Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 50. Geburtstag von Tim Mälzer: Bei ihm schmeckt’s immer
> Kein Rezept und lieber der Nase nach: Am Freitag wird der Fernsehkoch,
> Gastronom und Kochbuchautor Tim Mälzer 50 Jahre alt.
Bild: Tim Mälzer, Fernsehkoch der Sendung „Schmeckt nicht, gibt's nicht“, …
Es gibt eine Szene bei „Dittsche“, in der in einer Minute ganz viel über
Tim Mälzer steckt. 2007 hat er einen Gastauftritt in der Comedyserie. Er
habe Freunde zu Gast, erzählt er, als er an die Theke des Eppendorfer
Grills tritt. Aber es sei was schiefgelaufen. Er brauche jetzt Currywürste
– „halb und halb“ – und Pommes. „Ich will das zu Hause fertig machen�…
er. Dittsche versteht nicht, warum Ingo ein Autogramm haben will, Mälzer
auch nicht („Das wollen die Leute normalerweise immer nur für Muttern“).
Und als Mälzer den Imbiss verlassen hat, hängt noch immer Olli Dittrichs
Frage im Raum: „Ist das ächt so nen Kochtitan?“
13 Jahre später ist die Frage beantwortet. Tim Mälzer, der am Freitag
seinen 50. Geburtstag feiert, ist derzeit Deutschlands einflussreichster
Koch.
In der kurzen „Dittsche“-Szene sind alle Aspekte angerissen, warum das so
ist: Es ist die spezielle Mischung aus Koch, Entertainer, Hamburger
Persönlichkeit und vor allem Gastronom, die Mälzer ausmacht.
Die Geschichte von Tim Mälzer beginnt 2003. Da geht auf Vox die Kochshow
„Schmeckt nicht, gibt’s nicht“ auf Sendung. Am Herd steht ein junger Mann,
schmächtig, mit kurzem Mecki und ziemlich ungesundem Teint, und er redet
schneller, als er hackt. Er ist zugleich Alter Ego wie Anti-Ego zu jenem
[1][jungen Koch, der mit seinen Fernsehshows von Großbritannien aus einen
Siegeszug angetreten hat:] Jamie Oliver und er kennen sich, sie haben
gemeinsam in London in der Küche gestanden.
Mit den Fingern rein
Mälzer und Oliver verbindet der Zugang zu ihrem Gegenstand. Die beiden
kochen einfach und der Nase nach – und mit einem heftigen Zug Richtung
yummy. Nichts ist tabu außer dem Spruch: „Ich habe da schon mal was
vorbereitet.“ Es geht leidenschaftlich und zuweilen erfrischend rustikal
zur Sache. Die Zitrone wird mit der Hand ausgedrückt. Kekse kommen in einen
Beutel und werden mit dem Nudelholz zerkrümelt, als wäre das eine neue Art
von Antiaggressionstherapie. Und Marinade massieren die beiden
kräftig-liebevoll in Hühner ein, als kneteten sie einem Berner Sennenhund
das Fell. In anderen Kochshows rufen Zuschauerinnen an, wenn Köche einmal
nicht den Löffel in der Hand hatten, Jamie und Tim greifen die Zutaten
regelmäßig mit den Fingern.
Oliver und Mälzer pflegen ein sinnliches Verhältnis zu den Lebensmitteln,
sie stehen auf Du und Du mit den Zutaten, den Menschen in ihren Studios und
auch den Zuschauern daheim, einer völlig neuen Zielgruppe. Für Hausfrauen
hat der Österreicher Johann Lafer im ZDF die Nachfolge von Max Inzinger
angetreten. Dort gibt es kalorienbewusste, praktische Küche.
Das Publikum, für das das Kochen mit dem Glas Rotwein am Herd beginnt,
zumeist mittelalte Männer, wird von Alfred Biolek bedient und darin
geschult, über Sinn und Unsinn der Knoblauchpresse zu räsonieren. Dort geht
zwar auch immer mal was schief, etwa wenn der Eierkuchen in der Pfanne
gewendet wird. Aber die hemdsärmeligen Jungköche gehen mit solchen Pannen
anders um: Sie wissen, wie man improvisiert.
Und das ist es, was sie ihrem neuen Publikum vermitteln, den Jüngeren, die
im Studentenwohnheim oder der ersten eigenen Wohnung das Kochen für sich
entdecken: Schaut nicht so sehr auf die Rezepte, geht nach eurem Geschmack.
Lieber Currywurst als Hühnerfrikassee? Dann denkt euch die geilste
Currysauce der Welt aus! Mälzer wie Oliver richten sich damit auch an die
erste Generation, die von Kindesbeinen an mit Fast Food Bekanntschaft
gemacht hat. Dass es schmeckt, das gibt’s – das ist der massive Einsatz von
Kräutern, Speck, Knoblauch, Oliven, Kapern und Parmesan.
Aber Mälzer auf seine geistige Verwandtschaft zu Jamie Oliver zu
reduzieren, das würde zu kurz greifen. Er tritt alsbald bei „Kerner kocht“
auf – [2][mit Sarah Wiener], Johann Lafer, Alfons Schuhbeck, Lea Linster
und Cornelia Poletto. Hier werden seine Entertainerqualitäten sichtbar. Der
junge Mann kann sabbeln, selten ist er mit seinen Gerichten wirklich,
wirklich zufrieden.
Mit „Kerner …“ und später „Lanz kocht“ nimmt das Koch-TV schon die
Big-Brother-Formate vorweg, die später ins Genre einziehen, an der Spitze
„Das perfekte Dinner“. Aber niemand kann sich origineller runtermachen als
Mälzer selbst, bei anderen hat er da Schwierigkeiten. Der Mann ist
unverbesserlich konstruktiv. Er wird in dieser Phase keine so große Rolle
spielen, und auch als die Fernsehköche sich auf der Mattscheibe als Coaches
strauchelnder Lokale annehmen, bleibt Mälzer außen vor. Kann man sich
vorstellen, dass er einem verzweifelten Gastronomen noch eins auf den
Deckel gibt, wie Frank Rosin, Christian Rach oder Steffen Henssler es tun?
Mälzer ist nicht so jemand. Er betont zwar oft das rotzfrech Hamburgische.
Aber auf die dicke Lippe ist ein sehr artikuliertes Hochdeutsch gelegt,
manchmal eine fast literarische Sprache. Es ist diese Ambivalenz, die ihn
auch für Talkshows interessant macht. Vom Habitus, von seinem Berufsethos
her ist er zwar einer, der aus der proletarischen Ecke kommt, aber wenn er
den Mund aufmacht, verschwimmt dieses Bild sofort. Und dann ist Mälzer
einfach grundehrlich mit dem, was er sagt – und fühlt. Kaum ein Mann hat im
deutschen Fernsehen so oft geheult wie er.
Längst ist aus dem Fernsehkoch ein erfolgreicher Gastronom und
Kochbuchautor geworden. In Hamburg betreibt er im Schanzenviertel die
Bullerei, gründet später die Restaurantgruppe Hausmann’s und steigt mit der
Speisenwerft ins Eventcatering ein. Ab 2010 erscheinen Kochbücher, die sich
mit Klasse und sehr modern der deutschen Küchentradition widmen. Erst
„Mälzer & Witzigmann“, dann „Heimat“ und „Neue Heimat“, alle Bests…
Mälzer bereitet das Publikum so auf eine Küche vor, die regional und
saisonal funktioniert und im Gourmetbereich von manchen heute neue deutsche
Küche genannt wird.
Es geht ums Gewinnen
Das Kochfernsehen tritt in dieser Zeit schon wieder in einen neuen Zyklus
ein. Schon seit den Zeiten von Biolek ist klar: Menschen beobachten andere
Menschen am Herd am wenigsten aus dem Interesse heraus, etwas nachzukochen.
Also haben die Macher jedes pädagogische oder didaktische Interesse
aufgegeben. Scheitern und gewinnen ist nun das Oberthema.
Die Fernsehküche übernimmt Formate von Stefan Raab („Grill den Henssler!“)
und die Comedy-Challenge-Formate von Joko und Claas. Ende 2014 geht Mälzer
mit „Kitchen Impossible“ bei Vox auf Sendung, in der Pilotfolge ist der
Berliner Sternekoch Tim Raue zu Gast. Das Format, bei dem sich zwei Köche
ein Duell liefern und nach den außergewöhnlichsten Restaurants der Welt
schicken, um ein Gericht nachzukochen, läuft inzwischen länger als jede
frühere Mälzer-Show. Dort begegnet man immer einem großartigen Analytiker,
der aber in der Umsetzung ein unverbesserlicher Intuitivkoch ist. Niemand
scheitert dort schöner als Mälzer selbst.
„Er hat bei ‚Kitchen Impossible‘ zu sich selbst gefunden“, sagt Vijay
Sapre, der Chefredakteur des Food-Magazins Effilee. Denn die Sterneküche
sei schon immer ein Thema für ihn gewesen. Aber Mälzer fehle für das Metier
der Hang zur Präzision, die „Liebe zur Pinzette“. In seiner Show hat er nun
die kulinarische Crème de la Crème zu Gast, öffnet ihr und dem Publikum für
die Trends und Innovationen Augen und Gaumen. Er ist auf unterhaltsamste
Weise zum Impresario und Botschafter der Weltküche geworden. Und lehrt mit
seiner Breitenwirkung mehr, als es besternte Namen wie Joachim Wissler oder
Christian Bau je vermögen.
Also Dittsche, noch Fragen?
22 Jan 2021
## LINKS
[1] /Die-besten-Kochbuecher-des-Jahres/!5731171
[2] /Gutes-aus-dem-Garten/!5598945
## AUTOREN
Jörn Kabisch
## TAGS
TV-Koch
Geburtstag
Kochen
Gastronomie
TV-Serien
Kochshow
Fernsehen
Essen
Essen
Kochbuch
## ARTIKEL ZUM THEMA
Popularität von Kochshows: Und jetzt noch eine Prise Träumerei
Wer will, kann vierundzwanzig Stunden am Tag Menschen beim Kochen zusehen.
Warum die Kochshow seit mehr als siebzig Jahren so beliebt ist.
Cooking with Paris auf Netflix: Vergoldete Zwiebelringe
Paris Hilton hat jetzt eine eigene Kochshow auf Netflix. Es geht zwar nicht
ums Kochen, aber dafür gibt es viel Chaos, Extravaganz und Glitzer.
Nachruf auf TV-Moderator Alfred Biolek: Er hörte einfach zu
Alfred Biolek war einer der einflussreichsten TV-Show-Erfinder hierzulande.
Im Alter von 87 Jahren ist er nun gestorben.
Was nach einem Festessen gut tut: Der allerletzte Gang
Sieben Ratschläge, wie man nach einem üppigen Mahl sein Völlegefühl los
wird. Kleiner Spoiler: Die Zigarette und der Espresso sind es nicht.
Der kulinarische Jahresrückblick: Und, hat’s geschmeckt?
2020 war wirklich verdammt bitter. Aber es war auch süß, sauer, salzig und
umami. Unsere Autor:innen berichten von ihren kulinarischen Höhepunkten.
Die besten Kochbücher des Jahres: Oft kopiert, nie erreicht
Ruth Rogers und Rose Gray haben das River Café in London zur Legende
gekocht. Nun gibt es ihre Rezepte endlich in einer deutschen Gesamtausgabe.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.