Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de --  Ortskräfte in Afghanistan: Kein Ticket für Fatullah Kohzad
> In Afghanistan arbeitete Fatullah Kohzad als Ortskraft für die deutsche
> Entwicklungshilfe. Lange hoffte er auf eine Evakuierung, jetzt ist es zu
> spät.
Bild: Ein Bild aus besseren Zeiten im Leben von Fatullah Kohzad
Berlin taz | Es gibt ein Foto von Fatullah Kohzad, auf dem er fast
majestätisch neben einem Jeep seines Arbeitgebers steht. Durch die
geöffnete Fahrertür greift er ans Lenkrad, durch die Fensterscheibe schaut
er nach vorn in die Kamera. Aufrechte Haltung, fester Blick, die Mundwinkel
leicht nach oben gezogen. Per Whatsapp hat er es im vergangenen Dezember
der taz geschickt.
Von wann es stammt, hat er nicht dazu geschrieben, aber es muss aus den
frühen Jahren sein: Auf dem Wagen klebt das rote Logo der GTZ, der
deutschen Entwicklungsorganisation, die seit 2011 nicht mehr so heißt.
Kohzad sieht auf dem Bild noch jung und gesund aus, er könnte Anfang 40
sein. Vor allem aber: So wie hier hätten afghanische Mitarbeiter der
Deutschen in den späteren Jahren wohl nicht mehr für Fotos posiert.
Wahrscheinlich hatten sie dafür zu viel Angst.
Zumindest kann man das vermuten, wenn man Henning P. zuhört. Er ist Beamter
im deutschen Entwicklungsministerium, leitete dort lange das
Afghanistan-Referat und war danach bei der Deutschen Botschaft in Kabul
tätig – bis zum Juli 2021, wenige Wochen vor dem Fall der afghanischen
Hauptstadt.
Am Donnerstag voriger Woche sitzt P. weit weg von dort in einem
Sitzungssaal des Bundestags in Berlin. „Gerade in den Anfangsjahren waren
alle wahnsinnig stolz, für die Deutschen zu arbeiten“, erzählt er den
Abgeordneten über die lokalen Mitarbeiter. Später aber? Da hätten sie ihren
Nachbarn lieber nichts mehr von ihren Jobs erzählt, hätten sogar Umwege
gewählt, wenn sie morgens zur Arbeit fuhren.
## „Er hätte sein Leben für mich riskiert“
Wegen der Taliban? Weil in Gefahr geriet, wer für die Deutschen arbeitete?
P. formuliert seine Antwort sorgfältig. Glaubt man ihm, war die Sache
kompliziert. „Es ist nicht in allen Fällen eine politische Gefährdung“,
sagt er. Mit der afghanischen Wirtschaft sei es bergab gegangen, die
Kriminalität habe zugenommen, Entführungen waren an der Tagesordnung. Schon
deshalb sei es „für einige Ortskräfte nicht attraktiv gewesen, mitzuteilen,
dass man für die Deutschen arbeitet.“ Dass man gut verdient, sollte keiner
wissen.
[1][Seit September laufen im Bundestag die Zeugenbefragungen des
Afghanistan-Untersuchungsausschusses.] Das Gremium soll beleuchten, warum
der deutsche Einsatz im August 2021 mit einem chaotischen Abzug endete.
Einer der Schwerpunkte ist der Umgang mit den afghanischen Ortskräften
deutscher Stellen. Über 5.000 von ihnen hat die Bundesregierung die
Aufnahme zugesagt. Mehr als 1.000 davon haben es noch nicht nach
Deutschland geschafft. Keine Angaben gibt es dazu, wie viele Hilfsgesuche
von Ex-Mitarbeitern die Regierung abgelehnt hat.
Mit Henning P. sagt bei der Sitzung erstmals ein Mitarbeiter des
Entwicklungsministeriums aus – dem Regierungsressort, das in den zwei
Jahrzehnten in Afghanistan mit Abstand die meisten Ortskräfte beschäftigte,
mehr noch als die Bundeswehr.
16 Jahre lang war Fatullah Kohzad einer von ihnen. Zum 1. Juni 2002
unterschrieb er seinen ersten Arbeitsvertrag. 16 Jahre lang arbeitete er
als Fahrer für die deutsche Entwicklungsagentur GIZ und deren
Vorgängerorganisationen, bis seine Stelle Ende 2018 gestrichen wurde. Ein
ehemaliger Vorgesetzter lobt ihn für seine Loyalität: „Ich konnte immer
darauf vertrauen, dass er mich auch aus brenzligen Situationen abholen
würde. Er hätte sein Leben für mich riskiert.“ Die Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zeichnete ihn mit einer Urkunde für
seine „harte Arbeit und gute Perfomance“ aus.
Als Kabul im August 2021 fällt und die Bundesregierung eine
Evakuierungsmission für ihre Ortskräfte startet – erst per Luftbrücke mit
Hilfe der Bundeswehr, danach auf dem Landweg –, denkt Kohzad: Einem wie ihm
werden die Deutschen sicher auch helfen.
Der Zeuge Henning P. kann im Bundestag über diese Zeit wenig sagen. Nach
seinem Abschied von der Deutschen Botschaft übernahm er im
Entwicklungsministerium ein anderes Referat. Mit Angelegenheiten der
Ortskräfte hat er seit Sommer 2021 nichts mehr zu tun.
## Verantwortung und Hilfe für Ortskräfte
Was er über die Monate und Jahre davor erzählt, ist dennoch
aufschlussreich. Als Referatsleiter entschied er lange Zeit über
Gefährdungsanzeigen lokaler Mitarbeiter, die es auch schon vor dem Sommer
2021 gab, obgleich in geringer Zahl. Vor Ort in der Botschaft in Kabul
machte er sich Gedanken darüber, wie die Entwicklungszusammenarbeit
weitergehen kann, wenn das westliche Militär einmal abgezogen ist.
Was P. über diese Zeit berichtet und wie er über den Umgang mit den
afghanischen Mitarbeitern denkt, [2][ist spiegelbildlich für die Haltung in
weiten Teilen des Ministeriums.] Verantwortung und Hilfe für Ortskräfte?
Das ja, natürlich. Die Grenzen wurden aber eng gesteckt.
Für diese Haltung des Ministeriums sind zwei Gedanken zentral. Erstens:
Auch unter schwierigen Bedingungen und selbst unter den Taliban bleibe
Entwicklungshilfe möglich. Man dürfe die Bevölkerung schließlich nicht im
Stich lassen und müsse es nur richtig angehen. Schon vor 2021, so der
ehemalige Referatsleiter, habe das Ministerium umgesteuert – hin zu
Projekten, die „auch nach einem Regimewechsel“ funktionieren könnten.
„Bäumepflanzen irgendwo in den Bergen“ statt „Governance-Beratung im
Bergbau-Ministerium“, sagt P. Solche Projekte seien auch „per
Fernsteuerung“ möglich, ohne deutsche Experten im Land.
Ortskräfte braucht man natürlich trotzdem. Tatsächlich hat die GIZ nach dem
Machtwechsel in Afghanistan ihre Arbeit im Land nicht komplett aufgegeben
und sogar neues Personal eingestellt. Und damit sind wir bei zweitens: Laut
P. ist es eben nicht per se gefährlich, als Afghane für Deutsche zu
arbeiten. Im Gegenteil: In der Regel sei es harmlos. „Ich war und bin der
festen Überzeugung, dass eine Arbeit für die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit nicht automatisch zu Gefahr für Leib und Leben
führt“, sagt P. Und weiter: „Ein Job bei der GIZ sollte nicht das
Flugticket nach Deutschland sein. Dann hätten wir unsere Projekte
dichtmachen können.“
## Nach dem Fall Kabuls: Gefährdungsanzeige
War Fatullah Kohzad in Gefahr, weil er als Fahrer für die GIZ arbeitete?
Nach dem Fall Kabuls stellt er im August 2021 wie viele andere eine
Gefährdungsanzeige; bittet die Bundesregierung darum, mit seiner Familie
nach Deutschland evakuiert zu werden. Seine Familie, das sind die Ehefrau,
vier Söhne, eine Tochter. In den Monaten, die er auf eine Antwort wartet,
ist er per Whatsapp regelmäßig mit der taz in Kontakt. Er schickt
Textnachrichten, Fotos, Dokumente.
„Die Lage ist wirklich schlecht, seitdem die Taliban übernommen haben.
Speziell für uns, die für ausländische Organisationen gearbeitet haben“,
schreibt er im Dezember 2021. „Irgendwelche Neuigkeiten zur Evakuierung?
Die Lage verschlechtert sich Tag für Tag“, im Januar 2022. „Es geht nichts
voran. Uns geht es mental richtig schlecht“, im Juli 2022.
Kohzads Angst hat nicht nur damit zu tun, dass er für die Deutschen
gearbeitet hat. Besonders gefährdet fühlt er sich auch, weil er
ursprünglich aus Pandschir stammt, der einzigen Provinz, in der die Taliban
noch auf nennenswerten Widerstand stoßen. Dazu kommen der harte erste
Winter nach dem Machtwechsel und die Nahrungskrise.
Der Fall ist vielschichtig und vieles von dem, was Kohzad schreibt, lässt
sich aus der Ferne nicht überprüfen. Klar ist aber: Es geht ihm nicht gut.
Zwischendurch berichtet er immer wieder von gesundheitlichen Problemen,
sogar von Herzattacken. Einmal schickt er Fotos aus dem Krankenhaus. Die
Sorge um sich, seine Familie und vor allem seine Tochter mache ihn krank,
schreibt er dazu.
## Die Ablehnung
Im August 2022 erhält Fatullah Kohzad schließlich die Antwort auf seine
Gefährdungsanzeige. Ein Standardschreiben mit sechs Sätzen, das in den
letzten Monaten auch viele andere bekommen haben. Darin heißt es: Die GIZ
prüfe auf Einzelfallbasis, ob Antragsteller wegen ihrer früheren Jobs
stärker gefährdet seien, als es Afghanen zur Zeit ohnehin sind. „Im
vorliegenden Fall liefern die eingereichten Dokumente dafür keinen
ausreichenden Beweis.“
Kohzad schickt auf Whatsapp einen Screenshot der Mail. „Dafür habe ich ein
Jahr gewartet“, schreibt er dazu. „Ich habe ihnen 16 Jahre lang gedient und
das ist ihre Antwort. Warum haben sie meinen Fall abgelehnt?“
Im Untersuchungsausschuss des Bundestags skizziert Henning P., wie er in
seiner Zeit als Referatsleiter über Gefährdungsanzeigen entschieden hat.
Jedes Regierungsressort hat demnach einen eigenen Kriterienkatalog. Im
Entwicklungsministerium spiele unter anderem eine Rolle, ob konkrete
Hinweise auf eine Bedrohung vorliegen. Dazu käme die Frage, wie stark ein
Mitarbeiter öffentlich sichtbar war und welchen politischen Grad seine
Aufgabe hatte. „Jemand, der Richter berät, ist anders gefährdet als jemand,
der ein Auto fährt“, behauptet P.
Dabei will er es dann belassen: Der Kriterienkatalog sei noch immer im
Einsatz und eigentlich vertraulich.
In Afghanistan schöpft Fatullah Kohzad im Oktober noch einmal Hoffnung.
[3][Die Bundesregierung hat da gerade ein neues Aufnahmeprogramm
angekündigt. 1.000 gefährdete Afghanen will sie pro Monat nach Deutschland
holen.] Das Programm richtet sich nicht primär an Ortskräfte, sie sind aber
auch nicht explizit ausgenommen. Solche Neuigkeiten verbreiten sich in
Afghanistan schnell. „Wo kann man sich dafür anmelden?“, fragt Kohzad am
23. Oktober per Whatsapp. – „Das steht noch nicht fest. Wir melden uns,
sobald es Infos gibt“, antworten wir. – „Okay, danke für die Hilfe!“
Damit endet der Chat. Das Aufnahmeprogramm läuft schleppend an. Eine
Anmeldemöglichkeit gibt es bis heute nicht. Und falls sie doch irgendwann
kommt, wird Fatullah Kohzad sie nicht nutzen. Die Ablehnung der
Gefährdungsanzeige habe ihn gebrochen, sagt ein afghanischer Freund. Mit
seiner Gesundheit sei es seit dem Sommer weiter bergab gegangen. Geredet
und gegessen habe er zuletzt immer weniger. Am 25. November, das schreibt
auch seine Familie, ist er mit 62 Jahren nach einer Herzattacke gestorben.
„Er hat sich sehr große Sorgen um uns alle gemacht“, sagt sein Sohn. „Oh…
ihn ist unsere Lage jetzt richtig schlecht.“
11 Dec 2022
## LINKS
[1] /Bundestags-Gremium-zum-Afghanistan-Abzug/!5879832
[2] /Svenja-Schulze-ueber-Wiederaufbauarbeit/!5881461
[3] /Gefaehrdete-Menschen-in-Afghanistan/!5885443
## AUTOREN
Tobias Schulze
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
Ortskräfte
Entwicklungsministerium
Untersuchungsausschuss
Taliban
GNS
wochentaz
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Afghanistan
Nancy Faeser
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Afghanistan
Bundestag
Schwerpunkt Afghanistan
GIZ
Schwerpunkt Afghanistan
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ausschuss zu Afghanistan im Bundestag: Berlin und die unterschätzten Taliban
Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss deckt erhebliche Defizite im
deutschen Engagement auf. An der Loyalität von Ortskräften gibt es keine
Zweifel.
Flucht aus Afghanistan: Aufnahmeprogramm vorerst gestoppt
Bedrohte Afghan*innen bekommen erst einmal keine Visa mehr für
Deutschland. Nach Missbrauchsversuchen sollen Prüfverfahren ausgebaut
werden.
Brief an Faeser: Abschiebung nach Afghanistan
Deutschland schiebt Menschen aufgrund der Taliban nicht mehr nach
Afghanistan ab. Der CDUler Alexander Throm fordert eine Ausnahme für
Straftäter.
Uni-Verbot für Frauen in Afghanistan: Konsequenzen für Taliban angedroht
Westliche Staaten haben das Uni-Verbot für Frauen in Afghanistan
verurteilt. Zuvor kritisierte der UN-Generalsekretär die repressiven
Maßnahmen.
Frauenrechte in Afghanistan: Taliban verbieten Frauen Uni-Besuch
In Afghanistan sind Frauen künftig von Hochschulen ausgeschlossen.
UN-Generalsekretär António Guterres verurteilt das Verbot.
Untersuchungsausschuss Afghanistan: Umgang mit Traumatisierten
Die Mitglieder des Untersuchungsausschuss zu Afghanistan lassen sich
fortbilden. Retraumatisierungen von Zeug*innen sollen vermieden werden.
Frauenrechte in Afghanistan: Welle der Festnahmen
In Afghanistan gehen die Taliban immer härter gegen Frauen vor. Wer
protestiert, wird festgenommen, der Zugang zu Bildung weiter eingeschränkt.
Verzweifelte Ortskräfte in Afghanistan: Im Wartesaal
Die Bundesregierung hat ihren afghanischen Ortskräften zugesagt, sie aus
dem Land zu holen. Bis heute sitzt der Großteil aber in Afghanistan fest.
GIZ-Mitarbeiter über Ortskräfte: „Man lässt die Leute hängen“
In einem offenen Brief fordern GIZ-Mitarbeiter*innen, mehr afghanische
Ortskräfte zu schützen. Christopher Radler-Moric sagt, warum.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.