| # taz.de -- Pädagoge zur Hamburger Jugendhilfe: „Wir brauchen einen Kinder-G… | |
| > Da das Hilfesystem überlastet ist, fordert Linken-Politiker Volker | |
| > Vödisch einen Austausch aller Akteure. Am besten mit Senatorin, Eltern | |
| > und Kindern. | |
| Bild: Viel Bedarf und wenig Kapazitäten bei denen, die in Hamburgs Kinder- und… | |
| taz: Volker Vödisch, warum ist die Lage der Jugendämter dramatisch, wie Sie | |
| im Aufruf „Tu was, Hamburg!“ schreiben? | |
| Volker Vödisch: Weil Kinder heute vermehrt unter schlechten Bedingungen | |
| aufwachsen und in Verhältnissen leben, die ihre Entwicklung und ihr Wohl | |
| gefährden. Steht das im Raum, wird ja das Jugendamt tätig und prüft, ob es | |
| so ist. Diese Fallzahlen steigen seit Jahren. Die Pandemie und die | |
| zunehmende Zahl der Flüchtlinge hat die Dramatik zusätzlich verschärft. | |
| Das heißt, die Jugendämter haben schlicht zu viel Arbeit? | |
| Ja. Das lesen wir aus den jüngsten Anfragen der Hamburger Linksfraktion zur | |
| Frage „Allgemeiner Sozialer Dienst am Limit?“ heraus. Demnach gab es von | |
| Kollegen der Jugendämter seit 2021 über 70 Überlastungsanzeigen. Und die | |
| [1][Kapazität im Kinder- und Jugendnotdienst] war zuletzt mehr als | |
| ausgeschöpft. Die jungen Menschen müssen in dieser Übergangseinrichtung | |
| länger bleiben als vorgesehen, weil passende Wohnplätze fehlen. | |
| Was löste denn diesen Anstieg aus? | |
| Ein Auslöser war die Kinderarmut und die Einführung von Hartz-IV. [2][Die | |
| Entwicklung setzte um 2008 ein] und stieg kontinuierlich. Es gab mehr | |
| angezeigte Kindeswohlgefährdungen und mehr Hilfen zur Erziehung, somit | |
| stiegen auch die Kosten. Damals hat man schon versucht, mit neuen Angeboten | |
| in den Sozialräumen gegenzusteuern. Aber die Zunahme blieb hoch und | |
| pendelte sich auf hohem Niveau ein. | |
| Bekamen nicht die Jugendämter auch mehr Personal? | |
| Das stimmt. Das Problem ist aber, dass neue Fachkräfte erst lange | |
| eingearbeitet werden müssen. Sie werden dabei mit sehr vielen Regelungen | |
| und gesetzlichen Bestimmungen konfrontiert. Es gibt bei den Jugendämtern | |
| einen hohen Kontrolldruck und der Verwaltungsaufwand in diesem Job ist | |
| wirklich hoch. Kommt dazu noch die Angst, etwas falsch zu machen, werfen | |
| neue Fachkräfte das Handtuch. Der „Tu was“-Aufruf wird von der | |
| Landesarbeitsgemeinschaft [3][Allgemeiner Sozialer Dienst] getragen. Daher | |
| wissen wir, dass es mehr als diese 72 Überlastungsanzeigen geben müsste. | |
| Die Fachkräfte trauen sich nur nicht, das zu melden. | |
| Was sagt so eine Anzeige? | |
| Dass man seine Arbeit nicht mehr schafft. Es gab im Dezember sogar [4][ein | |
| Papier der Bezirksjugendamtsleitungen], die erklärten, sie können nicht | |
| mehr alle Standards erfüllen. Etwa die der zwei Hilfeplangespräche im Jahr. | |
| Dabei sind die wichtig. | |
| Warum fordern Sie einen Kinder- und Jugendhilfegipfel? | |
| Wir fordern so einen Gipfel, weil alle Kollegen der Kinder- und Jugendhilfe | |
| erschöpft sind. Das gilt für die Kitas, die offene Kinder- und | |
| Jugendarbeit, die Familienförderung, die Jugendsozialarbeit und die | |
| Pflegefamilien, genauso in den Jugendämtern und bei den Hilfen zur | |
| Erziehung. Überall herrscht Fachkräftemangel. Hinzu kommen hohe | |
| Krankenstände durch Arbeitsbelastung. In den Kitas steigen seit Jahren die | |
| Anforderungen. Es fehlen schlicht Fachkräfte, Stellen bleiben lange vakant. | |
| Auch weil nicht gut bezahlt wird. | |
| Wie soll der Gipfel ablaufen? | |
| Wir bringen einmal alle Akteure zusammen. Das sind Sozialarbeiter*innen, | |
| Erzieher*innen sowie Selbstorganisationen und Verbände. Sie sollen mit | |
| den zuständigen Menschen der Sozialbehörde und Fachpolitikern | |
| zusammenkommen, am liebsten auch mit der Senatorin. Das schließt auch die | |
| Nutzer*innen und deren Selbstorganisationen ein. | |
| Die sollen zusammen reden? | |
| Ja und gemeinsam vorbereiten. Eltern und Kinder sollen ihre Sichtweise | |
| einbringen. Was passiert mit uns? Wie erleben wir Jugendhilfe? Was | |
| benötigen wir eigentlich? Und was kriegen wir nicht, weil es Probleme gibt? | |
| Es geht um Austausch. Dass man lösungsorientiert miteinander spricht und | |
| versucht, Vorschläge zu entwickeln. Dafür greifen wir auch Ergebnisse der | |
| Enquetekommission „Kinderrechte und Kinderschutz weiter stärken“ auf, die | |
| es 2018 schon mal gab. | |
| Sie nennen hier viele Bereiche. Ist das nicht zu komplex für einen | |
| eintägigen Gipfel? | |
| Der Gipfel muss sich ja nicht auf einen Termin fokussieren. Es könnte eine | |
| kleine Reihe werden. Wichtig ist, dass die Auseinandersetzung stattfindet. | |
| Und zwar mit allen, und nicht nur in informellen Gesprächen in der Behörde, | |
| wo dann immer mal ein, zwei geladen werden. Und wo nicht transparent ist, | |
| was mit den Ergebnissen passiert. Das ist die Chance eines Gipfels. | |
| Soll er öffentlich sein? | |
| Ja. Das ist wichtig. Natürlich richtet er sich an die Akteure, an die | |
| Sozialbehörde. Aber Öffentlichkeit sollte hergestellt werden. | |
| Also wollen Sie die Themen nach und nach angehen? | |
| Ich sag mal: Wir machen einen Gipfel und gucken, wie es weitergeht. Wir | |
| planen es natürlich gemeinsam. Zu den Initiatoren zählt auch der | |
| „Arbeitskreis kritische Sozialarbeit“ und der „Fachvorstand Erziehung, | |
| Bildung und Soziale Arbeit“ von Ver.di. | |
| Kommt die Sozialsenatorin? | |
| Wir haben ihr in dieser Sache ein Anschreiben geschickt, aber noch keine | |
| Antwort erhalten. | |
| Uns sagte die Sozialbehörde, dass der „Tu was“-Aufruf bekannt sei. Mit den | |
| Verfassern werde ein Gesprächstermin auf der Arbeitsebene gesucht. | |
| Das stimmt. Ein Mitarbeiter der Behörde hat uns geschrieben. | |
| Auch die Grünen scheinen offen dafür. Die SPD fragte, was so ein Gipfel an | |
| Mehrwert bringen soll? | |
| Mich wundert nicht, wenn die Grünen dafür offen sind. Sie scheinen selbst | |
| nicht darüber glücklich zu sein, wie es in der Kinder- und Jugendhilfe | |
| läuft. Die SPD ist leider etwas zurückhaltender. Ich glaube, sie verstehen | |
| noch nicht, dass wir ganz unterschiedliche Akteure zusammenbringen wollen | |
| und dass alle profitieren können. | |
| Was würde aus dem Gipfel, wenn die Politik nicht kommt? | |
| Dann laden wir trotzdem zum Gipfel. Das ist der Alternativplan. | |
| 1 Aug 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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