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# taz.de -- Büchnerpreis für Emine Sevgi Özdamar: Nie abstrakt, stets konkret
> Als würde sie die Welt ein- und ausatmen: Emine Sevgi Özdamars Stil ist
> unverkennbar und spiegelt sich in ihrer Dankesrede – eine Hommage an
> Georg Büchner, den sie in Istanbul kennenlernte.
Bild: Emine Sevgi Özdamar bei der Entgegennahme des Büchnerpreises in Darmsta…
Eine Spinne und Zigarettenrauch, das bleibt hängen von der Verleihung des
Büchnerpreises an Emine Sevgi Özdamar, die man am Samstag live bei der
Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt oder bequem zu Hause per
Livestream ansehen konnte. Die Spinne, so erzählte die Schriftstellerin in
ihrer Dankesrede, kam ihr als Kind wie eine Wiedergängerin ihres Bruders
vor, der, vier Jahre vor ihrer eigenen Geburt, im Alter von zwei Jahren
gestorben war.
Und der Zigarettenrauch stammt von ihrem Großvater, der, nachdem er im Kino
einen Film mit Jean Gabin gesehen hatte, eine Zeitlang so rauchte wie der
französische Schauspieler: die Zigarette lässig im Mundwinkel.
Dass zu Emine Sevgi Özdamars Stärken gehört, in ihren Büchern nie abstrakt
über ihre Erinnerungen und Erfahrungen zu schreiben, sondern stets konkret
in den beschriebenen Szenen zu bleiben, hatte Marie Schmidt, die
Literaturredakteurin der SZ, zuvor in ihrer Laudatio herausgearbeitet. Die
Dankesrede der Schriftstellerin konnte man gut als weiteren Beleg für diese
Beobachtung nehmen.
In ihrer zweiten Hälfte wurde diese Rede dann aber noch zu einer Hommage,
die Ernst Osterkamp, der Präsident der Akademie, in seinem Schlusswort ganz
gerührt als „Dankesrede auf Georg Büchner“ bezeichnete. In die Rede hinein
montierte Özdamar eine Episode, die man bereits aus ihrem Roman [1][„Ein
von Schatten begrenzter Raum“] kennen kann, über ihre erste Begegnung mit
Büchner als junge Frau auf der Schauspielschule in Istanbul.
Statt der Spinne wurde Büchner ihr damals der große Bruder, „der mit auf
meinem Weg leuchtete“. Und weiter: „Jeder hat im Himmel einen persönlichen
Himmel, in dem nicht nur die Sterne, sondern auch die Menschen, die uns
sehr berührt haben, ständig leuchten. Einer davon ist mein Bruder Georg
Büchner.“
Marie Schmidt hatte zuvor in ihrer Laudatio die Vielfalt und
Unmittelbarkeit der Schreibweisen Özdamar herausgestellt: „Ihre
Literatursprache kommt mir so vor, als würde sie die Welt ein- und
ausatmen“, sagte Schmidt, die damit die Besonderheiten dieser Autorin gegen
die Zuschreibungen und die „Sortier- und Stempelmaschine des Betriebs“
ausspielte, die Özdamar allzu lange allzu eindeutig in die „türkische
Schublade“ (ein Begriff von Özdamar selbst) gesteckt haben.
## Das Leben lieben
Schön und treffend war noch die Beobachtung in der Laudatio, in den Romanen
Özdamars sei die Erfahrung zu machen, „dass glückliche Liebe groß und
anarchisch sein kann“, während bei vielen Autoren wie Achternbusch und
Fassbinder, die Özdamar selbst auch bewundert, vor allem der unglücklichen
und tragischen Liebe Heftigkeit zugesprochen wird. Den Schatten von
Militärputschen, Toden und harschen Einordnungen auf der einen Seite steht
in Özdamars Werk tatsächlich die Bereitschaft, die Literatur, das Theater,
viele Menschen und auch allgemein das Leben zu lieben, auf der anderen
Seite entgegen.
Hübsch auf der Darmstädter Veranstaltung war zuvor noch eine Anekdote von
[2][Niklas Maak,] der den Merck-Preis bekam. Der FAZ-Architekturkritiker
erzählte von seiner Anfangszeit als Jungredakteur bei der SZ, wo er ein
Büro neben dem Feuilletongranden Joachim Kaiser zugewiesen bekommen hatte.
Kaiser pflegte seine Texte zu diktieren, so laut, dass dem jungen Maak
plötzlich gravitätische Wörter wie „freilich“ und „indes“, die aus d…
Nachbarzimmer bis zu ihm drangen, in seinen eigenen Artikel, an dem er
gerade saß, hineinpurzelten. Ernst wurde Maak aber auch noch, indem er
dafür warb, die Voraussetzungen einer gesellschaftsorientierten
Architekturkritik in den Redaktionen zu erhalten.
6 Nov 2022
## LINKS
[1] /Roman-von-Emine-Sevgi-Oezdamar/!5805569
[2] /Neuer-Roman-von-Niklas-Maak/!5683006
## AUTOREN
Dirk Knipphals
## TAGS
Literatur
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