# taz.de -- Versorgung unbegeleiteter Minderjähriger: Container statt Turnhalle | |
> Hamburgs Jugendnotdienst ist durch eine hohe Zahl junger Geflüchteter | |
> gefordert. Nun wurden Container aufgestellt und Personalstandards | |
> gelockert. | |
Bild: Jugendliche in einer Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flücht… | |
HAMBURG taz | Hamburgs Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) ist seit Monaten | |
überlastet, weil im Zuge der Ukraine-Krise wieder deutlich mehr | |
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in die Stadt kommen. Nachdem die | |
[1][Unterbringung in einer Turnhalle] stadtweit für Aufregung gesorgt | |
hatte, fanden auch die regierenden Fraktionen von SPD und Grünen, dass dies | |
im Familienausschuss besprochen werden sollte, und luden die im Amt noch | |
neue Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) mit ihrem Stab ein, um Rede | |
und Antwort zu stehen. | |
Im Jahr 2022 seien mehr unbegleitete junge Ausländer (UMA), wie sie | |
offiziell heißen, aus aller Welt nach Hamburg gekommen als im | |
Flüchtlingsjahr 2015, begann Schlotzhauer ihren Bericht. Das sei für die | |
gesamte Jugendhilfe eine „Herausforderung“, die man nur gemeinsam | |
bewältigen könne. | |
Jugendhilfe-Abteilungsleiter Lars Schulhoff warf mehrere Kurven an die | |
Wand, die den Anstieg illustrierten. In Hamburg betreibt der stadteigene | |
Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB) die „Erstaufnahme“ (EA) an der | |
Feuerbergstraße, wo die jungen Menschen bei ihrer Ankunft in Obhut genommen | |
werden. Oft kämen sie auch nachts, in der Regel seinen sie 15 oder 16 Jahre | |
alt. Dort sollen sie zwei bis drei Wochen bleiben, bevor sie in eine | |
„Erstversorgungseinrichtung“ (EVE) des LEB kommen, von wo sie nach mehreren | |
Monaten in eine „Anschlusshilfe“ der normalen Jugendhilfe kommen sollen – | |
also Jugendwohnungen oder betreutes Wohnen in den eigenen vier Wänden. | |
## Im Wohncontainer zu viert in einem Zimmer | |
Doch weil die Kurve seit März 2022 so stark anstieg, mussten die [2][jungen | |
Menschen länger im KJND bleiben]. Waren im Januar 2022 noch 110 UMA neu | |
nach Hamburg gekommen, waren es, Stand 31. Juli, schon 166 und am 31. | |
Dezember gar 380. Dem standen zum Jahresende beim LEB nur 219 Plätze in EAs | |
und EVEs gegenüber. Wie die taz schon im September berichtete, wurde | |
schließlich die KJND-eigene Turnhalle mit Betten belegt. | |
Seit diesem Januar ist das immerhin vorbei. Der LEB stellte auf dem | |
KNJD-Gelände Wohncontainer mit Platz für 54 Flüchtlinge auf, untergebracht | |
in Stockbetten zu viert in einem Zimmer. An der Stader Straße sowie am | |
Pulverhofsweg wurden zwei neue EVEs errichtet. Und wie die taz berichtete, | |
[3][übernahm kurz vor Weihnachten mit „Sternipark“] auch erstmals seit | |
Jahren wieder ein freier Träger die Aufgabe, eine Erstaufnahme zu betreiben | |
– in Bahrenfeld mit 48 Plätzen. | |
Darüber hinaus versuche man, die Stufe der EVE zu überspringen und die | |
jungen Menschen direkt in Jugendwohnungen freier Träger unterzubringen, | |
erläuterte Lars Schulhoff. Doch hier ist die Kurve flach, denn das Angebot | |
der Plätze dort hatte sich zuletzt kaum erhöht. Darum hat die Sozialbehörde | |
nun in der „Vertragskommission“ mit den freien Trägern etwas ausgehandelt: | |
Die jungen, unbegleiteten Flüchtlinge dürfen in Jugendwohnungen zusätzlich | |
zur bewilligten Platzzahl aufgenommen werden. Das geht laut Schulhoff aus | |
einem „Duldungsschreiben“ der Behörde hervor. Zudem darf in der Betreuung | |
der UMA vom sonstigen „Fachkräftegebot“ abgewichen werden, das nur | |
Sozialarbeiter vorsieht. | |
Im LEB gebe es jetzt „Multiprofessionsteams“ unter Einbeziehung von | |
„Sprach- und Kulturmittlern“ sowie Erziehern. Auch freie Träger, die UMAs | |
aufnehmen, dürfen nach einer Einzelfallprüfung weitere Fachkräfte, die | |
nicht Sozialpädagogen sind, „mit einstellen“, sagte Senatorin Schlotzhauer. | |
Ihre Behörde rechnet damit, dass der hohe Zustrom in nächster Zeit anhält. | |
Auf die Frage der Linken, ob es vielleicht ein Fehler war, vor zwölf Jahren | |
in der Stadt vorhandene UMA-Plätze bei freien Trägern abzubauen, sagte sie, | |
es sei gewiss „politisch nicht unplausibel, eine gewisse Anzahl | |
Leerkapazitäten vorzuhalten“. | |
## Altersfeststellung im UKE | |
Aus den Behördenfolien ging auch hervor, dass ein Anteil der UMA aus der | |
Erstaufnahme weggeschickt wird, wenn sie nach [4][Knochenuntersuchungen im | |
Uniklinikum Eppendorf] (UKE) älter als 18 Jahre scheinen. Bis dies geklärt | |
sei, blieben sie in Obhut, sagte Schulhoff. | |
Die Jugendpolitikerin Sabine Boeddinghaus von der Linken, die das Thema | |
gern schon viel früher im Ausschuss auf der Tagesordnung gehabt hätte, zog | |
als Resumée: „Die Stadt tut das Allernötigtse, um Plätze zu schaffen, aber | |
es fehlt, sich einmal grundsätzlich mit dem Hilfesystem | |
auseinanderzusetzen.“ [5][Der zentrale KNJD gilt als zu groß], selbst | |
Stimmen bei den Grünen fordern eine Dezentralisierung. | |
Ver.di-Sekretär Domenico Perroni nennt das Duldungsschreiben einen | |
„Offenbarungseid“. Der Stadt gelinge es nicht mehr, zu ihren Konditionen | |
ausreichend Sozialpädagogen zu gewinnen. Ihm seien sogar Fälle bekannt, wo | |
erfahrenen Sozialarbeitern, die neu beim KJND anfingen, diese | |
Berufserfahrung bei der Entgeldeinstufung vom Personalamt nicht anerkannt | |
wurde. | |
„Hier wird jetzt auf eine Billiglösung zurückgegriffen“, sagt der | |
Gewerkschaftssekretär. Statt für diese wichtige Aufgabe tiefer in die | |
Tasche zu greifen, würden lieber Studierende, Leiharbeiter und Sprach- und | |
Kulturmittler eingesetzt. Letzteres sei kein geschützter Begriff. Es sei | |
bekannt, dass Hamburg seine Mitarbeiter schlechter als das Umland bezahle. | |
„Beim KJND schlägt das doppelt durch.“ | |
19 Jan 2023 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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