# taz.de -- Millionenstadt in der Ukraine: Am Rande des Imperiums | |
> Einst wurde Dnipro zum Ruhme von Russlands Zarin Katharina gegründet. | |
> Heute schlagen russische Raketen in der viertgrößten Stadt der Ukraine | |
> ein. | |
Bild: Dunkle Fenster: Auch in Dnipro fällt wegen der russischen Attacken oft d… | |
Mykola Lukaschuk empfängt in einem sehr geräumigen Büro auf einer der | |
oberen Etagen des Gebäudes des Bezirksrates. Lukaschuk, rundliches Gesicht | |
und kräftige Arme, ist der Vorsitzende des Parlaments des Gebietes | |
Dnipropetrovsk. Wer zu ihm will, muss sich am Eingang ausweisen und dann | |
vor seinem Büro an zwei mit Schnellfeuergewehren bewaffneten Soldaten | |
vorbei. | |
Lukaschuk, eigentlich ein gemütlicher Typ, erhält jeden Tag schlechte | |
Nachrichten. In seinem Gebiet liegen Städte wie Nikopol und Marganez, die | |
täglich von den Russen beschossen werden. | |
„Die Schüsse kommen meistens aus dem Atomkraftwerk Saporischschja in | |
Enerhodar. Die Russen wissen, dass wir nicht zurückschießen“, sagt er. | |
„Allein in Nikopol am gegenüberliegenden Ufer des Dnipro ist die Hälfte der | |
Häuser zerstört.“ Mehr als 370.000 Binnenflüchtlinge leben in seinem | |
Gebiet. „Wir helfen ihnen, eine Unterkunft oder Wohnung zu finden, die | |
Kinder kommen in die Schule oder den Kindergarten und wir zahlen auch die | |
Sozialhilfe aus“, sagt Lukaschuk, der für diese Aufgabe die passende | |
Ausbildung erhalten hat. | |
Der 42-Jährige hat in Kiew Management studiert und in Odessa Jura, er | |
stammt wie Präsident Selenski aus der Industriestadt Krywyj Rih und ist | |
auch Mitglied von Selenski Partei „Diener des Volkes“. Vor knapp zwei | |
Jahren wurde er Präsident des neu gewählten Gebietsparlaments, eigentlich | |
eher eine moderierende, ausgleichende Aufgabe. Jetzt aber hat er mit vielen | |
Schwierigkeiten zu kämpfen, wie etwa fehlenden Luftschutzräumen. „Das | |
Problem ist, dass unsere neueren Schulen keine Schutzräume haben. Nur die | |
Schulen, die zu Zeiten der Sowjetunion gebaut wurden, haben welche.“ | |
## Erinnerung an Sowjetzeit getilgt | |
Lukaschuk führt die Geschäfte von einem fünfgeschossigen Repräsentativbau | |
aus im Herzen der Millionenstadt Dnipro, die bis vor sechs Jahren offiziell | |
Dnipropetrovsk hieß. Die Region, deren Hauptstadt sie ist, mit knapp 32.000 | |
Quadratkilometer etwa so groß wie Belgien, heißt noch immer so. Im Jahr | |
2016 wurde in der Industriestadt am Dnipro die Erinnerung an den | |
kommunistischen Funktionär Grigorij Petrov getilgt, dem zu Ehren die Stadt | |
1926 umbenannt worden war. | |
Die Ukraine war längst unabhängig, da stand sein mächtiges Denkmal immer | |
noch vor dem Hauptbahnhof, bis Standbild und Namenszug im Rahmen der | |
„Dekommunisierung“, der Tilgung aller an die Sowjetzeit erinnernden | |
Denkmäler und Straßennamen, entfernt wurden. Anderswo, etwa in Mariupol, | |
bis 1989 Schdanow, konnten sie es gar nicht abwarten, den sowjetischen | |
Namen abzulegen. In Dnipropetrovsk zeigten sie keine Eile. Warum auch? Die | |
Bewohner nannten ihre Stadt immer schon Dnipro, oder russisch: Dnepr. So | |
wie der mächtige Fluss, der hier in einer weiten Biegung nach Süden drängt. | |
In günstiger Lage, mitten in „Neurussland“, den frisch ins Imperium | |
einverleibten fruchtbaren Gebieten am Nordrand des Schwarzen Meeres, | |
gründete Grigorij Potjomkin am Ufer des Dnipro eine neue Stadt. Zu Ehren | |
seiner Herrin und ehemaligen Geliebten Katharina II. nannte er sie | |
Jekaterinoslaw, „Ruhm Katharinas“. Katharinas Stadt sollte nach Moskau und | |
Sankt Petersburg die dritte Hauptstadt des Reiches werden. Keine Überlegung | |
schien damals zu kühn, kein Superlativ zu groß. Und so legte am 9. Mai 1783 | |
Katharina II. bei ihrem Besuch in der Stadt den Grundstein für eine | |
Kathedrale, die die Welt noch nicht gesehen hatte. | |
Mit 3.000 Reisenden und achtzig Schiffen war sie von Kiew aus gen Süden | |
gezogen. In Jekaterinoslaw stößt der deutsch-römische Kaiser Joseph II. | |
hinzu und ist bei der Grundsteinlegung behilflich. Katharina setzt den | |
ersten Stein, ihr Gast aus Wien den zweiten. Doch nach dem Spektakel raunt | |
Joseph II. dem französischen Gesandten zu: „Die Zarin und ich haben heute | |
etwas ganz Bemerkenswertes getan: Sie hat den ersten Stein für die Kirche | |
gesetzt und ich den zweiten – und letzten.“ | |
Joseph II. ist hellsichtig. Die größte Kirche der Welt bleibt eine Chimäre. | |
Stattdessen findet sich an ihrer Stelle ein hübscher klassizistischer | |
Kirchenbau, aber nicht größer als jede andere Kirche in der Region. Selten | |
sind Anmaßung und Selbstüberschätzung russischer Herrscher so sichtbar | |
geblieben wie im Herzen von Dnipro. Manchmal scheint es, als wolle Moskau | |
diese Stadt dafür heute noch bestrafen. | |
## 4 Tote durch Raketen | |
Mehr als 10 russische Raketen wurden allein am 10. Oktober auf Dnipro | |
abgefeuert. Vier habe die ukrainische Luftabwehr anfangen können, hieß es, | |
die anderen gingen auf Dnipro nieder und haben mindestens 4 Menschen | |
getötet, 19 wurden verletzt. Mindestens 17 Verletzte waren es am | |
vergangenen Samstag, als erneut Raketen auf Dnipro niedergingen. | |
Doch die Menschen haben sich offenbar mit der Gefahr arrangiert. Dass jeden | |
Tag Sirenen heulen, scheint niemanden mehr groß zu stören. Dnipro hat einen | |
großen strategischen Vorteil gegenüber der 70 Kilometer entfernten | |
Nachbarstadt Saporischschja weiter südlich: Bis nach Dnipro reicht die | |
russische Artillerie nicht. | |
Manche Ladenbetreiber haben ihre Schaufenster mit Brettern geschützt, | |
andere haben eine brusthohe Wand von Sandsäcken errichtet, ansonsten gehen | |
die Geschäfte weiter und so geht auch beim Geheul der Sirenen alles stoisch | |
seinen Gang. Was wirklich stört, ist der Rauswurf der Kunden bei | |
Luftalarm. Kaum heult die erste Sirene, werden die Kunden aufgefordert, | |
die Geschäfte zu verlassen. Als Ergebnis sieht man ganze Menschentrauben | |
dann vor den Läden, während die Sirenen heulen. In die Läden dürfen sie | |
erst wieder, wenn der Luftalarm aufgehoben ist. Das kann mitunter über eine | |
Stunde und länger dauern. | |
Die meisten verstehen diese Vorschrift nicht. In einem Haus, so schimpft | |
eine Frau, die vor der Meldebehörde wartet, sei man doch sicherer als auf | |
der Straße. „Ständig predigt man uns die Zweiwänderegel, die besagt, dass | |
man sich bei einem Luftalarm in einem Gang oder einem Badezimmer aufhalten | |
sollte, und dann haben wir bei einem Luftalarm nicht mal eine Wand, die | |
uns schützt.“ | |
Die Stadt ist Logistikzentrum der Armee und mit zwei Eisenbahn- und drei | |
Straßenbrücken wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Bis zur Front sind es von | |
hier 125 Kilometer. Weithin sichtbar spannt sich die Merefa-Cherson-Brücke | |
mit ihren filigranen Stahlbetonbögen über den Fluss. Sie ist ein | |
Wahrzeichen der Stadt, steht unter Denkmalsschutz und verbindet die | |
zentralukrainischen Gebiete mit dem Donbass. Beim Abzug der Deutschen 1944 | |
zerstörte die Wehrmacht die Brücke vollständig. Heute ist sie eine der | |
Versorgungsadern der ukrainischen Armee. | |
## Verwaltungszentrum für „Neurussland“ | |
Aus Potjomkins Idee, Jekaterinoslaw zu einer dritten Hauptstadt zu machen, | |
ist nichts geworden. Immerhin wurde die Stadt Verwaltungszentrum für | |
„Neurussland“ und bot im Kleinen das, was den Landstrich im Großen | |
ausmachte: Sie war Schmelztiegel für Kulturen und Völker, für Russen und | |
Ukrainer, Tataren, Armenier, Franzosen, Deutsche und Juden. Abenteurer und | |
Glückssucher zog es in den „Wilden Westen“ des Russischen Reiches. | |
Alexander Puschkin verbrachte hier im Frühjahr 1820 einige Wochen eher | |
milder Verbannung als Strafe für ein Spottgedicht. | |
Jetzt ist Dnipro nach Kiew, Charkiw und Odessa die viertgrößte Stadt der | |
Ukraine. Es gibt auch die viertgrößte jüdische Gemeinde des Landes. Sie | |
ließ ein Bauwerk errichten, als hätten die Verantwortlichen, die Oligarchen | |
Hennadij Boholjubov und Ihor Kolomojskyj, Potjomkins Übermut geerbt. Mitten | |
in der Stadt erhebt sich seit 2012 das von ihnen finanzierte | |
Menorah-Center, das größte jüdische Kulturzentrum der Welt. Es hat | |
allerdings schon bessere Tage erlebt. Viele Einrichtungen, Büros, | |
Geschäfte, auch das Holocaust-Museum, sind geschlossen. Der Krieg hat auch | |
das Menorah-Center aus dem Tritt gebracht. Was vor zehn Jahren als Stolz | |
jüdischen Lebens in der Ukraine eröffnet wurde, ist derzeit nur eine Hülle, | |
77 Meter hoch und ein potenzielles Ziel russischer Raketen. Bisher ist die | |
Menorah aus Glas und Beton noch unversehrt geblieben, jedenfalls äußerlich. | |
Aktivitäten finden sich in der Stadt derzeit anderswo. Bessere Zeiten hat | |
das ukrainische staatliche Institut für geologische Erkundungen im | |
Stadtteil Amur auch schon erlebt. Den Schriftzug auf dem blauen Schild am | |
Eingang eines riesigen, heruntergekommenen Gebäudekomplexes kann man noch | |
entziffern, auch wenn einige Buchstaben schon abgeblättert sind. Doch mit | |
Geologie hat dieses Gebäude nichts mehr zu tun. Am Eingang sitzen Männer, | |
einige von ihnen in Rollstühlen, Kinder fahren auf ihren Fahrrädern im | |
Kreis, mehrere Hunde liegen im Halbschlaf am Boden. Es wird viel geraucht. | |
Vor wenigen Monaten hat eine Gruppe von Frauen dieses seit zehn Jahren | |
leerstehende Gebäude besetzt. Die Frauen, unter ihnen Talina Scharikowa, | |
hatten viele Binnenflüchtlinge aus dem Donbass bei sich aufgenommen oder | |
ihnen eine Bleibe verschafft. Doch bald platzten die Unterkünfte aus allen | |
Nähten. Die Frauen merkten, dass ihre privaten Angebote nicht mehr | |
ausreichten. | |
Da seien sie auf das Geologische Institut aufmerksam geworden, erzählt | |
Scharikowa, die inzwischen Sprecherin der Initiative ist. Immer wieder war | |
in den örtlichen Medien kritisiert worden, dass das Gebäude verfalle. | |
Kurzerhand brachten die Frauen Flüchtlingsfamilien in den Räumen des | |
ehemaligen Instituts unter und stellten so die Eigentümer vor vollendete | |
Tatsachen. Per Aufruf suchten die Frauen nach Unterstützung und schnell | |
setzte ein emsiges Treiben in dem bis dahin leeren Gebäudekomplex ein. | |
Toiletten wurden eingerichtet, Wände getrocknet, Fenster ausgewechselt, | |
Betten aufgestellt. | |
Nicht bei allem war man erfolgreich. Nach wie vor dringt ein etwas modriger | |
Geruch in die Nase, wenn man im Gebäude unterwegs ist. Doch mittlerweile | |
sind 270 Menschen eingezogen, die Frauen haben sich inzwischen als Stiftung | |
Dobro na Amure organisiert, zu deutsch: „Das Gute am Amur“. Sie haben eine | |
eigene Homepage und eine Instagram-Seite. 2000 Euro müssen sie Monat für | |
Monat an Strom und kommunalen Gebühren zahlen, sagt Talina Scharikowa. | |
Nicht einfach, wenn man weiß, dass nur 20 Prozent der Bewohnerinnen hier | |
derzeit einer Arbeit nachgehen. | |
## „Wir lassen keinen Kindergeburtstag aus.“ | |
Mittlerweile ist es der Gruppe gelungen, Unterstützer zu finden. Und so | |
brachten Einheimische Fahrräder, Spielzeug, Hygieneartikel, Tische, | |
Geschirr, Matratzen mit. Elektriker machten sich an die Erneuerung der | |
brüchigen Kabel. Zufrieden ist man trotzdem noch nicht. „Wir wollen das | |
Haus weiter ausbauen, könnten gut weitere sechzig Menschen aufnehmen, wenn | |
nur die Räume renoviert wären“, seufzt Talina Scharikowa. | |
Es ist Leben in dem Haus. Lehrerinnen geben Unterricht, Friseurinnen | |
schneiden kostenlos Haare, und Zeit zum Feiern hat man immer. „Wir lassen | |
keinen Kindergeburtstag aus“, beteuert Scharikowa. Das für Orthodoxe | |
wichtige Osterfest habe man gemeinsam gefeiert und zwei Hochzeiten ebenso. | |
„Es geht nicht nur darum, die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Ich möchte | |
auch, dass sich die Bewohner dieses Hauses wohlfühlen, sie immer wieder mal | |
lachen“, sagt Scharikowa. Nur in einem Punkt kennen die Frauen keine | |
Toleranz. „Wer zweimal betrunken erwischt wird, fliegt raus!“ | |
Großen Wert legt man auch auf den Ausbau des Luftschutzraumes. „Wenn es | |
Luftalarm gibt, kann man sofort sehen, wer aus dem Donbass kommt und wer | |
Einheimischer ist“, hat Tamila Scharikowa beobachtet. „Die Menschen aus dem | |
Donbass wissen, dass es nach jedem Alarm irgendwo in der Nähe einschlägt. | |
Und deswegen laufen sie sofort in den Schutzraum, wenn Sirenen heulen.“ | |
Diese Erfahrung hätten sie den Einwohner von Dnipro voraus. Bis jetzt. | |
Es ist eine bittere Pointe, dass viele der Raketen, die heute auf die | |
Ukraine niedergehen, im einstigen Dnipropetrovsk erdacht wurden. Unter | |
Stalin wurde das ehemalige Jekaterinislaw zum Zentrum der sowjetischen | |
Rüstung, sein Herzstück war das Unternehmen „Juschmasch“. Unter dem | |
Tarnnamen „Südliche Maschinenbaufabrik“, die angeblich nur Traktoren und | |
Autos herstellte, entstand nach dem Zweiten Weltkrieg die sowjetische | |
Raketenschmiede schlechthin. Zehntausende Beschäftigte arbeiteten in den | |
Hallen und unterirdischen Stollen von Juschmasch. | |
Raketen kamen wie vom Fließband, ab 1959 die Mittelstreckenrakete SS-4, | |
dann die SS-5, die 1962 auf Kuba stationiert wurde, dann die | |
Interkontinentalrakete SS-24. Das damalige Dnipropetrovsk wurde von den | |
Sowjets zur geschlossenen Stadt erklärt, die nur mit Passierschein und | |
unter strengen Auflagen besucht werden konnte. Für Ausländer war sie tabu. | |
Juschmasch heißt auf Ukrainisch Pivdenmasch und baut immer noch Raketen, | |
kooperiert mit der Nasa und anderen westlichen Partnern und wurde am 15. | |
Juli erstmals von russischen Raketen getroffen. | |
## Gefahr in den oberen Stockwerken | |
Auch wenn diese Angriffe nicht zum Alltag in Dnipro gehören, beliebt sind | |
Büros in den obersten Stockwerken seit dem 24. Februar nicht mehr. Die | |
Gefahr, von einer Rakete getroffen zu werden, ist hoch oben größer als in | |
den unteren Etagen. Doch die MenschenrechtlerInnen der Gruppe Sitsch haben | |
keine Wahl. Eine sehr enge Treppe führt direkt in den fünften Stock in der | |
Jaroslaw-Mudryj-Straße. Sie liegt im Stadtzentrum, unweit vom Büro des | |
Parlamentspräsidenten Mykola Lukaschuk. Hier oben arbeiten drei Juristinnen | |
der Gruppe Sitsch, benannt nach dem Hauptort der Saporoger Kosaken auf der | |
Dniproinsel Chortycja in Saporischschja. | |
Die Menschenrechtlerinnen helfen Kriegsopfern. Das seien, so berichtet die | |
Juristin Ksenia Onischtschenko, Soldaten, ehemalige Kriegsgefangene und | |
zivile Geiseln, Binnenflüchtlinge, Angehörige von Kriegsgefangenen und | |
Gefallenen. „Wer beispielsweise im Krieg einen Angehörigen verloren hat | |
oder durch eine russische Rakete Eigentum, hat Anspruch auf staatliche | |
Unterstützung“, erläutert Onischtschenko. Doch gebe es große | |
Schwierigkeiten. „Die Betroffenen wissen nicht, wo und wie sie die Anträge | |
stellen, welche Unterlagen sie vorlegen müssen. Oft erhalten sie | |
Ablehnungen. Und so helfen wir ihnen, Anträge und Beschwerden zu schreiben, | |
die entsprechenden Unterlagen zu sammeln. Und mitunter stehen wir ihnen | |
auch bei, wenn sie ihre Ansprüche auch mal vor Gericht durchsetzen müssen.“ | |
Auch ehemalige Kriegsgefangene brauchen juristische Unterstützung. Denn | |
formal haben sie ihre Einheit ohne Erlaubnis verlassen, was ein | |
Straftatbestand ist. Und so müssen sie beweisen, dass sie tatsächlich in | |
Gefangenschaft waren, um an Gelder zu kommen, die Soldaten und Kriegsopfern | |
zustehen, erzählt Onischtschenko. Den dafür notwendigen Austausch mit den | |
Armeeeinheiten übernehmen die Juristinnen von Sitsch. Mit fehlenden | |
Papieren schlagen sich viele Binnenflüchtlinge herum, berichtet | |
Onischtschenko. Viele seien Hals über Kopf und ohne Dokumente einzustecken | |
geflüchtet. Deswegen müssten sie diese neu ausstellen lassen. Erst dann | |
könnten sie Unterstützungsgelder bekommen. Auch dabei helfen die | |
Juristinnen. | |
Und noch etwas sei der Gruppe wichtig, sagt Onischtschenko. Man | |
dokumentiere in Zusammenarbeit mit der Menschenrechtsgruppe Charkiw | |
Kriegsverbrechen. Die Frauen von Sitsch hoffen, dass diese Dokumente eines | |
Tages als Beweis in einem Prozess gegen Kriegsverbrecher genutzt werden. | |
Weiß sie etwas von Menschenrechtsverletzungen durch ukrainische Behörden in | |
den jüngst befreiten Gebieten? Davon sei der Gruppe nichts bekannt, sagt | |
Onischtschenko. Wer mit den Besatzern kollaboriert habe, werde aber vor | |
Gericht gestellt. Die Rechtsprechung gegenüber Personen, denen man | |
Kollaboration mit den Besatzern vorwerfe, sei in der Praxis insgesamt aber | |
sehr demokratisch und human, versichert Onischtschenko. | |
## 200 Kilometer bis zur Grenze | |
Weil in den Gesetzen nicht klar geregelt sei, wie sich diese Personen | |
juristisch zu verantworten haben, verhängten die Gerichte mildere Strafen. | |
Wenn man das Büro der Menschenrechtsgruppe verlässt, ist man schnell wieder | |
auf dem Slobozhanskyj-Prospekt, einer Ausfallstraße, die nach Norden führt. | |
Sie wurde in Jekaterinoslaw im 19. Jahrhundert angelegt, um „Neurussland“ | |
fest mit dem Imperium zu verbinden. Von hier aus sind es etwa 200 Kilometer | |
bis zur russischen Grenze. Zu Russland soll die ganze Region nach Putins | |
Willen auch wieder gehören. Der Despot schickt weiter Raketen. | |
„Macht euch auf den Weg in die Schutzräume oder haltet zumindest die | |
Zweiwänderegel ein!“, warnt Parlamentspräsident Mykola Lukaschuk am | |
Montagabend auf seinem Telegram-Kanal. Mehrere russische Raketen seien auf | |
dem Gelände einer privaten Firma eingeschlagen, heißt es. Es habe gebrannt | |
und die Fabrik sei schwer beschädigt worden. | |
Mitarbeit: Thomas Gerlach | |
1 Dec 2022 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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Lesestück Recherche und Reportage | |
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Kolumne Radelnder Reporter | |
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