| # taz.de -- Security-Einsatz in Hamburgs Jugendhilfe: „Das kann nicht gewollt… | |
| > Hamburg setzt in der Jugendhilfe wieder verstärkt Wachleute ein. Allein | |
| > 75-mal kam es seit Anfang 2022 zum Einsatz „körperlicher Mittel“. | |
| Bild: Viel zu tun für die Security: Kinder- und Jugendnotdienst in Hamburg-Als… | |
| Hamburg taz | Ein neuerlicher Hilferuf aus dem Hamburger [1][Kinder- und | |
| Jugendnotdienst] (KJND) hat die taz erreicht. Die Lage habe sich wieder | |
| angespannt. „Wir nutzen zunehmend den SiDi (Sicherheitsdienst), der Kinder | |
| zu Boden bringt oder festhält“, meldeten Mitarbeitende, die ihren Namen | |
| nicht nannten. „Einige von uns sind damit nicht mehr einverstanden, doch | |
| viele wissen nicht weiter.“ | |
| Die zentrale Einrichtung an der Feuerbergstraße in Hamburg-Alsterdorf ist | |
| seit Monaten überlastet. Wie berichtet, wurde wegen des Zulaufs junger | |
| unbegleiteter Flüchtlinge im vergangenen [2][Herbst sogar die Turnhalle auf | |
| dem Gelände belegt], weil die regulären 102 Plätze nicht mehr reichten. | |
| Inzwischen stehen dort [3][Wohncontainer]. Nun werden 142 Jugendliche | |
| betreut. | |
| „Uns liegen keine Informationen vor, dass in den vergangenen Wochen | |
| vermehrt Sicherheitspersonal hinzugezogen wurde“, sagt dagegen eine | |
| Sprecherin der Sozialbehörde auf taz-Anfrage. | |
| Laut einer Senatsantwort auf eine [4][Große Anfrage der Hamburger | |
| Linksfraktion] wurde allerdings die Zahl der Security-Mitarbeiter, die auf | |
| dem Areal physisch präsent sind, von ursprünglich drei auf fünf erhöht. | |
| Die Linken-Jugendpolitikerin Sabine Boeddinghaus hatte schon [5][im | |
| September in einer Kleinen Anfrage] wissen wollen, wie häufig das | |
| Security-Personal seit Jahresanfang eingegriffen hatte. Damals war der | |
| Senat ausgewichen. Die Security beim KJND dokumentiere zwar „jeden | |
| Eingriff“. Doch eine Auswertung der bis dato aus 2022 vorliegenden 235 | |
| Einzelberichte sei in der Zeit zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage nicht | |
| möglich. Deshalb stellte Boeddinghaus diese Frage in einer Großen Anfrage, | |
| für die der Senat vier Wochen Zeit hat, nochmal. | |
| ## Hamburgweit haben 14 Einrichtungen Security | |
| Und siehe da: In den nur vier Monaten, die seither verstrichen sind, war | |
| die Zahl dieser Einzelberichte auf 412 gestiegen. Und zugleich gab es dort | |
| 49 „Überlastungsanzeigen“ von Betreuern. Und stimmt es, was jene | |
| Mitarbeitenden berichten, hatte die Geschäftsführung des Landesbetriebs | |
| Erziehung (LEB), zu dem der KJND gehört, eine Aufstellung auf dem | |
| Schreibtisch, nach der sich die Zahl der Fälle, in denen ein Kind „zu Boden | |
| gebracht“ oder „festgehalten“ wurde, deutlich erhöht hat. | |
| Der Hamburger Senat antwortet etwas allgemeiner. Zu den Anlässen, über die | |
| jene 412 Berichte geschrieben wurden, zählten etwa auch „Wegweisen nicht | |
| erwünschter Personen“ oder „Fund unerlaubter Gegenstände“ und „Schutz… | |
| Personen“. | |
| Die Berichte enthielten „75 Hinweise auf den Einsatz von körperlichen | |
| Mitteln“. Im wesentlichen handle es sich um eine „körperliche Begrenzung“ | |
| zum Schutz von Mitarbeitenden oder anderen Bewohnern. Jene Mittel seien | |
| „defensiv“, dazu zähle zum Beispiel „ein kurzes Festhalten“ und im | |
| Einzelfall auch „Heraustragen“ aus einem Raum. Dass Jugendliche | |
| „kontrolliert auf den Boden gebracht“ werden, passiert laut Behörde nur in | |
| „extremen Situationen“, wenn diese sich oder andere gefährden und die | |
| Pädagogen sie nicht beruhigen könnten. | |
| Bei der taz hatten sich in der Vergangenheit schon Jugendliche über einen | |
| [6][rabiaten Einsatz der Security beschwert]. So könne es schon passieren, | |
| dass ein Betreuer die Wachleute ruft, nur weil man mit ihm diskutiert. | |
| Ginge man mit denen nicht mit, „legen sie dich zu Boden“. Das Wichtigste | |
| für die Jugendlichen dort sei, sich mit der Security anzufreunden. | |
| ## Ein Widerspruch zum Jugendhilfegesetz | |
| Wie aus der Linken-Anfrage hervorgeht, setzt der Landesbetrieb den | |
| Sicherheitsdienst bei 13 weiteren Einrichtungen ein. Unter anderem in den | |
| Unterkünften für junge Geflüchtete und in zwei „Kinderschutzgruppen“ für | |
| Sechs- bis Zwölfjährige in Wilhelmsburg und Harburg. An neun Standorten ist | |
| die Security auch nachts da, in einer größeren Jugendwohnungseinrichtung | |
| ist nachts sogar nur Sicherheitspersonal vor Ort und kein pädagogisches. | |
| „Die Auswertung der Berichte zeigt ein desolates Bild. Das kann so nicht | |
| gewollt sein“, sagt Sabine Boeddinghaus. Wichtig sei, die Jugendhilfe so | |
| auszustatten, „dass Security nicht nötig ist oder nur auf Zuruf gebraucht | |
| wird“. Dass Security in Kinderschutzgruppen eingesetzt wird, „geht gar | |
| nicht“, so die Abgeordnete. | |
| Der Einsatz von Sicherheitskräften in der Jugendhilfe gilt als Hamburgensie | |
| und begann vor 20 Jahren, als unter der rechten Schwarz-Schill-Regierung | |
| ein geschlossenes Heim eröffnet wurde, aus dem viele Jugendliche wegliefen. | |
| ## Security als Teil des Systems | |
| Der Soziologe Michael Lindenberg und der Jugendhilfeexperte Ronald Prieß | |
| haben einen [7][Fachartikel in der Zeitschrift „Forum für Kinder- und | |
| Jugendarbeit“] dazu verfasst. Ihrer Einschätzung nach widerspricht der | |
| Security-Einsatz dem Kinder- und Jugendhilfegesetz, das nicht mehr | |
| „eingriffsorientiert“ ist und auch Kinder und junge Menschen mit eigenen | |
| Rechten ausstattet. | |
| „Ich finde es erschreckend, wie sehr der Sicherheitsdienst schon Teil des | |
| Systems im LEB geworden ist“, sagt Prieß nach Lektüre der Großen Anfrage. | |
| Es gebe institutionalisierte Schulungen, Arbeitsanweisungen und ein | |
| Dokumentationswesen. Der Einsatz sei sofort zu beenden, und gehöre | |
| obendrein „nach 20 Jahren dringend mal wissenschaftlich evaluiert“. | |
| Für Michael Lindenberg sind die Strukturen das Problem: „Wir sagen, der | |
| KJND ist viel zu groß. Macht ihn doch kleiner.“ Dann brauche man die | |
| Security nicht. „Dann entsteht eine Nähe und eine konkrete Lebenswelt, die | |
| das überflüssig macht.“ | |
| 28 Feb 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Hilfesystem-fuer-junge-Fluechtlinge/!5864417 | |
| [2] /Probleme-in-Hamburger-Feuerbergstrasse/!5877780 | |
| [3] /Versorgung-unbegeleiteter-Minderjaehriger/!5906508 | |
| [4] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/82605/einsatz_von_security… | |
| [5] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/81111/weiterhin_notstand_i… | |
| [6] /Hamburger-Kinder--und-Jugendnotdienst/!5773055 | |
| [7] https://www.kinder-undjugendarbeit.de/fileadmin/user_upload/FORUM_2022/FORU… | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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