# taz.de -- Popularität von Kochshows: Und jetzt noch eine Prise Träumerei | |
> Wer will, kann vierundzwanzig Stunden am Tag Menschen beim Kochen | |
> zusehen. Warum die Kochshow seit mehr als siebzig Jahren so beliebt ist. | |
Bild: Zeitloser Klassiker Kochshow: Minhthy Vu Steimle in „Cook at all Costs�… | |
Schnecken? Kandidatin Sue ist wenig begeistert. Escargots ist einfach nicht | |
ihr Ding. Wir sind bei „Cook at all Costs“, der neuen Netflix-Kochshow. | |
Hier müssen Hobby-Köchinnen Teile ihres potentiellen 25.000-Dollar-Gewinns | |
für Zutatenboxen bieten, deren Inhalt sie nicht kennen – und dann damit | |
kochen. Sue immerhin weiß, was sie da vor sich hat. Ein anderer Kandidat | |
lässt sich derweil erst einmal vom Moderator erklären, dass die Knolle, die | |
da vor ihm liegt, Topinambur heißt. Dass er außerdem Jakobsmuscheln gezogen | |
hat, obwohl er unter Schalentier-Allergie leidet, erschwert die Sache. | |
Wer mit „Cook at all Costs“ nichts anfangen kann, landet bei Netflix | |
schnell beim nächsten Küchen-Spektakel. In „Snack vs. Chef“ sollen die | |
Kandidat*innen Pringles-Chips oder KitKat möglichst präzise nachbilden. | |
Das Angebot an Kochsendungen wächst stetig, nicht nur bei Netflix. Die | |
Kochshow [1][ist eins der erfolgreichsten Unterhaltungsgenres], und das | |
seit mindestens 70 Jahren. | |
Nur: Wer guckt all diese Shows? Und vor allem: warum? Alles begeisterte | |
Hobby-köch*innen, die „Cook at all Costs“ gleich auf dem Tablet neben dem | |
Herd laufen lassen? Zweifelhaft. Dass der Kochshow-Boom zu mehr | |
Selbstkochen zu Hause führt, konnte jedenfalls noch keine Studie wirklich | |
feststellen, stattdessen [2][wächst der Markt für Convenience Food und | |
Lieferdienste]. Das Bundesministerium für Ernährung stellte vor zwei Jahren | |
fest: Mehr gekocht wurde wegen coronabedingt geschlossener Restaurants – | |
nicht dank irgendwelcher Shows. Dazu kommt: Bei „Snack vs. Chef“ und | |
ähnlichen Shows werden gleich zwei Kochrunden in gerade einmal 35-minütige | |
Folgen gequetscht. Wer soll da noch mitkochen? Das Kochen tritt hier hinter | |
den Wettbewerbsaspekt zurück. | |
Das war noch anders, als es losging mit dem Kochen vor der Kamera. In den | |
1950ern stellte sich zunächst in der BRD Clemens Wilmenrod an den Herd. Er | |
sollte dem Publikum neue Gerichte nahe bringen und erklären. Das beginnende | |
Wirtschaftswachstum machte Appetit auf Neues und der Traum von fernen | |
Ländern führte zu neuen Kreationen – wie Toast Hawaii. Ein paar Jahre | |
später, 1958, griff in der DDR Kurt Drummer vor der Kamera zur Kochmütze – | |
ebenfalls mit pädagogischem Anspruch. | |
## Entertainment tritt vor Nutzwert | |
Mit einem ähnlichen Konzept, allerdings einem Fokus auf die klassische | |
französische Küche, hatte in den USA ab 1962 Julia Child Erfolg: Ihre | |
Sendung „The French Chef“ wurde vielfach ausgezeichnet. Child ist so | |
berühmt, dass Meryl Streep sie 2009 im Kino verkörperte. | |
Mit der Kommerzialisierung des Fernsehens trat der erzieherische Nutzwert | |
zusehends in den Hintergrund, Entertainment wurde wichtiger. In Deutschland | |
wurde an den Töpfen plötzlich vor allem geplaudert. Kochsendungen | |
[3][wurden zu einer Art Subgenre der Talkshow], bei Alfred Biolek etwa, | |
oder bei Johannes B. Kerner. In den USA machte man indes aus dem Kochen | |
einen Wettkampf, sodass seither immer wieder gegeneinander – und um Geld – | |
gesotten, geschmort und gebraten wird, meist unter Zeitdruck und strengen | |
Regeln. Andere Länder machten es nach. | |
Natürlich gibt es weiterhin Shows mit dem klassischen Prinzip des | |
Vorkochens. „Dump & Stirs“ werden sie in der englischsprachigen TV-Branche | |
ein wenig herablassend genannt, in etwa „rein damit und rühren“, weil das | |
Konzept aus wenig mehr besteht, als dass jemand nach und nach Zutaten in | |
einen Topf kippt. Meistens leidlich prominente Koch-Persönlichkeiten, bei | |
Disney+ etwa die erfolgreiche australische Kochbuchautorin Donna Hay, bei | |
Netflix Nadiya Hussain, die mal „The Great British Bake Off“ gewonnen hat, | |
und im WDR der Sternekoch Björn Freitag. Beim US-amerikanischen Food | |
Network, einem Kabelsender, auf dem ausschließlich gekocht, gebacken und | |
gegessen wird, machen solche Formate fast das komplette Tagesprogramm aus, | |
bevor abends dann die Küchen-Wettbewerbe starten. | |
## Eher dekorativ als edukativ | |
Doch ebenso wenig wie man das Tennisspielen lernt, indem man sich Wimbledon | |
ansieht, dienen Kochsendungen der Weiterbildung. Das Zielpublikum von | |
Kochshows besteht eben nicht primär aus Hobby-Köch*innen. Eher aus | |
[4][Foodies]: Menschen, die sich fürs Essen und dessen Ästhetik begeistern. | |
Wie ein Kochbuch, das wegen seiner schicken Optik gekauft wird und im Regal | |
verstaubt, ist auch die Kochshow eher dekorativ als edukativ. Sieht | |
sinnlich aus und regt den Appetit an. Aber Mengenangaben und Backzeiten | |
sind ein paar Momente später wieder vergessen. | |
Ob man nun lieber einzelne Rezepte von Expert*innen erklärt bekommt oder | |
ambitionierten Amateur*innen dabei zu sieht, wie sie um den Titel des | |
„Masterchef“ konkurrieren. Ob man sich zu kulinarischen Reisen um die Welt | |
führen lässt, wie es der inzwischen leider verstorbene Anthony Bourdain mit | |
Sendungen wie „Eine Frage des Geschmacks“ oder „Parts Unknown“ tat, ode… | |
die Biografien ausgewiesener Meister-Köch*innen abtaucht. Am Ende sind | |
Kochshows in all ihrer Vielfalt vor allem Unterhaltung. | |
Eskapismus, ein Genuss nicht unähnlich der überkandidelten romantischen | |
Komödie oder des Horrorthrillers. Mit dem eigenen Alltag haben sie nicht | |
viel zu tun. Die Fähigkeiten der Amateur-Patissiers in „Das große Backen“ | |
erscheinen den meisten Zuschauer*innen in etwa so fremd wie das | |
musikalische Talent der Kandidat*innen bei „The Voice“. Und wenn Tim | |
Raue oder [5][Gordon Ramsay] ihre Haute Cuisine-Kreationen vor der Kamera | |
zubereiten, ist deren Genuss ebenso unerreichbar wie die Luxus-Immobilien | |
bei „Selling Sunset“. | |
## Mehrwert ist die Show | |
Das heißt keineswegs, dass Kochsendungen die Wirklichkeit so gar nicht | |
beeinflussen. Wenn in der Doku-Reihe „Chef’s Table“ Star-Köch*innen wie | |
Raue oder Massimo Bottura porträtiert werden, ist das immer auch Werbung | |
für deren Restaurants. Und die britische Lebensmittelbranche stellt seit | |
Jahren einen Zusammenhang fest zwischen der steigenden Nachfrage an | |
Backzutaten und einer neuen „Bake Off“-Staffel. Außerdem, das kann der | |
Autor dieser Zeilen aus eigener Erfahrung bestätigen, lässt sich die eine | |
oder andere Anregung in Sachen gelungener Geschmackskombinationen eben doch | |
mal abgucken und zu Hause umsetzen. | |
Wichtigster Mehrwert jeder Kochshow aber ist längst nicht mehr das Kochen, | |
sondern die Show; die für den Erfolg entscheidenden Zutaten stehen nicht | |
auf dem Herd, sondern dahinter: die Persönlichkeiten. Die Suche nach dem | |
spektakulärsten (und vermarkbarsten) Konzept ist längst nicht beendet. Bei | |
Netflix startet bereits im Januar die nächste Idee: In „Pressure Cooker“ | |
bezieht eine Gruppe professioneller Köch*innen gemeinsam ein „Big | |
Brother“-artiges Haus. Anhand der Qualität der Gerichte muss die Gruppe | |
jede Woche selbst entscheiden, wer auszieht. | |
23 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Patrick Heidmann | |
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