# taz.de -- Neue Parlamentsräume in Hamburg: Wie durch ein Guckloch | |
> Hamburgs Bürgerschaft benutzt für ihre Ausschussarbeit einen neuen Saal. | |
> In dem können Publikum und Journalisten die Senatoren nicht sehen. | |
Bild: Blick über die Ballustrade: die Senatorin im Justizausschuss ist immerhi… | |
HAMBURG taz | Jammern lohnt sich, diesen Satz habe ich meinen Kindern | |
erzählt, als sie klein waren. Als Gegenentwurf zum muffig-autoritären | |
Ausspruch „Kinder mit ’nem Willen kriegen was auf die Brill’n“. Es ist | |
schon richtig, auf seine Bedürfnisse hinzuweisen, im Kindes- wie im | |
Erwachsenenalter. Zum Beispiel nicht im Restaurant auf einem Stuhl Platz zu | |
nehmen, wo es zieht oder ein Licht blendet. | |
In [1][Ausschüssen der Hamburger Bürgerschaft] heißt es für uns | |
Journalisten, bescheiden zu sein. Es ist toll, einfach irgendeinen Platz zu | |
haben und den Senatoren und ihrer Riege über die Schulter zu gucken, | |
während sie den Parlamentariern Rede und Antwort stehen. Gestik, Mimik, | |
alles wichtig. Im alten Kaisersaal zu Beispiel geschieht dies im Licht von | |
Kronleuchtern, mit Blick auf üppige Gemälde. Andere Säle sind schlichter. | |
Aber stets sind wir Presseleute mittenmang im Raum und meistens bekommen | |
wir auch einen Tisch mit Cola. | |
Das ist nicht mehr so, seitdem die Bürgerschaft [2][ein Gebäude | |
dazugemietet hat]: Das Haus am Adolphsplatz 6. Es wurde erst 2013 gebaut, | |
gehört der Handelskammer und beherbergte ursprünglich eine private | |
Bussiness School, die in etwas Größeres zog. Der Standort ist spektakulär, | |
da der hintere Teil des Hauses aus der Tiefe kommende U-Bahn-Gleise | |
überbrückt. | |
Der Bau [3][erhielt einen Preis]. Er präsentiere sich auf der Vorderseite | |
mit seiner teils mit beleuchteten Pilastern (Halbsäulen) verzierten | |
Glasfassade als „elegantes Schatzkästlein“, [4][schrieb die Deutsche | |
Bauzeitung]. Es sei ein „Repräsentationsgebäude“, das sich in die | |
„Machtachse aus Rathaus und Handelskammer“ als Schlusspunkt einfüge. Als | |
besonders gilt auch der Saal, der über zwei Stockwerke geht. | |
## Das Publikum muss nach oben | |
Da war schon ein kleines Kribbeln, als dort Mitte Januar eine Sitzung des | |
Familienausschusses zur Lage beim Kinder- und Jugendnotdienst stattfand. | |
Ein Pförtner fing Journalisten allerdings an der Saaltür ab und schickte | |
uns nach oben. Und dort, auf der Empore im zweiten Stock, gibt es für die | |
Presse zwar einen Schreibtisch mit Cola, aber die Senatoren und ihre Leute | |
sieht man nicht. Denn sie sitzen eine Etage tiefer, direkt darunter. Zu | |
sehen ist nur ein Teil der Abgeordneten. Zwar gibt es links und rechts an | |
der Wand einen schmalen Gang, wo man sitzen und schräg einen Blick auf die | |
Regierenden erhaschen kann, aber dann sieht man die Übrigen nicht. Der | |
Blick ist immer eingeschränkt, wie durch ein zu schmales Guckloch. Tolle | |
Architektur. Also der Saal ist edel, aber nicht so demokratietauglich. | |
Zumal ja auch das normale Publikum hier oben Platz nehmen muss. | |
Eine Nachfrage bei der Pressestelle der Bürgerschaft ergab: Beschwert hatte | |
sich bis dato noch niemand. Diese neuen Räume hat die Bürgerschaft für die | |
nächsten vier Jahre angemietet. Weil das [5][nicht ganz billig ist] und | |
Hamburgs Rathaus eh über 600 Räume hat, hat [6][schon der Steuerzahlerbund | |
gemoppert]. | |
Das Jammern über die Blickeinschränkung stößt bei der Bürgerschaftskanzlei | |
auf begrenztes Verständnis. Die Journalisten könnten sich ja jederzeit auf | |
der Empore bewegen und den „Blickwinkel einnehmen, den sie für ihre | |
Berichterstattung benötigen“. Schon probiert. Leider wirkt so ein ständiges | |
Hin- und Herlaufen hoch oben über den Politikerköpfen unangenehm gaffend | |
und mitschreiben geht dabei auch nicht so gut. | |
Immerhin, [7][als jüngst der Justizausschuss tagte] und die grüne Senatorin | |
Anna Gallina zu den Umständen der Entlassung des Messerattentäters von | |
Brokstedt befragte, wurde dies per Video nach oben zur Presse übertragen, | |
auf großen Monitoren. | |
Also hat sich das Jammern doch wieder mal gelohnt? Pustekuchen. Das | |
„Ausschussgeschehen“ jener Sitzung auf die Empore zu übertragen, sei eine | |
„Einzelfallentscheidung“ der Ausschussvorsitzenden gewesen, da mit viel | |
Presse zu rechnen war, schreibt die Bürgerschaftskanzlei. Diese Übertragung | |
gebe es nicht in jedem Ausschuss. Schade. Dann können wir Beobachter halt | |
weiter nur den Stimmen lauschen. | |
18 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Versorgung-unbegeleiteter-Minderjaehriger/!5906508 | |
[2] https://www.hamburgische-buergerschaft.de/nachrichten/14377962/schluesselue… | |
[3] https://www.competitionline.com/de/news/ergebnisse/bda-hamburg-architektur-… | |
[4] https://www.db-bauzeitung.de/architektur/buerobau/hamburg-hk-hamburg/ | |
[5] https://www.abendblatt.de/hamburg/article236706181/schwarzbuch-bund-der-ste… | |
[6] https://www.bild.de/regional/hamburg/hamburg-aktuell/steuergeld-wahnsinn-pr… | |
[7] /Nach-Angriff-im-Regionalzug/!5912849 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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