Die
Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, deshalb fände ich es wichtig, dass wir
über Bundeswehrmandate nicht um 21.30 Uhr im Bundestag diskutieren, sondern
in der Primetime. Aber insgesamt ist die öffentliche Akzeptanz der
Bundeswehr seit dem 24. Februar gewachsen. Der Krieg ist wieder Thema bei
den Menschen und damit auch die Bundeswehr.
Brauchen wir für mehr Normalität zwischen Militär und Gesellschaft die
Wehrpflicht?
Nein, ich halte nichts von einem Zwangsdienst. Wir müssen vielmehr dafür
sorgen, dass die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber ist. Und ja, wir
brauchen einen selbstverständlichen Umgang in unserer Gesellschaft mit
unserer Bundeswehr.
24 Jan 2023
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## AUTOREN
Anna Lehmann
Stefan Reinecke
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