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# taz.de -- Debatte um Berliner Silvesterkrawalle: Ein rassistischer Haufen Mist
> Klar: Angriffe auf Rettungskräfte sind eine rote Linie. Doch der Diskurs
> über die Berliner Silvesterkrawalle ist völlig entgleist.
Bild: Berlin, in der Silvesternacht, Sonnenallee: der Reisebus war von Unbekann…
Die [1][Debatte über Böllerverbote] gehört in Berlin ja zur
Neujahrs-tradition dazu wie „Dinner for One“ und Jugendliche, die sich
gegenseitig mit Raketen abschießen. Jedes Jahr, die Pandemie ausgenommen,
entdecken irgendwelche Kommentator:innen oder Politiker:innen
eine neue Stufe der Eskalation. Die [2][Rufe nach Böllerverboten] folgen
dann stets auf dem Fuße. Der Ton dieser Debatte ist meist rau, denn alle
Argumente sind längst ausgetauscht und die Fronten verhärtet. The same
procedure as every year.
Diesmal wurde aber tatsächlich eine neue Eskalationsstufe erreicht.
Allerdings nicht unbedingt hinsichtlich der Ausschreitungen in der
Silvesternacht, obwohl die heftig waren: Beamt:innen wurden verletzt,
Barrikaden brannten, ein Reisebus brannte aus, nicht nur die Polizei, auch
Rettungskräfte wurden auf das Heftigste mit Pyros beschossen. Die Feuerwehr
redet von Hinterhalten, die Rettungskräfte konnten wohl teils nur unter
Polizeischutz Löscharbeiten leisten. Ein Jugendlicher warf einen
Feuerlöscher auf einen Krankenwagen, sodass die Scheibe zerbarst.
Ganz klar: Angriffe auf Rettungskräfte sind eine rote Linie, die
Konsequenzen nach sich ziehen müssen. Aber dieses Jahr hat sich der Diskurs
so schnell in einen rassistischen Haufen Mist verwandelt, dass man sich
übergeben möchte. Unisono sprachen sich Boulevardzeitungen, bürgerliche
Presse, rechte Politiker:innen bis hin zur SPD und vermeintliche
Expert:innen Mut zu, die „unbequeme Wahrheit“ auszusprechen: Die
Krawalle seien ein „Migrationsproblem“, so Bild.
## Der Fokus verengte sich sofort
Geredet wurde quasi sofort nur noch über den migrantisch geprägten Bezirk
Neukölln, nicht etwa über die Ausschreitungen im Stadtrandkiez Lichtenrade,
wo Vermummte (unbekannter Herkunft) die Feuerwehr mit Latten und
Pfefferspray attackiert haben sollen.
Ignoriert wurde, dass die Zahl der Menschen, die tatsächlich vorsätzlich
Rettungskräfte attackierten, nicht größer als einige Hundert gewesen sein
dürfte. Dass, wie die taz aus gut informierten Kreisen weiß, durchaus auch
weiße Student:innen aus bürgerlichen Verhältnissen mit
Schreckschusswaffen und Pyrotechnik hantierten. Der Fokus verengte sich
sofort, in den Worten des CDU-Politikers Christoph de Vries, auf den
„Phänotypus: westasiastisch, dunklerer Hauttyp“.
[3][Viel gefährlicher als jede Böllerei ist diese Gesellschaft], in der ein
solch widerlicher Rassismus längst bis in die Mitte hinein sagbar geworden
ist. Zufall ist die völlige Entgleisung dieser Debatte aber nicht. Auf die
bösen Ausländer zu zeigen, wenn es eigentlich um Klassenfragen geht, ist
schließlich eine Kernstrategie des reaktionären Bürgertums. Denn geballert
und randaliert wird zumeist in abgehängten Vierteln – in [4][„sozialen
Brennpunkten“], wie man so hässlich sagt –, die, so ist es im rassistischen
Kapitalismus nun mal, migrantisch geprägt sind.
Für manche mag schockierend sein: Menschen, die sich ihr Leben lang mit
einem ihnen gegenüber übermächtigen System herumschlagen müssen – mit
Lohnarbeit, Miethaien, Ausländerbehörden, Jobcentern –, können es als
Befreiung empfinden, mit einer Schreckschusspistole herumzuballern und
etwas hochzujagen. Das macht die Randale weder politisch im engeren Sinne
noch entschuldigt es Angriffe auf Rettungskräfte.
Aber wie heißt es in einem alten Lied der Hausbesetzerszene: „Leute seht
genau hin / woher kommt denn die Gewalt / am Anfang war doch nicht der
Pflasterstein“.
7 Jan 2023
## LINKS
[1] /Gewalt-in-der-Silvesternacht/!5903811
[2] /Forderungen-nach-Boellerverbot/!5898725
[3] /Spranger-fordert-nach-Silvester-Bodycams/!5903973
[4] /Streetworker-zu-Silvesterrandalen-in-Berlin/!5903913
## AUTOREN
Timm Kühn
## TAGS
wochentaz
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