# taz.de -- Wasserstoffbetriebene Züge in Hessen: Moderne Müllschlucker | |
> Die weltgrößte Flotte wasserstoffbetriebener Züge fährt bald im Taunus. | |
> Der Sprit kommt aus einem Industriepark und ist ein Abfallprodukt. | |
Bild: Das H und O: Einer der neuen Züge tankt Wasserstoff in Frankfurt am Main | |
FRANKFURT AM MAIN taz | Zum Fahrplanwechsel der Deutschen Bahn geht ab | |
Sonntag im Rhein-Main-Gebiet die weltweit größte Flotte von | |
Wasserstoff-Zügen in den Regelbetrieb. 27 moderne Triebwagen vom Typ | |
Coradia iLint des französischen Herstellers Alstom werden auf vier Strecken | |
der Taunusbahn die etwa 20 verbliebenen alten Dieselloks ersetzen. | |
Tarek Al-Wazir, Hessens grüner Verkehrsminister, lobte den Zugwechsel als | |
Meilenstein der fälligen Ressourcen- und Energiewende. Er präsentierte das | |
erste Fahrzeug der Flotte am Dienstag im Frankfurter Hauptbahnhof gemeinsam | |
mit dem Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV), Knut Ringat. | |
Das Modell unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von den | |
dieselbetriebenen Zügen moderner Baureihen: blaues Dach, weiße Wände. Innen | |
gibt es Internet und Steckdosen zum Laden von Handy und Laptop. Bereiche | |
mit Klappsitzen bieten Platz für Rollstuhlfahrer*innen, Kinderwagen und | |
Fahrräder. Nur die Lackierung deutet auf einen Unterschied hin: Blaue | |
Kringel, die an Luftblasen erinnern, sind auf die Außenwand gemalt. In den | |
Bubbles verraten die Buchstaben O für Sauerstoff und H für Wasserstoff den | |
neuen Antrieb. | |
Die Tanks des Zuges sind mit komprimiertem Wasserstoff gefüllt. Die Motoren | |
werden mit Strom angetrieben, den Brennstoffzellen in einem | |
chemoelektrischen Prozess bei der Synthese von Wasserstoff und Sauerstoff | |
gewinnen. Bei der Stromerzeugung entsteht nur Wasser, das als Dampf aus | |
Öffnungen im Dach entweicht. Ein wenig sieht das aus wie eine der | |
Dampfloks, die bis in die 1980er Jahre bei der Deutschen Bahn im Einsatz | |
waren. Die bliesen allerdings neben dem Dampf auch giftige Abgase und den | |
Ruß des Koksfeuers in die Luft, das für die Antriebskraft sorgte. | |
## Die neuen Züge beruhen auf bewährten Fahrgestellen | |
Der Zughersteller Alstom, zweitgrößter Schienenfahrzeughersteller weltweit, | |
habe vor zehn Jahren entschieden, die erste Generation der Wasserstoff-Züge | |
nicht auf eine völlige Neukonstruktion, sondern auf Fahrgestelle und | |
Karosserien bewährter Züge aufzusetzen, erklärt Alstom-Manager Müslüm | |
Yakisan. Deshalb seien die emissionsfreien Züge bereits zehn Jahre nach dem | |
Projektstart für den Regelbetrieb einsatzbereit. | |
Von der Reichweite und Effektivität der Brennstoffzellen-Triebzüge seien | |
die Entwickler sogar positiv überrascht worden. Yakisan erzählt der taz von | |
einer „Rekordfahrt“ eines Fahrzeugs aus der Wasserstoffflotte im | |
Verkehrsverbund Elbe Weser. Die habe mit einer Tankfüllung nach 1.250 | |
Kilometern und 39 Stunden Fahrt „wegen Erschöpfung des Personals“ | |
abgebrochen werden müssen. Im Vergleich mit den Dieselloks gleicher Bauart | |
spare ein Wasserstoff-Triebwagen 11.000 Tonnen CO2 jährlich ein, so der | |
Manager, und arbeite außerdem wahrnehmbar leiser. | |
Das Unternehmen bietet auch batteriebetriebene Züge an, die sich aber vor | |
allem auf kurzen Distanzen bis zu 100 Kilometern lohnen. Insgesamt sieht | |
Alstom ein großes Potenzial zur CO2-Einsparung – und ein gutes Geschäft – | |
in der Umrüstung der gesamten dieselbetriebenen Flotte, die noch Jahrzehnte | |
unterwegs sei. Bis zu 3.000 Fahrzeuge ließen sich umbauen, schätzt Yakisan. | |
Neben dem Betrieb durch Brennstoffzellen sei auch möglich, | |
Diesel-Verbrenner auf flüssigen Wasserstoff umzustellen. Dabei müsse | |
weniger stark in die Konstruktion eingegriffen werden. | |
Ulrich Krebs (CDU), Landrat des Hochtaunuskreises und | |
RMV-Aufsichtsratsvorsitzender, sprach von einer „Erfolgsgeschichte“, die | |
die Taunusbahn mit dem Einsatz der Wasserstoffzüge fortschreibe. Die | |
Deutsche Bahn habe die Strecken Ende der 1980er Jahre aufgeben wollen, | |
deshalb hätten die Kommunen den Betrieb übernommen. | |
Täglich 11.000 Fahrgäste, „Tendenz steigend“, zeigten, dass es Bedarf für | |
Zugverbindungen gebe. Da die Elektrifizierung des gesamten Streckennetzes | |
im Hochtaunus nicht in Frage komme, wegen der vielen Tunnel und der | |
Topografie, habe man sich vor fast 40 Jahren für die damals modernen | |
Diesellokomotiven entschieden, die jetzt ersetzt würden, so Krebs. | |
## Land und Bund beteiligen sich mit Millionensummen | |
Der Wasserstoff für den Antrieb kommt aus dem Industriepark Höchst am | |
westlichen Stadtrand von Frankfurt. Dort fällt er bei chemischen | |
Produktionsverfahren an. Es handelt sich also um [1][so genannten grauen | |
Wasserstoff, der nicht klimaneutral ist]. Aber: Käme er nicht in die Tanks | |
der Züge, würde er „thermisch entsorgt, also abgefackelt“, erklärte | |
RMV-Geschäftsführer Knut Ringat am Dienstag. Das Land Hessen hat rund 60 | |
Prozent der Kosten für den Bau der Wasserstofftankstelle im Industriepark | |
übernommen und insgesamt mehr als 3 Millionen Euro in deren Planung und | |
Umsetzung gesteckt. | |
Auch der Bund fördert den Einsatz der Wasserstoffzüge. Denn bislang sind | |
diese noch deutlich teurer als moderne Dieselloks. 40 Prozent der | |
Preisdifferenz übernimmt der Bund, begrenzt auf maximal 14,7 Millionen | |
Euro. Auch an der Tankstelle hat sich der Staat beteiligt und kommt so auf | |
eine Fördersumme von insgesamt etwa 24 Millionen Euro für das Projekt, | |
dessen Gesamtvolumen der RMV auf rund 500 Millionen Euro über 25 Jahre für | |
Fahrzeugbeschaffung, Instandhaltung und Betrieb beziffert. | |
Vor der Jungfernfahrt des Zugs von Frankfurt nach Bad Homburg hatte es sich | |
Minister Al-Wazir nicht nehmen lassen, persönlich bei einem der „Fossilien“ | |
vorbeizuschauen, die nun ausrangiert werden. Auf Gleis 22 des Frankfurter | |
Hauptbahnhofs startete auch an diesem Tag ein in die Jahre gekommener | |
Triebwagen vom Typ VT/VS 2E in Richtung Grävenwiesbach im Hochtaunus. | |
Als junger Landtagsabgeordneter sei Al-Wazir selbst häufig mit dem | |
Regionalexpress zwischen Frankfurt und Wiesbaden unterwegs gewesen. Da | |
wurde auch er Zeuge des Spektakels, das sich bislang auf den Gleisen 21 und | |
22 abspielt: Mit Getöse fahren die Diesel-Triebwagen in die Bahnhofshalle | |
ein, bei der Abfahrt dröhnen die Motoren, aus den Auspuffrohren der | |
Aggregate wälzt sich schmutziger Qualm. Abgasreinigung? Fehlanzeige. Am | |
Wochenende landen die alten Kisten auf dem Abstellgleis. | |
9 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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