# taz.de -- Bundesweiter Warntag: Vor dem Sirenengeheul | |
> Am Donnerstag wollen Bund, Länder und Kommunen üben, wie die Bevölkerung | |
> im Katastrophenfall gewarnt werden kann. Die Erwartungen sind hoch. | |
Bild: Hier heult es noch ganz altmodisch und laut: Warnsirene in NRW | |
BERLIN taz | Die Anspannung beim obersten Katastrophenschützer der | |
Republik, dem Präsidenten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und | |
Katastrophenhilfe (BBK), Ralph Tiesler, ist am Dienstagvormittag deutlich | |
zu merken. Denn: An diesem Donnerstag sollen bundesweit Warnsysteme für die | |
Bevölkerung getestet werden. Nach der [1][Flutkatastrophe im Ahrtal] im | |
vergangenen Jahr und einer unklaren Bedrohungslage durch den [2][russischen | |
Angriffskrieg in der Ukraine] haben funktionierende Warnsysteme für die | |
Menschen eine bisher unterschätzte Bedeutung bekommen. | |
Nervosität kann der Rückblick auf den bundesweiten [3][Warntag 2020] | |
erzeugen. Dieser war schlichweg ein Desaster. Meldungen wurden nicht oder | |
verspätet ausgespielt, das Hauptsystem Mowas – kurz für Modulares | |
Warnsystem –, das für die Verbreitung der Nachricht sorgen sollte, war mit | |
der Flut an Informationen überlastet und leitete sie stellenweise nicht | |
weiter. Das damals noch von Horst Seehofer (CSU) geleitete | |
Bundesinnenministerium musste den Warntag als „fehlgeschlagen“ bezeichnen. | |
Der damalige Chef des BBK, Christoph Unger, musste im Anschluss seinen | |
Posten räumen. | |
Jetzt soll alles anders werden. Am Donnerstag gegen 11 Uhr soll die | |
Bevölkerung erneut probeweise gewarnt werden. Was genau in der Nachricht | |
stehen wird, ist noch nicht bekannt. Auf jeden Fall soll sie über | |
verschiedene Kanäle laufen. „Warnmix“ nennen dies Expert:innen. | |
Bundesweit sollen Sirenen heulen. Via Radio und Fernsehen soll die | |
Warnnachricht verbreitet werden. Auch soll die Botschaft auf den Anzeigen | |
in Zügen und an Bahnsteigen zu sehen sein. Ebenso sollen die [4][Warnapps | |
Nina] und Katwarn die Meldung anzeigen. | |
Für Juliane Seifert, Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, ist die | |
Warnung der Bevölkerung „essenziell“. Das BBK sei sehr gut vorbereitet auf | |
den Tag, sagt sie. „Wir wollen die Bevölkerung sensibilisieren.“ Viel | |
Hoffnung liegt auf dem sogenannten [5][Cell Broadcasting], einer | |
Technologie, die eine Warnnachricht direkt aufs Handy schickt. Mindestens | |
jeder Zweite, der ein Mobilfunktelefon nutzt, soll über diesen Weg erreicht | |
werden. | |
## Neue Hoffnung: Cell Broadcast | |
Allerdings müssen die Voraussetzungen stimmen: Das Handy braucht ein | |
entsprechendes Update, das Gerät muss angeschaltet sein, sich nicht im | |
Flugmodus befinden, und die Nutzer:in darf sich nicht in einem Funkloch | |
aufhalten. Ob die Warnung nur als SMS zu sehen ist, das Telefon zu | |
vibrieren beginnt oder gar ein Lichtblitz aufzeigt, kommt auf den Anbieter | |
und auf die Einstellungen an. | |
In den Niederlanden gibt es Cell Broadcast bereits seit zehn Jahren. | |
Anfangs seien dort nur ein Zehntel der Bevölkerung erreicht worden, heißt | |
es. In Deutschland will man am Donnerstag nun erste Erfahrungen mit der | |
Technologie sammeln und diese dann ab Anfang des kommenden Jahres | |
kontinuierlich in die Warnkette im Katastrophenfall integrieren. Für die | |
Warnung gibt es aber lediglich Platz für 500 Zeichen. Ob im Ernstfall | |
tatsächlich auch Anweisungen an die Bevölkerung, was nun zu tun ist, | |
schnell weitergegeben werden können, wird sich zeigen. | |
Der Warntag wird aber vor allem auch ein Testlauf für Einrichtungen und | |
Geräte, die traditionell mit der Warnung vor Katastrophen oder vor | |
Jahrzehnten auch bei Fliegeralarm in Verbindung gebracht werden: Sirenen. | |
Rund 35.000 Stück davon gibt es bundesweit. Allerdings sind viele in einem | |
desolaten Zustand und nicht an neuere Systeme angeschlossen. Bis 2022 hat | |
der Bund mehr als 80 Millionen Euro in den Ausbau von Sirenen investiert. | |
Mehr Geld soll folgen, aber auch die Länder sind bei den Investitionen | |
gefragt. | |
Sirenen, Informationen über die Medien, Cell Broadcasting und Warnapps: Vom | |
Warnmix ist auch BBK-Chef Ralph Tiesler überzeugt und sieht sich und seine | |
Behörde auch gut gewappnet gegen [6][Sabotage oder Cyberattacken]. Tiesler | |
hofft, dass über den Warnmix möglichst viele Menschen im Notfall informiert | |
werden können, egal wo sie sich aufhalten und was sie gerade tun. | |
Allerdings: Der Bund ist nur im Verteidigungsfall zuständig, die | |
Bevölkerung zu warnen. | |
## Zu wenig Geld und Ausrüstung in den Kommunen | |
Die Länder müssen entsprechende Systeme installieren, wie die Menschen in | |
Städten, Dörfern, Regionen über Überschwemmungen, Stürme oder Brände | |
informiert werden. Die Beteiligung der Kommunen am Warntag ist demnach | |
freiwillig. | |
Leon Eckert (Grüne) sitzt im Bundestag und trommelt seit Monaten für mehr | |
Bewusstsein beim Thema Katastrophenschutz. Ist die Bevölkerung gut | |
vorbereitet im Fall des Falles? „Leider nein“, sagt Eckert. Gegenüber der | |
taz sieht er vor allem Defizite in der Ausstattung der Kommunen. „Die | |
Verantwortlichen vor Ort wissen am besten, welche Gefahren den Menschen | |
dort jeweils drohen können“, sagt Eckert. | |
Daher sollten die Kommunen die vom Bund erarbeiteten Zivilschutzinhalte an | |
die lokalen Risiken anpassen und den Menschen vor Ort nahebringen. Aber: | |
„In den Kommunen fehlt oft das Geld, diesen Bildungsauftrag umzusetzen.“ | |
Skeptisch sieht er auch den mangelhaften Ausbau von modernen Sirenen. „Da | |
sowohl Bund, Länder als auch Kommunen zuständig sind, fühlt sich niemand in | |
der Verantwortung, eine ausreichende Finanzierung aufs Gleis zu setzen“, so | |
Eckert. | |
Der Investitionspakt für mehr Bevölkerungsschutz, den die | |
Innenministerkonferenz Ende vergangener Woche beschlossen hat, kommt dem | |
Grünen-Politiker zu spät. „Wir müssen jetzt in die neueste Technik auf | |
breiter Ebene investieren, um eine lückenlose Abdeckung in der gesamten | |
Bundesrepublik zu erreichen.“ | |
Am Donnerstag gegen 11.45 Uhr wird dann eine weitere Nachricht ausgespielt, | |
die das Ende der Übung ausruft. Zu jeder Warnung gehört schließlich auch | |
eine Entwarnung. | |
5 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
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