# taz.de -- Bericht zu Menschenrechten in Deutschland: Das Problem Förderschule | |
> Deutschlands Bildungssystem versagt dabei, Kinder mit Behinderung zu | |
> inkludieren. Das deutsche Institut für Menschenrechte fordert Reformen. | |
Bild: Wie inklusiv ist Bildung in Deutschland? | |
BERLIN taz | “Kinder und Jugendliche haben ein Grundrecht auf schulische | |
Bildung – Kinder [1][mit Behinderungen] haben dieses Recht genau so wie | |
Kinder ohne Behinderungen“ – mit diesen Worten stellt Beate Rudolf, | |
Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, am Mittwoch [2][den | |
neuen Menschenrechtsbericht für Deutschland] vor. Der Fokus liegt dieses | |
Mal auf dem Recht auf inklusive Bildung. Die Bilanz ist ernüchternd: Die | |
Anstrengungen der Bundesregierung, einen diskriminierungsfreien Zugang zum | |
Schulsystem zu garantieren, bewertet der Bericht als mangelhaft. | |
Ein Kernproblem stellen Förderschulen dar: Das Institut kritisiert, dass | |
aktuell mehr als die Hälfte der Schüler*innen mit Behinderung weiterhin | |
an Schulen unterrichtet werden, die auf sonderpädagogische Förderung | |
ausgerichtet sind. Bund und Länder werden deshalb aufgefordert, | |
Förderschulen abzuschaffen. | |
Denn Schüler*innen verlassen diese Schulen meist ohne Schulabschluss: | |
„Der Beginn einer lebenslangen Exklusionskette“, wie der Bericht | |
konstatiert. Die Schüler*innen wechselten anschließend „oft in | |
gesonderte und theoriereduzierte Formen der Ausbildung mit weniger Chancen | |
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“. Rudolph ergänzt: „Langfristig droht | |
ihnen Armut“. | |
Inklusiver Unterricht, in dem Menschen mit und ohne Behinderung von und | |
miteinander lernen, bietet viele Vorteile für alle Beteiligten – „bis hin | |
zu einer bildungsökonomischen Kostenersparnis“, wie es im Bericht heißt. | |
## Bund und Länder in der Verantwortung | |
Deutschlandweit sind die Bundesländer bereits seit 2009 verpflichtet, ihre | |
Schulsysteme so zu reformieren, dass sie Kinder mit Behinderung nicht | |
diskriminieren. Der Bericht konstatiert nun: „Fast 14 Jahre nach | |
Inkrafttreten der UN-BRK in Deutschland zeigen nur sehr wenige Bundesländer | |
ausreichend politischen Willen zum menschenrechtlich erforderlichen Aufbau | |
eines inklusiven Schulsystems mit gleichzeitigem deutlichem Rückbau der | |
Förderschulstandorte.“ Lediglich Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein | |
würden das Recht auf inklusive Bildung „mit großem Engagement“ umsetzen, | |
hebt Rudolf hervor. | |
Aber [3][auch der Bund sei gefordert], so das Institut – auch wenn die | |
Kompetenz für den Bildungsbereich im deutschen Bildungsföderalismus bei den | |
Ländern liege, könne sich die Bundesregierung nicht komplett aus der | |
Verantwortung ziehen. So etwa bei den Beratungsangeboten, die Eltern von | |
Kindern mit Behinderung zur Verfügung stehen: Das Institut berichtet von | |
einem erheblichen Mehraufwand für Eltern, wenn sie ihre Kinder nicht auf | |
eine Förderschule schicken wollen – und von Beratungsstellen und | |
Lehrer:innen, die Eltern raten, von der Bewerbung auf einen Platz in einer | |
inklusiven Schule abzusehen. | |
Das Institut fordert die Bundesregierung dazu auf, ihre eigene | |
Zuständigkeit in der schulischen Bildung im Sinne eines kooperativen | |
Föderalismus zwischen Bund und Ländern zu stärken, etwa durch die | |
Einführung einer Gesamtstrategie und eines vertraglichen „Pakts für | |
Inklusion“ zwischen Bund und Ländern. Grundsätze eines inklusiven | |
Schulgesetzes müssten auch im Grundgesetz verankert werden, so Rudolf. | |
## Klimawandel bedroht Menschenrechte | |
Der Bericht greift neben der Inklusion von Kindern mit Behinderung aber | |
auch andere Themen auf: Klimapolitik, Situation an EU-Außengrenzen zu | |
Belarus, Schutz älterer Menschen, kind- und jugendgerechte Justiz, | |
Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen. | |
Bei der Klimapolitik stellt das Institut der Bundesregierung ein schwaches | |
Zeugnis aus: die politischen Anstrengungen würden bislang weder reichen, um | |
die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu reduzieren und so „Menschen vor den | |
aktuellen und künftigen Auswirkungen des Klimawandels zu schützen“. Noch | |
würde sich ausreichend mit der Frage beschäftigt, welche Art der | |
Klimawandelanpassung unternommen werden müsse, um Menschenrechte auch zu | |
bewahren, wenn „die Hütte brennt“, wie der stellvertretender Direktor des | |
Instituts Michael Windfuhr die Klimakrise beschrieb. | |
Angesichts der gravierenden Lage bewertet Windfuhr die strafrechtlichen | |
Verfahren gegen Klimaaktivist:innen der Letzten Generation als | |
unangemessen. „Nach menschenrechtlicher Bewertung stellen die Taten der | |
Aktivist:innen keine Form der Gewalt dar und rechtfertigen den | |
Präventivgewahrsam von 30 Tagen somit nicht“, so Rudolf. | |
Insgesamt stellt der Bericht 50 Empfehlungen an die Bundesregierung, um die | |
Anwendung des Menschenrechts in Deutschland zu verbessern. So fordert das | |
Institut etwa auch, dass Deutschland sich für eine internationale | |
Menschenrechtskonvention zum Schutz von älteren Menschen einsetzt. | |
7 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Leben-mit-Behinderung/!t5032186 | |
[2] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsschutz/berichters… | |
[3] /Juergen-Dusel-ueber-Barrierefreiheit/!5897236 | |
## AUTOREN | |
Tatjana Söding | |
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