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# taz.de -- Blamage beim bundesweiten Warntag: Der Alarm, der nicht losging
> Der Warntag sollte für Katastrophen sensibilisieren. Doch statt
> Sirenengeheul herrschte am Donnerstag seltsame Stille. Was war da los?
Bild: Keine schlafenden Hunde wecken: Vierbeiner konnten am Warntag entspannt d…
Bundesweiter Warntag? Was soll das?
„Es geht nicht darum, Angst und Hysterie zu schüren. Das wäre
kontraproduktiv“, sagte der Präsident des [1][Bundesamts für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe], kurz BBK, Christoph Unger
vergangene Woche. Der erste bundesweite Warntag seit 30 Jahren sollte am
Donnerstag also keine Panik in der Bevölkerung auslösen, sondern für das
Thema „Warnung vor Katastrophen“ sensibilisieren. Denn, so das BBK, durch
den Klimawandel habe etwa die Gefahr von gefährlichen Wetterlagen wie
Hitzewellen und Überschwemmungen zugenommen. Aber auch auf Chemieunfälle
oder Terroranschläge wolle man besser vorbereitet sein. Hat allerdings nur
so mittelgut geklappt.
Was war geplant?
Am Donnerstag um 11 Uhr sollten in ganz Deutschland alle verfügbaren
Warnmittel ausgelöst werden: Sirenen, Lautsprecherwagen, digitale
Werbeflächen, Radio, Fernsehen, Onlinemedien und Warnapps. Das ganz große
Warnorchester also. Alle sollten es mitbekommen: 11 Uhr Alarm, 11.20 Uhr
Entwarnung.
Das BBK hatte sich seit 2017 auf den Tag X vorbereitet, die meisten
BürgerInnen allerdings haben – wenn überhaupt – erst am Vorabend aus den
Nachrichten davon erfahren. Der Grund dafür laut BBK: Durch die
Coronakrise sei kaum Presse- und Öffentlichkeitsarbeit betrieben worden –
so rechtfertigte es sich [2][in einer Broschüre] schon im Vorfeld.
Einige wussten dennoch früh Bescheid: Tierschützer hatten online etwa schon
im August [3][Tipps gegeben], wie man Hund, Katze und Meerschweinchen am
10. September schützen kann, „wenn im ganzen Land die Warnsirenen
aufheulen“.
Und, wurde es laut?
In vielen Regionen Deutschlands konnten die Vierbeiner den Vormittag dann
aber doch entspannt durchdösen. Ihre BesitzerInnen, die dem Ereignis auf
Balkonen und bei Twitter entgegenfieberten, wurden um 11 Uhr herb
enttäuscht. Denn vom bundesweiten Warntag war bundesweit wenig zu hören.
In Großstädten wie Berlin und München heulten gar keine Sirenen, weil diese
längst abgebaut sind. In anderen Regionen, wo es Sirenen gibt, blieben sie
dennoch still. Im Landkreis Cuxhaven etwa hatten die Behörden die Teilnahme
kurzfristig abgesagt, es sollte keine Verwirrung gestiftet werden. [4][Ein
Fehler, wie der Landrat am Donnerstag gegenüber dem NDR zugab].
In Stuttgart wurden drei Lautsprecherfahrzeuge in der Königsstraße geparkt.
Während dort bei 126 Dezibel die Vögel um 11 Uhr empört aus den Bäumen
flüchteten und Passanten sich die Ohren zuhielten, hörte man im Rest der
Stadt nichts, [5][wie die Stuttgarter Zeitung berichtet]. Die Feuerwehr
Stuttgart rechtfertigte ihre Vorgehen: „Man muss auch sagen, dass wir das
jetzt zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder gemacht haben. Es ist klar, dass
wir da nicht alles schaffen.“
Die einen haben ihre Sirenen abgebaut, die anderen wollen neue aufbauen,
wie die Stadt Jena, die aus den 16 Sirenen [6][perspektivisch 32 machen
will] – Deutschland, uneinig Sirenenland.
Sind Sirenen noch zeitgemäß?
„Sirenen sind dumm“, das sagte selbst [7][BBK-Präsident Unger dem Spiegel].
Auch, weil die Bevölkerung hier unvorbereitet sei. Weiß ja auch keiner, was
beim Sirenenton zu tun ist. Wegrennen? Verstecken? Abwarten?
Auch aus anderen Gründen sind Sirenen fragwürdig. „Die Menschen, die selber
noch als Kinder Luftangriffe erlebt haben, sei es in Deutschland im Krieg,
seien es Geflüchtete, die aus Kriegssituationen kommen, werden ganz
unmittelbar und sehr intensiv mit Gefühlen von Panik auf solche Signale
reagieren“, sagte etwa der Psychologe Andreas Hamburger von der
International Psychoanalytic University Berlin der dpa.
Also doch lieber Warnapps?
In der Theorie sind Warnapps sinnvoller als Sirenen. Sie können lokal
warnen und mehr Infos vermitteln als eine Sirene. [8][NINA] etwa, die
„Notfall-Informations- und Nachrichten-App“ des Bunds. Sie bündelt Infos
aus verschiedenen Quellen. Rund 7,6 Millionen Menschen haben NINA
installiert. Auch die Katastrophen-Warnapp des Fraunhofer-Instituts
[9][Katwarn] ist recht beliebt, rund 2,5 Millionen NutzerInnen haben sie
installiert. Katwarn gibt zusätzlich Tipps zum richtigen Verhalten in der
speziellen Gefahrensituation. Wenn sie denn funktioniert.
Was war los mit den Apps?
Wenn überhaupt, lösten die Warnapps mit rund einer halben Stunde Verspätung
den Alarm aus. Einige UserInnen berichten, dass sie bis heute keine
Nachricht bekommen haben.
BBK-Chef Unger sieht die Verantwortung für die ausgebliebenen oder
verspätet eingetroffenen Nachrichten bei unterschiedlichen Leitstellen.
„Sie haben sich nicht an die Absprachen gehalten“, [10][sagte er dem SWR].
Es sei vereinbart gewesen, dass das Bundesamt die Apps bedienen würde.
Zeitgleich seien aber rund 30 weitere Meldungen rausgegangen, was das
System nicht verkraftet habe. Immerhin: „Wir wissen, dass es teilweise
geklappt hat“, so eine Sprecherin des BBK.
Gibt’ s Alternativen?
Effektiver als Warnapps ist das Cell-Broadcast-System, das es ermöglicht,
an alle Mobiltelefone in einem definierten Raum eine Textnachricht zu
schicken. Keine App, kein Internet ist dafür notwendig. Solche Dienste
werden etwa in den [11][Niederlanden] und den USA eingesetzt. Ende 2018
entschied der Rat der Europäischen Union, dass alle Mitgliedstaaten bis
Juni 2022 ein entsprechendes System einrichten müssen.
Und jetzt?
Der Warntag ist gescheitert. Das hat selbst das Bundesinnenministerium
eingesehen und schreibt: „Der Probealarm ist aufgrund eines technischen
Problems fehlgeschlagen.“ Die Vorgänge würden nun umfassend aufgearbeitet.
Letztlich sollte mit dem Warntag auch „die Akzeptanz und das Vertrauen“ der
Bevölkerung gestärkt werden, so das BBK. Der bundesweite Warntag soll
künftig jedenfalls jedes Jahr stattfinden, immer am zweiten Donnerstag im
September. Und womöglich hat der missglückte Warntag die Bevölkerung sogar
mehr für das Thema sensibilisiert, als es ein geglückter Warntag geschafft
hätte.
11 Sep 2020
## LINKS
[1] https://www.bbk.bund.de/DE/Home/home_node.html
[2] https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Publikationen/Publ_maga…
[3] https://welttierschutz.org/warntag/
[4] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Warntag-Fehl-Alarm-in-Niedersa…
[5] https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.sirenenalarm-in-der-innenstadt-wa…
[6] https://www.jenaer-nachrichten.de/stadtleben/14157-warntag-2020-feuerwehr-j…
[7] https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/warntag-zum-zivil-und-katastro…
[8] https://www.bbk.bund.de/DE/NINA/Warn-App_NINA_node.html
[9] https://www.katwarn.de/
[10] https://www.swr.de/swraktuell/radio/warntag-mit-defiziten-100.html
[11] https://www.government.nl/latest/news/2012/11/08/nationwide-launch-of-emer…
## AUTOREN
Paul Wrusch
## TAGS
Warntag
Katastrophenschutz
Bundesinnenministerium
Lesestück Recherche und Reportage
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