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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Historische Fiktion
> Die Filmretrospektive „Roads not Taken“ im Zeughauskino untersucht
> alternative Ausgänge der Geschichte, darunter Szenarien des Faschismus in
> Europa.
Bild: Auch in Gerhard Klingenbergs „War wäre wenn“ (1960 DDR) berät sich …
Schräg singt die Gemeinde in der Kirche, stetig rütteln die Kohleloren über
die Gleise im Schacht. Dorfleben in Wales – bis ein Auto über eine Brücke
fährt. Bevor es die andere Uferseite erreicht hat, beginnt der Marsch
„Preußens Gloria“ aus dem Lautsprecher auf dem Dach zu schallen. Eine
Durchsage informiert die Bevölkerung, dass sie unter deutscher Besatzung
steht, Rechte ausgesetzt sind. Am nächsten Tag treten die Minenarbeiter in
Streik, die Dorfbevölkerung organisiert sich.
Wales ist in Humphrey Jennings' „The Silent Village“ von 1943 nicht Wales.
Die westwalisische Bergarbeiterstadt Cwmgiedd steht für das tschechische
Dorf Lidice, in dem ein halbes Jahr zuvor Gestapo, Polizei und SD die
Bevölkerung massakriert oder in deutsche Konzentrationslager verschleppt
hatten.
Jennings' Film ist Teil der Filmreihe [1][„Roads not Taken][2][.
Alternative historische Erzählungen im Film][3][“] im [4][Zeughauskino],
die Filme versammelt, in denen alternative historische Szenarien
durchgespielt werden. Was, wenn die deutsche Invasion nach Großbritannien
gelungen wäre? Was, wenn Nazideutschland den Krieg gewonnen hätte? Was,
wenn Hitler den Krieg überlebt hätte? Die Filmreihe begleitet die
gleichnamige Ausstellung des Deutschen Historischen Museums.
„The Silent Village“ läuft als Vorfilm zu Alberto Cavalcantis „Went the …
Well?“ von 1942, die beiden Filme bilden eines der schönsten Programme der
Reihe (Screenings am 18. und 21. 2.). In der Rückblende erzählt Cavalcanti,
wie eine Gruppe deutscher Fallschirmspringer verkleidet als britische
Pioniere versucht, im Vorfeld einer deutschen Invasion ein Dorf zu
übernehmen. Das Dorf nimmt die vermeintlichen Freunde auf, bis Details
ihren Verdacht erregen: eine Rechnung beim Kartenspielen mit einer Sieben,
die anders als in Großbritannien üblich mit Mittelstrich geschrieben ist,
eine Schokoladentafel aus Wien. Die Fallschirmspringer setzen die
Dorfbevölkerung in der Kirche fest, doch mit unermüdlicher Findigkeit
suchen die Bewohner_innen nach einem Weg, die Außenwelt zu verständigen.
## Alltag und Widerstand
Die Stärke von „The Silent Village“ und „Went the Day Well?“ liegt in …
Darstellung des alltäglichen Lebens der britischen Landbevölkerung, das zum
Ausgangspunkt des Widerstands wird. Beide Filme zeugen von der
dokumentarischen Prägung ihrer Regisseure. Jennings wie Cavalcanti waren
Teil der GPO Film Unit und der Crown Film Unit, zwei der Urzellen des
britischen Dokumentarfilms.
Zwei junge Männer griffen in den späten 1950er Jahren den Faden, im Film
über die Möglichkeit eines von Deutschen besetzten Großbritanniens
nachzudenken, noch einmal auf. Der spätere Experte der Filmrestaurierung
Kevin Brownlow und der Uniform-Spezialist Andrew Mollo realisieren über
Jahre hinweg mit minimalem Budget einen Spielfilm, der die Kollaboration
der britischen Bevölkerung nach einer gelungenen Invasion zeigt. Was „It
Happened Here“ von 1964 zum Klassiker gemacht hat, sind die vielschichtigen
Formen der Kollaboration und die grundsätzlichen Überlegungen zu
Verhaltensweisen gegenüber repressiver Macht (Screening 14. 1., 18 Uhr).
Mit der Filmreihe „Roads not Taken“ lotet das Zeughauskino Spielarten
historisch-filmischer Fiktion aus. Die Reihe konzentriert sich wie die
Ausstellung auf Szenarien aus der deutschen Geschichte oder wie im Falle
einer möglichen deutschen Invasion nach Großbritannien zumindest mit
deutscher Beteiligung.
11 Jan 2023
## LINKS
[1] https://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihe/roads-not-taken/
[2] https://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihen/vorschau/
[3] https://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihe/roads-not-taken/
[4] https://www.dhm.de/zeughauskino/
## AUTOREN
Fabian Tietke
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