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# taz.de -- Ausnahmezustand in Peru verhängt: Auf der Straße gegen das Parlam…
> In Peru reißen die Proteste nicht ab. Nicht alle wollen den abgesetzten
> Pedro Castillo zurück – aber die Schließung des Kongresses und Neuwahlen.
Bild: In Lima stehen Demonstrierende einem großen Polizeiaufgebot gegenüber
Lima taz | Rund 150 Demonstranten, meist Männer, stehen am
Mittwochnachmittag vor der Plaza San Martin in der Hauptstadt Lima, vor
ihnen auf der Straße ein breites Plakat: Sofortige Neuwahlen und
„Schließung des Kongresses“ steht darauf. Unterschrieben von einer
Vereinigung von ehemaligen Soldaten, sogenannten Reservisten.
Die neue Präsidentin Dina Boluarte hat ein paar Stunden vorher den
Ausnahmezustand ausgerufen. Reihen von Soldaten mit Schutzkleidung und
Gummigeschossen bewachen den Platz. Daneben verkaufen venezolanische
Migrantinnen heißen Kaffee und fliegende Händler bringen Peru-Fahnen und
sonstige Devotionalien an die Leute.
Edith Velarde steht neben einer Gruppe indigener Reservisten. Die
63-jährige kleine Frau mit den grauen Locken und dem Corona-Mundschutz ist
im Hauptberuf Dozentin für Biochemie; seit fünf Tagen kümmert sich darum,
dass die Demonstranten etwas zu essen bekommen. Velarde möchte, dass
[1][Pedro Castillo] wieder ins Amt zurückkommt.- Aber ist Castillo nicht
selbst schuld an seiner Verhaftung? Immerhin hat er das Parlament auflösen
wollen.- Nein, das war eine Falle. Sie haben ihn dazu gezwungen.- Wer?- Die
Ultrarechten im Parlament.- Aber steht Castillo nicht selber unter
Korruptionsverdacht?- Nichts davon ist bewiesen. Sind alles Anschuldigungen
der Rechten, die es nicht verwunden haben, dass ein Indio Präsident wird.
Fünf Tage ist es her, dass Pedro Castillo nach einem verfehlten Putsch
zuerst [2][abgesetzt und dann verhaftet] wurde. Im Internet zirkulieren
seitdem angeblich handschriftliche Briefe Castillos auf einem abgerissenen
Stück Papier, in denen er sich zum Opfer stilisiert. Es funktioniert.
Viele, die ihn vor fünf Tagen noch als unfähigen und unbeliebten
Regierungschef wahrnahmen, sehen ihn ihm nun das Opfer einer rechten
Intrige, einen verratenen Sohn des Volkes. Die befreundeten
Linksregierungen von Kolumbien, Argentinien, Bolivien und Mexiko haben ihm
ihre Solidarität ausgedrückt. In Buenos Aires protestieren Argentinier vor
der peruanischen Botschaft für die Freilassung Castillos.
## Das Parlament ist allgemein verhasst
Seit der Kongress am 7. Dezember zuerst Castillo ab- und seine
Vizepräsidentin Dina Boluarte eingesetzt hat, kommt Peru nicht zur Ruhe.
Zur gleichen Zeit, als die Parlamentarier in der Hauptstadt ihren Sieg über
Castillo feierten, starb im Kugelhagel der Polizei im Andenstädtchen
Andahuaylas ein 15-jähriger Schüler. Sieben Menschen sind seitdem von der
Polizei erschossen worden, weil sie protestieren oder auch nur bei
Protesten zuschauten.
Vor allem in den Dörfern und Städten Südperus gingen Tausende auf die
Straßen, es brannten Gerichtsgebäude und Fabriken, Hauptverkehrswege sind
blockiert, Flughäfen besetzt. Castillo hat seine Anhängerschaft auf dem
Land und vor allem im indigen geprägten Süden des Landes. Die
Parlamentarier hat es nicht gekümmert, sie feierten ihren Sieg über
Castillo und vergaßen dabei, dass die Bevölkerung sie noch sehr viel mehr
hasst als den ungeliebten Präsidenten.
Seit [3][Beginn seiner Amtszeit] versuchte der Kongress Castillo abzusetzen
oder ihm zumindest das Regieren zu verunmöglichen. Sogar Auslandsreisen
verboten sie ihm. Die Siegesfeier der Parlamentarier war in den Augen
vieler der blanke Hohn und ein weiterer Beweis dafür, dass es ihnen nie um
das Wohl ihrer Wähler ging, sondern nur um ihre Partikularinteressen. Der
gemeinsame Nenner aller Demonstranten ist denn auch: Schließung des
Kongresses und Neuwahlen.
Dass Präsidentin Dina Boluarte – die von den Anhängern Castillos als
Verräterin gesehen wird – [4][Neuwahlen für April 2024] ankündigte, hat die
Aufständischen nicht beruhigt. Sie wollen ihre Abgeordneten lieber heute
als morgen loswerden.
## Reformbedarf und Anspannung auf der Straße
Dabei ist es durchaus sinnvoll, dass das peruanische Wahlrecht reformiert
wird, bevor es Neuwahlen gibt: die Möglichkeit, dass sich Präsident und
Parlament gegenseitig einfach absetzen können, muss abgeschafft werden.
Parlamentariern sollte die direkte Wiederwahl erlaubt sein – die ist bisher
nicht möglich, und so mancher Parlamentarier tut alles, um seinen Einfluss
und ein gutes Gehalt nicht durch Neuwahlen zu gefährden.
Mit einem längeren Vorlauf könnten sich neue Parteien bilden und Vorwahlen
durchführen. Denn sonst ist die Gefahr groß, dass wiederum eine Gruppe
politischer Glücksritter in den Kongress gewählt wird, die sich keinen Deut
um ihre Wähler kümmern.
Politische Parteien gibt es in Peru praktisch nicht mehr, und die Gruppe
der Protestler ist nicht über einen Kamm zu scheren: Provinzpolitiker,
Händler, Bauerngemeinschaften, Landarbeiter, Bürgerwehren gehören genauso
dazu wie illegale Goldgräber und Kokabauern. Nicht alle wollen Castillo
zurück. Einige wollen eine neue Verfassung. Wie immer auch eine Lösung
aussehen wird: sie wird Neuwahlen noch im Jahr 2023 vorsehen müssen. Und
der ungeliebte Kongress muss ihnen zustimmen.
Die Anspannung in Peru ist mit Händen zu greifen: Für Donnerstag haben
Gruppen und Bewegungen im ganzen Land zum nationalen Protesttag aufgerufen.
Abordnungen seien auf dem Weg nach Lima, heißt es. Derweil ruft die
Regierung für 30 Tage den Notstand aus und verbietet Menschenansammlungen.
Nationale Infrastruktur steht bereits unter dem Schutz von Polizei und
Militär. Am Donnerstag will das Gericht über eine Untersuchungshaft für
Pedro Castillo entscheiden. Vielerorts sind die Schulen bereits
geschlossen.
An Weihnachten ist in Peru vorerst noch nicht zu denken.
15 Dec 2022
## LINKS
[1] /Perus-linker-Praesident-ein-Jahr-im-Amt/!5867387
[2] /Perus-Praesident-abgesetzt-und-verhaftet/!5901987
[3] /Peru-bekommt-linken-Praesidenten/!5779466
[4] /Proteste-in-Peru/!5902401
## AUTOREN
Hildegard Willer
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