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# taz.de -- Tod nach Polizeieinsatz: Koste es, was es wolle
> Medard Mutombo soll von der Berliner Polizei in die Psychiatrie gebracht
> werden. Der Einsatz endet tödlich. Sein Bruder fordert Konsequenzen.
Bild: Kupa Ilunga Medard Mutombo, gestorben am 6. Oktober in der Charité
Berlin taz | Bett, Tisch, Kühlschrank, Fernseher – viel passte nicht in das
3 mal 7 Meter große Zimmer. Seit mehr als 20 Jahren lebte Kupa Ilunga
Medard Mutombo in Spandau in einem Wohnheim des Diakonischen Werkes zur
Vermeidung von Obdachlosigkeit. Der 64-Jährige war psychisch krank, ein
gesetzlicher Betreuer des Bezirksamts regelte seine Belange. Fröhlich und
verspielt wie ein Kind sei Medard gewesen, erzählt sein älterer Bruder
Mutombo Mansamba.
Jedes Wochenende habe er den Bruder besucht. Beim letzten Mal, es war der
10. September, sei Medard verändert gewesen. Sein Zimmer habe ausgesehen
wie das eines Messis. „Auch die Pfandflaschen wollte er mir nicht wie sonst
zum Umtauschen mitgeben.“ Von Mitarbeitern des Heims habe er erfahren, dass
Medard die Betreuer nicht mehr ins Zimmer lasse. Die Tabletten zur
Behandelung der Schizophrenie schiebe man unter der Tür durch. Ob er sie
schlucke, wisse man nicht.
Kupa Ilunga Medard Mutombo lebt nicht mehr. [1][Am 14. September waren
Polizisten in dem Wohnheim angerückt], um ihn auf Grundlage eines
richterlichen Unterbringungsbeschlusses in die geschlossene Psychiatrie zu
bringen. Der Einsatz endete in einer Katastrophe: Drei Wochen lag der
psychisch kranke Mann danach im Koma. Am 6. Oktober starb er in der
Charité.
Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art. Immer wieder haben sich
Polizistinnen und Polizisten überfordert gezeigt beim Umgang mit psychisch
Kranken. Immer wieder sind Menschen, die in einer seelischen
Ausnahmesituation waren, bei Polizeieinsätzen ums Leben gekommen. Zumeist
wurden sie erschossen. An dem Einsatz in dem Spandauer Wohnheim sollen 16
Polizisten und sogar Hunde beteiligt gewesen sein. So hat es Mutombo
Mansamba in Erfahrung gebracht.
Mutombo Mansamba ist Steuerberater, 1982 kam er als Asylbewerber nach
Berlin. Sieben Kinder seien sie zu Hause im Kongo gewesen, erzählt der
67-Jährige bei einem Treffen mit der taz. Zu Medard habe er immer eine
besondere Beziehung gehabt: Er sei in der Geschwisterfolge nach ihm der
nächste gewesen.
Doch von der schwierigen Lage, in der sein Bruder zuletzt steckte, war
Mutombo Mansamba absolut ahnungslos. Weder sei er informiert worden, dass
der Bruder in die Psychiatrie kommen sollte, noch habe er im Nachgang von
dem verhängnisvollen Polizeieinsatz erfahren. Dabei hätten ihn alle in dem
Heim aufgrund seiner regelmäßigen Besuche gekannt, sagt Mansamba. „Meine
Telefonnummer lag in der Akte.“
Auch die Polizei ließ eine Woche verstreichen, bevor sie den Vorfall am 22.
September öffentlich machte. In einer kurzen Pressemitteilung wurden die
Ereignisse so dargestellt: Die Uniformierten seien am 14. September um
Amtshilfe gebeten worden – von wem, ergibt sich aus der Pressemitteilung
nicht. Die Einsatzkräfte seien erst eingeschritten, als Betreuer und
Pflegepersonal den Betroffenen nicht hätten überzeugen können, freiwillig
mit ihnen mitzugehen. Zunehmend aufgebrachter werdend habe sich der
Betroffene gegen die Mitnahme gewehrt, auch mit Tritten, Schlägen und
Bissversuchen. Ihm hätten deshalb Handfesseln angelegt werden müssen. Beim
Abführen aus dem Zimmer habe er weiter „massiv Widerstand“ geleistet und
sei dann „in dessen Folge“ kollabiert.
## Sein Bruder konnte nichts mehr für ihn tun
Nach Reanimationsmaßnahmen wurde Medard in das Waldkrankenhaus Spandau
gebracht. „Herzstillstand nach körperlicher Auseinandersetzung.
Wiederbelebung nach 25 Minuten“, lautete die Diagnose des Krankenhauses.
Die taz konnte das Schriftstück einsehen. Fünf Tage später erfolgte die
Verlegung in die Charité. Erst jetzt, es war der 21. September, wurde
Mansamba informiert – von den behandelnden Ärzten. Für seinen Bruder, der
mit geschwollenem Gesicht an Schläuchen hängend auf der Intensivstation
lag, konnte er nichts mehr tun.
Medard ist inzwischen auf einem Friedhof in Tempelhof beerdigt worden. Die
Staatsanwaltschaft hat in der Todessache ein Ermittlungsverfahren gegen
Unbekannt eingeleitet. Nach Angaben des Pressesprechers Sebastian Büchner
hat die Obduktion des Leichnams aber keine Hinweise ergeben, dass der Tod
auf ein Fremdverschulden zurückzuführen ist. „Anhaltspunkte für eine
massive äußere mechanische Gewalteinwirkung“ seien „nicht zu erkennen“
gewesen. Mit den Ergebnissen einer zusätzlich veranlassten toxikologischen
und feingeweblichen Begutachtung, die vielleicht eine Erklärung für den
Zusammenbruch liefere, sei erst in Monaten zu rechnen. Unter dem Strich
klingt das so, als würde das Ermittlungsverfahren demnächst eingestellt
werden.
Für Mansamba ist das eine unerträgliche Vorstellung. Die bei der Obduktion
festgestellte Todesursache lautet durch „Sauerstoffmangel bedingter
Hirnschaden“, Mansamba hat das schwarz auf weiß. „Bevor die 16 Polizisten
in das Heim gekommen sind, war mein Bruder intakt. Er war psychisch krank,
aber er lebte“, sagt Mansamba. „Als sie weggingen, lag er halb tot im
Krankenhaus. Wenn einer sagt: Kein Hinweise auf Fremdverschulden, dann
koche ich.“
Die Schizophrenie seines Bruders hatte sich entwickelt, als Mansamba in
Berlin war. Sofort nach seiner Einbürgerung in Deutschland habe er die
Familie in Afrika besucht. Im Kongo gebe es keine Infrastruktur, um
psychisch Kranke adäquat behandeln zu können. Die überforderte Mutter habe
Medard zu einem Scharlatan gebracht. Der habe den Bruder mit einer Kette an
einen Baum gebunden. „Als ich das sah, habe ich alles getan, um ihn
hierherzuholen.“
Medard lebte schließlich seit 1995 in Berlin. Er war schon zu krank, um
noch die Anhörung im Asylverfahren absolvieren zu können. Er bekam eine
Duldung und einen gesetzlichen Betreuer, das Flüchtlingsamt sorgte für
Unterbringung und medizinische Hilfe. „Das hat ihm und mir sehr geholfen“,
sagt Mansamba. Die Betreuer hätten zwar öfter gewechselt. „Aber ich hatte
immer das Gefühl, dass Medard in guten Händen war.“
Schon einmal, 2019, habe es eine Krise gegeben. Auch da habe Medard seine
Tabletten nicht genommen, erzählt Mansamba. Ohne Probleme habe man ihn
seinerzeit ins Krankenhaus gebracht und medikamentös wieder eingestellt.
Der Beschluss des Amtsgerichts Spandau, in dem die vorläufige Unterbringung
in der Psychiatrie angeordnet wird, liegt der taz vor. Er trägt das Datum
vom 24. August 2022. „Bis längstens 17. September“ sei die Unterbringung
genehmigt, heißt es. Begründet wird die Maßnahme so: „Der Betroffene muss
geschlossen untergebracht werden, weil er massiv in Form einer
körperlich-seelischen Verelendung verwahrlosen würde und der Verlust der
Unterkunft ansonsten zu erwarten ist.“ Wegen Gefahr im Verzug wurde die
sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet.
Viele Fragen drängen sich auf, allen voran diese: Wenn Gefahr im Verzug
war, warum wurde mit der Vollstreckung bis zum 14. September gewartet?
Warum wurde der Einsatz schließlich mit so einem Ehrgeiz durchgezogen? Lag
es daran, dass die angeordnete Freiheitsentziehung drei Tage später am 17.
September unwirksam geworden wäre – die Zeit also knapp war?
Es gibt niemanden, der Mansamba darauf Antworten gibt. Er hat inzwischen
eine Rechtsanwältin eingeschaltet, der Sachverhalt müsse in einem
Gerichtsverfahren geklärt werden, fordert er.
Seit dem Tag, an dem er den Bruder im Koma vorfand, hat Mansamaba mit
vielen Leuten gesprochen. Warum er nicht informiert wurde, habe er den
Heimleiter gefragt. Der habe angenommen, dass der gesetzliche Betreuer das
tue, berichtet Mansamba. Aber der Heimleiter habe ihm auch gesagt: Der
Polizeieinsatz sei völlig überproportioniert gewesen. „Und er fügte hinzu:
‚Sogar mit Hunden sind sie gekommen – wir haben uns alle gefragt, ob wir
hier Terroristen haben?‘“ Gegenüber der taz wollte sich der Heimleiter mit
Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht äußern.
Auch mit dem gesetzlichen Betreuer hat Mansamba gesprochen. Von diesem
wisse er, dass zunächst drei Polizisten vor dem Zimmer standen und 13
weitere zur Verstärkung hinzukamen. „Medard rauchte, der Fernseher lief,
als man bei ihm klopfte“, fasst Mansamba die Schilderung des Betreuers ihm
gegenüber zusammen. „Medard hat die Tür einen Spalt geöffnet, und dann sind
die Polizisten rein. Sie haben versucht, seine Hände auf dem Rücken zu
fixieren, um ihm Handschellen anzulegen. Medard hat sich gewehrt, er hat
gekämpft.“
Bei dem Gerangel habe Medard Blut gespuckt, das sei ihm mit einer Decke
abgewischt worden. So habe es der Betreuer ihm geschildert. Ein Polizist
habe auf Medards Nacken gekniet – „so wie bei George Floyd“. Wortwörtlich
habe der Betreuer den Namen George Floyd benutzt. „Da bin ich mir sicher“,
sagt Mansamba. „Mein Freund war dabei. Er musste das Gespräch mit dem
Betreuer weiterführen, weil ich in Tränen ausgebrochen bin.“ Auch der
Betreuer war mit Verweis auf die Ermittlungen nicht zu Auskünften gegenüber
der taz bereit.
Für Mansamba steht fest: Medard würde noch leben, wäre der Einsatz nicht,
koste es, was es wolle, durchgezogen worden. Wenn die Polizisten das Zimmer
verlassen und abgewartet hätten, bis die Erregung abgeklungen wäre; dazu
raten Experten immer wieder. Medard habe überhaupt nicht verstanden, was
mit ihm passierte, das steht für Mansamba fest. Und: „Man hätte mich
einbeziehen müssen. Ich hätte mit meinem Bruder sprechen können.“ Medard
habe nie Deutsch gelernt, dafür sei er zu krank gewesen. „Ich habe mit ihm
Französisch gesprochen oder Lingala, unsere Sprache.“
## Es gehe nicht um Rassismus
Das Vorgehen der Polizisten auf Rassismus zurückzuführen, „damit ist
niemanden gedient“, warnt Mansamaba. Der Schwarze US-Amerikaner George
Floyd war 2020 von einem Polizisten bei seiner Festnahme mit dem Knie im
Nacken erstickt worden. „Mein Bruder starb nicht, weil er wie Floyd ein
Schwarzer war“, sagt Mansamaba. „Aber bei Medard wurde die gleiche Methode
praktiziert, die mutmaßlich ursächlich für den Sauerstoffmangel war.“
Polizisten seien der Situation mit psychisch Kranken schlichtweg nicht
gewachsen. Immer wieder zeige sich das. „Man muss daraus endlich
Konsequenzen ziehen.“
Die Polizei-Pressestelle teilte auf Nachfrage mit, die Verfahrensweise mit
Personen in psychischen Ausnahmesituationen sei seit vielen Jahren
„integraler“ Bestandteil der Aus- und Fortbildung. Im Mittelpunkt stehe
dabei „die konflikt- und gefährdungsarme Interaktion“ mit dem Gegenüber.
Zum Einsatz am 14. September in dem Wohnheim könne man aufgrund der
laufenden Ermittlungen keine näheren Auskünfte mehr geben. Ein Detail
bestätigt die Pressestelle aber doch: Es waren Diensthundeführer vor Ort.
„Die jedoch“, wie es heißt, „nicht zum Einsatz kamen.“
15 Dec 2022
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## AUTOREN
Plutonia Plarre
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