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# taz.de -- Kochshow-Boom im Fernsehen: Couchpotatoes im Speckmantel
> Nie gab es im deutschen Fernsehen soviele Kochshows wie heute. Doch die
> wenigsten Zuschauer lockt es selbst an den Herd.
Bild: Lecker Haferschleim von Popkoch Jamie Oliver.
Johann Lafer ist vermutlich der letzte Mensch, der noch an die pädagogische
Kraft des Fernsehens glaubt. Nicht aus Eitelkeit oder für sechsstellige
Summen hetzt er von SWR zu ZDF und NTV, so versichert er immer wieder in
Interviews, nein, er will den Menschen da draußen ganz einfach helfen:
"Eine ganzen Generation weiß nicht mehr, wie gekocht wird. Wir TV-Köche
sind die Hüter der Überlieferung."
Diese ungeheure Verantwortung drückt Lafer mittels einer exakten
Performance aus. Er verneigt sich vor der Tradition und schlägt mit stets
pathologisch gesenktem Kopf sein Joghurt-Minze-Dressing, laut und hektisch,
denn er hat es eilig, es gibt noch so viel zu tun. Ist die Sauce dann
endlich fertig, schiebt sich Lafer einen gut gefüllten Löffel in den Mund,
schmatzt "mhmmschmecktlecker!" und starrt anschließend, so will es das
Ritual, zwei Sekunden aufmunternd in die die Kamera. "Das könnt ihr auch",
soll das bedeuten: "Fangt endlich an!"
Noch nie wurde im deutschen Fernsehen so viel gekocht: Über 50 Sendungen
waren 2007 jede Woche im zu sehen, in den Studios geben sich Tim Mälzer,
Sarah Wiener oder Ralf Zacherl den Löffel in die Hand. Doch zum Erstaunen
der Soziologen erzeugt die medial-kulinarische Gleichschaltung nicht den
erwarteten Effekt: Die Deutschen kochen nicht mehr, sondern immer weniger,
durchschnittlich nur noch an jeden dritten Tag; gerade einmal eine halbe
Stunde Zeit nehmen sie sich zum Erzeugen und Verspeisen der drei täglichen
Mahlzeiten.
Womöglich hängt dieser kulturelle Niedergang sogar direkt mit der Arbeit
von Kochvater Johann und Kollegen zusammen. "Wir schauen Kochsendungen, um
nicht mehr selbst kochen zu müssen", erklärt der Kulturwissenschaftler
Robert Pfaller und prägt in Abgrenzung zum Mitmachwahn im Web 2.0 oder beim
Call-In-TV den Begriff der "Interpassivität". - "Kochen dient vielen
Menschen zur Erholung. Interpassives Verhalten besteht nun darin, diese
Erholung an den Fernseher zu delegieren."
Kantine, Home-Service und Formfleisch: Um satt zu werden, müssen wir keine
Knochen mehr rösten, sondern die Kühlschranktür oder das Handy aufklappen.
Das Kochen wird vom Zwang der Kalorienproduktion entlastet, entfernt sich
immer mehr aus dem Alltag, wird zu einem Hobby, einer zwecklosen
Liebhaberei, die wir staunend im Fernsehen betrachten und selbst nur noch
an hohen Feiertagen ausüben. Inspiriert vom TV-Koch werkeln dann sogar oft
Männer am freistehenden Induktionsherd, wie der Soziologe Jean-Claude
Kaufmann beobachten hat: "Sie sperren sich in der Küche ein, kochen ein
Meisterwerk, über das sie sich ausführlich auslassen. Am Ende erwarten sie,
dass man sie lobt."
Auch die Bild-Zeitung unterstützt den Trend zum Koch-Freak. Das Blatt
fordert seine Leser auf, ein "witziges Kochvideo" aufzunehmen, der Gewinner
bekommt eine Einladung zu "Kochen bei Kerner". "Ich ahne jetzt schon, was
die Leute alles anstellen werden, um dabei zu sein", freut sich Bild-Chef
Kai Diekmann auf intellektuelle Höchstleistungen: "Sie werden auf der
Zugspitze kochen, unter Wasser, auf der Kühlerhaube oder einfach ganz
nackt."
Komponisten, Schriftsteller und Bildhauer galten lange Zeit als Handwerker
und Dienstleister und wurden erst im 18 und 19. Jahrhundert zu genialen
Künstlern geadelt. Mit 200 Jahren Verspätung machen die Köche nun dieselbe
Entwicklung durch. Tim Mälzer oder Johann Lafer verfügen über ähnlich hohe
Bekanntheitswerte wie Popstars, ihre Kochbücher dienen weniger der
Rezeptvermittlung als der Selbstdarstellung. Wer einmal in chronologischer
Reihenfolge alle Kochbücher von Jamie Oliver durchblättert, kann den
Meister nicht nur beim Tratsch mit Freunden und beim Markteinkauf
beobachten, sondern auch beim allmählichen Zunehmen - eine selten erreichte
Einheit von Werk und Autor. Und bei, "Born to Cook", "Kerner kocht" oder
der "Kocharena" ging und geht es nicht um Produktion von Mahlzeiten,
sondern um Präsentation von Kochstars: Der Wasserdampf übernimmt die
Funktion des Trockeneisnebelns, Gasflammen sorgen für die passende
Beleuchtung und das und das Bratenfett für die Soundeffekte.
Der sich ausdifferenzierende gesellschaftliche Raum der Kochkünstler weist
genau jene Effekte auf, die der Soziologe Pierre Bourdieu für die Literatur
beschrieben hat. Auf der einen Seite des Feldes befinden sich die
"Häretiker", etwa der deutsche Jamie-Oliver-Klon Tim Mälzer, der für ein
expressives, unkonventionelles Kochen eintritt, bei dem auch einmal eine
Bifi verarbeitet werden darf. Gleichzeitig berichtet Mälzer gerne von
seinem Burn-Out-Syndrom, dem Gütesiegel einer exzessiven Starbiographie.
Sarah Wiener besetzt eine Mittler-Position und macht darüber hinaus vor
allem Frauen Identifikationsangebote. Auf der anderen Seite des Felds
befinden sich Alfons Schuhbeck und Johann Lafer. Diese "orthodoxen" Köche
verzichten in ihrem erzieherischen Gestus weder auf das von den Rebellen
verschmähte Fachvokabular ("pochieren"), noch auf exakte Maßangaben ("Gurke
in 1,5 Zentimeter dicke Scheiben schneiden").
Lafers ständig geäußerte Sorgen um den Zustand der deutschen Esskultur
verdankt sich also auch einer feldinternen Distinktionsstrategie: Er
serviert seinem Publikum nicht nur Lamms-Medaillons im Wirsingmatel auf
Bärlauchgnocchi, sondern auch milde Vorwürfe fürs interpassive Verhalten.
So wie es längst schon Betroffenheitspop gibt, entsteht nun eben auch
Betroffenheitskochen. Johann Lafer ist der Herbert Grönemeyer der Küche.
11 Jan 2008
## AUTOREN
Jakob Schrenk
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