# taz.de -- Rassismus bei der Berliner Polizei: Anschiss auf offener Bühne | |
> Innensenatorin Spranger (SPD) hält Polizeikritiker Ferat Kocak eine | |
> Standpauke. Das Signal: Es gebe keinen Grund, etwas zu ändern. Das wäre | |
> fatal. | |
Bild: Eine Frau der Gesten: Iris Spranger | |
Nichts gegen rote Fingernägel, wenn man sie so zur Geltung zu bringen | |
versteht wie Berlins Innensenatorin. Iris Spranger (SPD) spricht viel mit | |
den Händen. Wenn sie in Fahrt ist, fuchtelt sie mit dem Zeigefinger, gern | |
auch mit beiden. An dem leuchtend roten Nagellack kommt dann keiner vorbei. | |
Von dem, was Spranger inhaltlich sagt, bleibt indes wenig hängen. Bisweilen | |
hat man den Eindruck: Je wilder die Gesten, um so wirrer die Reden. | |
Auch am Montag im Innenausschuss war das so. Im Unterschied zu früheren | |
Auftritten echauffierte sich Spranger diesmal allerdings wirklich. Eine | |
Aussprache über die [1][Rassismusstudie über die Polizei Berlin, | |
durchgeführt von der Technischen Universität (TU) unter Federführung der | |
Soziologin Christiane Howe], stand auf der Tagesordnung. Irgendwann meldete | |
sich auch der Linkenpolitiker Ferat Kocak zu Wort – und stellte lapidar | |
fest, dass die Polizei ein Riesenrassismusproblem habe. | |
Kocak, bekanntlich selbst Opfer eines rechtsextremistischen Anschlags in | |
Neukölln, den ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss aufklären soll, | |
hat das schon oft gesagt, auch bezogen auf seinen eigenen Fall. Die Polizei | |
hatte die Ermittlungen so schlampig geführt, dass man durchaus auf die Idee | |
kommen kann, nicht alles sei mit rechten Dingen zugegangen. | |
Noch etwas hatte Kocak im Ausschuss – durchaus sachlich – festgestellt: | |
Dass es ein Machtgefälle gibt zwischen Bürgern und Polizisten. Letztere | |
seien ja sogar mit einer Schusswaffe ausgerüstet. | |
Die Vehemenz, mit der Spranger auf Kocaks Äußerungen ansprang, lässt | |
vermuten, dass sie regelrecht darauf gewartet hat, dem Linkenpolitiker | |
einmal ordentlich die Leviten zu lesen auf offener Bühne. „Ich bin sauer“, | |
rief Spranger, wild mit den Händen herumfuhrwerkend. Und zwar darüber, | |
„dass immer wieder Polizeikollegen angegriffen werden, und dann im Gegenzug | |
behauptet wird, es ist Rassismus auf breiter Reihe.“ | |
## Was meint sie eigentlich? | |
Auch sie habe einen Anschlag auf ihr Bürgerbüro erlebt, steigerte sich | |
Spranger. Wie bitte? Den Gedankengängen der Innensenatorin war auch diesmal | |
nur schwer zu folgen. „Ja, ja, ja“, rief die Senatorin, „das gehört alles | |
mit rein, weil Rassismus erlebt die Polizei j-e-d-e-n Tag!“ | |
Ferat Kocak, so viel wurde klar, ist für Spranger und die rechte SPD, die | |
von der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey verkörpert wird, ein | |
rotes Tuch. Und mit Kocak eigentlich alle, die rassistische Vorfälle in der | |
Polizei nicht als Einzelfälle abtun. Bei Polizeigewerkschaften und rechten | |
Wählenkreisen mag Sprangers emotionaler Auftritt gut ankommen. Der Sache | |
selbst hat sie jedoch einen Bärendienst erwiesen. | |
Denn eigentlich ging es im Innenausschuss um die Rassismusstudie und die | |
Folgen, die sich für die Polizei aus der 141 Seiten umfassenden | |
Untersuchung ergeben. Der Ansatz, den die Soziologin Howe und ihr Team | |
verfolgen, ist ein akademischer: Alltagsrassismus ist in der gesamten | |
Gesellschaft vorhanden, also auch in der Polizei. Die Polizei habe als | |
Behörde mit dem Gewaltmonopol aber eine größere Verantwortung, sich diesem | |
Rassismus zu stellen. | |
In den Interviews, die die Forscher für die Studie mit Betroffenenverbänden | |
geführt haben, wird immer wieder über Diskriminierungen bei | |
Polizeikontrollen und Racial Profiling geklagt. Im Anschluss haben die | |
Forscher Polizisten in ihrem Arbeitsalltag begleitet. Rassistische | |
Kontrollen, also Racial Profiling, haben sie dabei nicht festgestellt. | |
## Gibt es nun ein Rassimusproblem? | |
Das ist die Crux der Studie: Jeder kann das herauslesen, was ihm gefällt. | |
So war es dann auch am Montag im Innenausschuss. FDP und CDU erklärten, | |
dass es bei der Berliner Polizei kein strukturelles Rassismusproblem gibt. | |
Grüne und Linke zeigten sich zufrieden, weil sie in dem Ansatz des | |
Alltagsrassismus auch die Existenz des strukturellen Rassismus bei der | |
Polizei bestätigt sehen. | |
Doch dass die Autoren der Studie mehr Reflexion, Offenheit, Sensibilität | |
und Fortbildungen in der Polizei fordern, um dem Alltagsrassismus bei der | |
Dienstausübung zu begegnen, ging in der Aufregung, die Spranger mit ihrer | |
Standpauke verursachte, völlig unter. Das fatale Signal, das die | |
Innensenatorin damit aussendete: Alles ist gut bei der Polizei, es gibt | |
keinen Grund etwas zu ändern. Das ist das eine. | |
Das andere: Nichts gegen einige lebendige politische Auseinandersetzung. | |
Aber so in aller Öffentlichkeit demontiert zu werden, muss sich kein | |
Koalitionspartner gefallen lassen. | |
22 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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