| # taz.de -- Eric Clapton canceln?: Der Fascho aus der Flasche | |
| > Der Rapper Kanye West wird wegen antisemitischer Statements gecancelt. | |
| > Mit Eric Clapton wäre ein anderer Kandidat seit langem fällig. | |
| Bild: Lobte Faschisten und nahm der verzerrten Gitarre den Stachel: der Musiker… | |
| Jetzt wird also [1][Kanye West gecancelt]. Das scheint nachvollziehbar. Der | |
| Mann hat in letzter Zeit zu viel Mist geredet. Man bekommt langsam den | |
| Eindruck, er sucht so lange nach immer drastischeren Provokationen, bis man | |
| ihm selbst bei McDonald’s keinen Burger mehr verkauft. Einige Menschen | |
| wollen unbedingt geliebt werden, andere wie West wollen gehasst werden. | |
| Warum auch immer. | |
| Angeblich leidet er unter psychischen Problemen. Das könnte der Grund sein. | |
| Aber gilt das nicht für viele Nazis und Berufsprovokateure? Sympathischer | |
| werden sie dadurch nicht. Ein Nebeneffekt bei Ye ist, dass es kaum mehr | |
| Spaß macht, seine Platten zu hören, auch die alten nicht. | |
| Nun ist Kanye West nicht der erste Megastar, der mit Sympathien für | |
| Faschisten an die Öffentlichkeit geht. Und soooo aufgeregt reagierte die | |
| Öffentlichkeit nicht immer. | |
| Quizfrage: Welcher britische Superstar verkündete 1976 während eines | |
| Konzerts: „I used to be into dope, now I’m into racism“? Und damit | |
| nachlegte: „Dies ist England, dies ist ein weißes Land, wir wollen keine | |
| schwarzen ‚Wogs‘ und ‚Coons‘ hier haben. Wir müssen ihnen klarmachen, … | |
| sie hier nicht willkommen sind. England ist für weiße Menschen, Mann! […] | |
| Schmeißt die Wogs raus! Keep Britain white!“ | |
| ## Aneignung afroamerikanischer Blues-Techniken | |
| Hundert Punkte für alle, die wissen: das war Eric Clapton. Auch da wunderte | |
| man sich einst, dass ein Vertreter der vermeintlichen Gegenkultur der | |
| 1960er Jahre den Wahlkampfslogan der faschistischen National Front | |
| zitierte. Ein Musiker! Zumal einer, der seine ganze musikalische | |
| Inspiration aus Schwarzer Musik zog. | |
| Clapton müsste heute wieder im Zentrum einer jeden Debatte über kulturelle | |
| Aneignung stehen. Man bedenke, dass er seinen Ruhm überwiegend seiner | |
| Aneignung afroamerikanischer Blues-Techniken verdankt. Claptons erster | |
| Solo-Nr.-1-Hit war eine Coverversion von Bob Marleys „I Shot the Sheriff“. | |
| Mit solchen Dingen verdiente er ein Vermögen und konnte Millionen von Pfund | |
| anhäufen. | |
| Dennoch wollte er [2][alle Jamaikaner aus dem Vereinigten Königreich | |
| entfernen] lassen. Dabei verwies er ausdrücklich auf den konservativen | |
| Politiker Enoch Powell, dessen Ansichten teils als faschistisch kritisiert | |
| wurden. Clapton wie West, ein Fall von bipolarer Störung? | |
| Nein, es war nur der Alkohol. So entschuldigte er sich später. Wobei ich | |
| viele Geschichten kenne, in denen Menschen im Suff Dinge sagen, die sie | |
| sich sonst nicht zu sagen trauen. Aber keine, in der jemand durch Schnaps | |
| zum Faschisten geworden wäre. Claptons Verteidigung wirkt dünn. Zumal er | |
| trotz regelmäßiger Beteuerungen, er sei nie ein Rassist gewesen, Enoch | |
| Powell immer wieder verteidigte. Noch 2007 bezeichnete er dessen Thesen als | |
| „wichtig“. | |
| ## Semiotik der Popmusik verändert | |
| Echten Schaden nahm Claptons Karriere dadurch nie. Auch seine öffentliche | |
| Gegnerschaft zur Initiative der Labour Party, die Fuchsjagd verbieten zu | |
| lassen, [3][und zuletzt sein Engagement gegen Covid-Impfungen], das | |
| Maskentragen und Lockdowns wie in den Singles „Stand And Deliver“ (mit Van | |
| Morrison, 2020) und „This Has Gotta Stop“ (2021) geäußert, führten | |
| lediglich dazu, dass sein langjähriger Freund, der Blues-Gitarrist Robert | |
| Cray, eine gemeinsame Tour cancelte. | |
| Persönlich nehme ich Clapton aber am meisten übel, wie er die Semiotik der | |
| Popmusik verändert hat, indem er der verzerrten Gitarre den Stachel zog. | |
| Das zunächst von Blues- und R & B-Gitarristen wie Hubert Sumlin, Guitar | |
| Slim und Ike Turner entdeckte und dann von Sixties-Rockern wie Pete | |
| Townshend, Jimi Hendrix oder auch Lou Reed zu einem Medium der Wut, der | |
| Raserei, der Auflehnung und des Widerstands geformte Zeichen wurde durch | |
| Clapton’sche Beiträge zu einem der Sentimentalität, des Selbstmitleids, der | |
| Verlogenheit und des Kitschs. | |
| Allen voran sein Spiel auf dem Beatles-Song „While My Guitar Gently Weeps“ | |
| (1968) oder seiner Jammerode „Layla“ (1971). Der Mann bereitete den Weg für | |
| Kuschelrock und hartrockende TV-Auto-Werbung. Er nährte den Boden für den | |
| durchgerockten spießigen Mainstream. Und der traut sich, wieder Dinge zu | |
| sagen, wie … | |
| 17 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Detlef Diederichsen | |
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