# taz.de -- Nachruf auf TV-Moderator Alfred Biolek: Er hörte einfach zu | |
> Alfred Biolek war einer der einflussreichsten TV-Show-Erfinder | |
> hierzulande. Im Alter von 87 Jahren ist er nun gestorben. | |
Bild: Er lebte so, wie es nur seine eigene Glücksfähigkeit zuließ: Alfred Bi… | |
Meine erste Erinnerung an ihn rührt aus einer Zeit, als er noch nicht | |
prominent war, eine freundliche, eine auch der leichten Einschüchterung. | |
Hotel Kaiserhof am Hamburger Hauptbahnhof, 47 Jahre ist das her, Casting | |
für die wahnsinnig populäre Rudi-Carrell-Show „Am laufenden Band“. | |
Meine Mutter war auf die Bewerbungsidee gekommen und wurde in die Auswahl | |
genommen, sie plante bestimmt insgeheim die Verteilung des Gewinns, ich war | |
nervös und stumpf zugleich, spätjugendlich eben. Saßen so im Foyer, durch | |
das ein eher kleiner Mann wuselte, mit angespannter Miene, fokussiert, so | |
ein Casting ist wohl kein Spaß. | |
Dann kam er auf uns beide zu, auf Eile die Aura getrimmt, gab meiner Mutter | |
die Hand, dann mir und sagte: „Herzlich willkommen, wir schaukeln das | |
schon, mein Name ist Alfred Biolek, seien Sie ganz Sie selbst.“ | |
Und dann lächelte er mich an, ehrlich gesagt, ziemlich viele | |
Zehntelsekunden rätselhafterweise, meine leichte Beklommenheit eher | |
steigernd, irgendwie auch beruhigend: Nichts zeigte an, dass er schon | |
damals einer der einflussreichsten TV-Show-Erfinder und -Produzenten war: | |
Alfred Biolek war damals ja noch längst keine TV-Figur der opulentesten | |
Bekanntheit, der liebste Gesprächsgastgeber. | |
## Doktor der Rechtswissenschaft | |
Der Spross aus sudentendeutscher Familie, geboren 1934 in Freistadt, nach | |
der Vertreibung 1946 im Schwäbischen eine neue Heimat findend, war | |
eigentlich, so der Wille des Vaters, zum Juristen bestimmt. Alfred Biolek | |
wurde auch einer, ein hoch ehrgeiziger Doktor der Rechtswissenschaft, aber | |
sein Drang, zivilrechtlich nötigen Frieden zu stiften, war eher schwach | |
ausgeprägt. | |
Ihn zog es zum Fernsehen, zum jungen Sender ZDF, hier und da betreute er | |
kleinere Nischenproduktionen, seine Berufsbiografie war eine mit vielen | |
Aspekten. Er sagte später mal: „Ich wollte Priester werden, Zirkusdirektor | |
oder Dirigent. Und ich bin von allem etwas geworden.“ | |
Und das stimmt ja auch. Überall, heute kaum vorstellbar, setzte er neue | |
Standards gegen alle Gewohnheiten und Usancen. Seine Talkshows etwa: Waren | |
die journalistisch nicht pure Affirmation? War das überhaupt Journalismus? | |
Nicht eher Plauderei ohne Inhalt? Bioleks Methode war in der Tat: seine | |
Gäste menschlich aufscheinen zu lassen, allzu Privates mussten sie nicht | |
preisgeben. | |
Damals dominierte im Talkshowgewerbe, auch im politischen, noch die schwer | |
verdauliche Kunst der hohepriesterlichen Einvernahme, Motto: Alle sind | |
unzulänglich und müssen in den Staub getreten werden, abgesehen vom | |
wirklich neugierig interessierten Günter Gaus pflegten alle Moderatoren | |
diesen Stil, Besserwisserei, oft ohne Sinn und Verstand. Biolek aber hörte | |
zu. Und servierte, absichtslos, Woche für Woche Lehrstücke in puncto „Wie | |
bringe ich meine Interviewten zu Auskünften, von denen sie selbst nicht | |
dachten, dass sie sie machen würden?“ | |
## Lebenserfahrenes Kichern | |
Biolek war in seinen Talks immer der Gründlichste, ob mit Jessye Norman, | |
Klaus Wowereit oder einer unbekannten Person, die gerade ein interessantes | |
Buch geschrieben hat. Und sprach obendrein mit seinem häufig ausgebrachten | |
Lachen, ein Keckern, ein mitwisserisches, lebenserfahrenes Kichern, nach | |
dem sich seine Gäste noch mehr preisgaben. | |
Er war im alten Fernsehen wirklich ein Mann der gewissen Distinktion. „Bios | |
Bahnhof“, eine Art Show in der ARD, die sich bei den künstlerischen | |
Darbietungen nicht an den Hitparaden orientierte, sondern geschmacklich am | |
mittleren Bildungsbürgertum – Leute wie Kate Bush, Peter Gabriel, Nina | |
Hagen, die NDW-Band The Wirtschaftswunder oder die um ihren nächsten | |
Karriereschritt kämpfende Gitte Haenning präsentierte er wie Juwelen, die | |
nun vor laufenden Kameras aufpoliert zu werden verdienen. | |
Im Frühwinter des Jahres 1991 hätte es, gemessen an den moralischen | |
Standards der fünfziger bis siebziger Jahre, mit der Karriere Bioleks zu | |
Ende sein können. Bei der RTL-Show saß damals der [1][Filmemacher und | |
schwule Aktivist Rosa von Praunheim] auf dem „heißen Stuhl“ und outete – | |
das deutsche „outen“ wurde bei dieser Gelegenheit erfunden – Alfred Biolek | |
als homosexuell: „Warum sagt Biolek nicht, dass er schwul ist?“ | |
Der indiskret ums kleine, damals ja auch noch: „schmutzige“ Geheimnis in | |
eigener Sache Gebrachte bekannte später, er habe unter dieser Enthüllung | |
auch gelitten, ja, er sei schockiert gewesen – eine wahre Aussage für einen | |
Mann, der aus einer Generation stammt, die es nicht gewohnt war, über | |
Privates zu sprechen, auch mit Freund*innen, ganz zu schweigen in der | |
Familie. Er räumte immer ein, dass dieses unfreiwillige Outing ihn freier | |
gemacht habe, ihm eine Last genommen habe. | |
## Präsenz wuchs nach Outing | |
Schwul war er seit seinem Umzug von Mainz nach München, klar, schon immer, | |
bewegte sich in der Bohème rund um [2][Rainer Werner Fassbinder], kannte in | |
der Deutschen Eiche gewiss alle – und lebte so, wie es nur seine eigene | |
Glücksfähigkeit zuließ. | |
Biolek sollte nach dem völlig korrekten Outing durch Rosa von Praunheim | |
rasch merken, dass seine öffentliche Präsenz sich nicht minderte, sondern | |
eher noch wuchs. 1994 lancierte sein Sender, der WDR, mit ihm die | |
Nachmittagsshow „alfredissimo!“ – eine Kochsendung. Na und? Küchenshows … | |
es im deutschen Fernsehen lange schon, aber Biolek machte daraus das | |
unterhaltsamste Format. In jede Sendung kam eine neue prominente Person. | |
Der Kochanalyst und Blogger Matthias Stelte erinnert sich gern: „Die eher | |
schlecht gelaunte und offenbar wenig kochbegabte Rita Süssmuth machte eine | |
Art Pfannkuchen mit Speck und Kartoffeln und kaltem Kaffee, ein Gericht aus | |
dem Bergischen von ihrem Vater. Wim Thoelke kochte ein Gericht, dass er | |
nach eigenen Angaben selbst als Student erfunden hat: Weil es in der Wüste | |
nix gegeben habe, die Beduinen aber auch Vitamine brauchen, gab es jede | |
Menge Zwiebeln. Und Karl Dall knallt Nudeln auf ein Blech, und dann kommt | |
ganz viel süßsaure Asia-Soße drauf, dieses Gericht hat er in den sechziger | |
Jahren erfunden und heißt Saunudeln, weil die Küche hinterher aussieht ‚wie | |
Sau‘. Alles sehr unterhaltsam.“ | |
## Fantasien von Opulenz | |
Soziologische Studien der freundlicher und mediterraner werdenden | |
Deutschen, dolce-vita-kompatibel – und Biolek als deren Lehrmeister. Und | |
sowieso, die Küche selbst – Zehntausende wollten so ein Küchenwohnzimmer, | |
keine resopaligen, desinfiziert wirkenden Labore für | |
Nahrungsmittelzubereitung. Eher die Fantasien von Opulenz und | |
Gastfreundschaft: Biolek war ein Stylemaker für den mittelschichtigen | |
Mainstream. | |
Dazu und überall: die phallisch-monströse, Tom-of-Finland-artige | |
Pfeffermühle: Size did matter – hieß das unfüglicherweise und ist doch | |
seither in allen deutschen Küchen ein Must. | |
Alfred Biolek hat, so sagen Freund*innen, nicht in jeder Hinsicht sein | |
privates Glück gefunden, Detaillierteres wissen nur sie. Der eine Partner | |
nahm ihn finanziell aus, auf den anderen war kein Verlass – und alle waren | |
sie vielleicht auch zu sehr nach bacherlormäßiger Schönheit ausgesucht, wer | |
weiß das schon. 2010 fiel er in Köln eine Treppe herunter, lag im Koma – | |
und wurde nie wieder der Alte. Er war ja längst eine Ikone, ein Mann, mit | |
dem das öffentlich-rechtliche Fernsehen prunkte und punktete sowieso. | |
Ehrungen hat er in Fülle erfahren – ein Mann mit dem meisterlichen Gespür | |
für das Populäre, das noch nicht ins Werk gesetzt wurde. Kurz nach seinem | |
87. Geburtstag ist er am Freitag gestorben. Er hat Zuschauenslust gestiftet | |
– und konnte in aller Professionalität auch zu einem Lächeln finden. | |
23 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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