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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Zerrbild nach Osten und Westen
> Die Retrospektive „Überblendung“ in der Brotfabrik zeigt wie Ost und West
> sich während der deutschen Teilung in Film und TV gegenseitig
> inszenierten.
Bild: Läuft am 21. 1. um 16 Uhr: „Flucht nach Berlin“ (R: Will Tremper, BR…
Auf der einen Seite der Mauer: Von der Obrigkeit geknechtete arme
Schlucker, ständig von der Stasi gegängelt, deren ganzes Leben aussieht wie
ein Stück Graubrot, während die russlandhörigen Parteibonzen in Saus und
Braus leben. Auf der anderen: Fettgefressene Kapitalistenungeheuer, die
ihre Naziuniformen zwar noch im Kleiderschrank hängen haben, jetzt aber
lieber im ordentlichen Anzug ihre krummen Geschäfte einfädeln, gerissen und
hinterlistig, aber eigentlich dumm wie Brot.
So ungefähr zeichneten sich DDR und BRD gegenseitig. In den Medien, dem
Kino, den Schulen, eigentlich überall. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann
schon bald der Kalte Krieg, mit Gründung der DDR und der BRD standen sich
fortan nicht nur zwei Staaten gegenüber, sondern auch zwei Systeme, die
sich unerbittlich bekämpften. Auch wenn Willy Brandts Entspannungspolitik
zunehmend Raum für so manche Differenzierung und Annäherung schuf.
Das Lustige oder zumindest Interessante: An den Zerrbildern, die die beiden
Deutschlands voneinander entwarfen, war ja auch so manch Wahres dran. Die
DDR war ein Unterdrückungsstaat, und in der BRD hielt man es lange Zeit
wirklich nicht für nötig, sich glaubhaft von den alten Nazis zu
distanzieren, die bezüglich ihres Treibens im Dritten Reich unter akutem
Gedächtnisschwund litten.
Die aufwendig recherchierte, mit Mitteln der [1][Bundesstiftung zur
Aufarbeitung der SED-Diktatur] geförderte Filmreihe „Überblendung –
Vergessene Bilder von Ost und West“ zeigt nun, wie sich BRD und DDR
gegenseitig in Film und Fernsehen gezeichnet haben. Welche Klischees
entworfen wurden, wie die Propaganda arbeitete. Zig dieser thematisch
passenden Fernseh- und Kinofilme sowie Dokumentation wurden ausgegraben für
das Sonderprogramm, das noch [2][bis zum 29. Januar in der Brotfabrik
läuft].
Die gezeigten Filmdokumente sind zum Großteil keine cineastischen Perlen,
die endlich als große Filmkunst geehrt gehören. Sondern oftmals
Obskuritäten von eher historisch-skurriler Bedeutung. In jedes der
gezeigten Werke wird in der Reihe durch einen Vortrag eingeführt, der diese
genauer einordnet.
Man bekommt so zum Teil wunderbar groteske Dinge zu sehen. Etwa in
„Geisterstunde“ (DDR, 1967), einer Dokumentation, für die die
DDR-Filmemacher Walter Heynowski und Gerhard Scheumann die Wahrsagerin
Margarethe Goussanthier alias „Madame Buchela“ besuchen und interviewen
konnten.
Buchela, die in Remagen in Rheinland-Pfalz lebte, war eine große Nummer in
der Wahrsager-Szene, von überall her kamen die Leute, um sich von ihr die
Zukunft vorhersagen zu lassen, gerüchteweise sogar Konrad Adenauer. Ihre
Berliner Kollegin Ursula Kardos, das legt zumindest dieses Dokumentation
nahe, empfing dafür Willy Brandt.
Hokuspokus, das wird in „Geisterstunde“ dauernd unterstellt, ist eine
riesige Sache in der BRD. Sogar die Politiker von ganz oben seien dafür
anfällig. Und die Buchela garantiert eine Multimillionärin, obwohl diese,
die sich zwar schon für die Beste ihrer Zunft hält, eigentlich ganz
bescheiden lebt.
Auf der anderen Seite gibt es da etwa einen Spielfilm wie „Flucht nach
Berlin“ (BRD, 1960/61) von Will Tremper. Schon gleich zu Beginn des Films
rollen die überzeugten Sozialisten der Landwirtschaftlichen
Produktionsgenossenschaft (LPG) in einem kleinen Bauernkaff ein, hängen
überall LPG-Plakate auf und machen den Landwirten klar, dass nun eben die
Kollektivierung auch ihrer Betriebe anstehe, ob sie das wollen oder nicht.
Die Bauern wollen eigentlich eher nicht, aber die übereifrigen Jungkader
machen schnell klar: Um ein freiwilliges Wollen geht es längst nicht mehr.
Und so erzählt auch Wili Temper von der Wahrheit, aber auch von einer ganz
schön propagandistisch gefärbten Wahrheit. Immerhin tauchen in seinem Film
wenigstens noch ein paar West-Berliner auf, die auch nicht gut wegkommen in
seiner Geschichte.
20 Jan 2023
## LINKS
[1] https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/start
[2] https://www.brotfabrik-berlin.de/kino-programm-aktueller-monat/
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
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