# taz.de -- Annalena Baerbock zum Klimaschutz: Sind Sie die Letzte Generation? | |
> Zum ersten Mal fährt Annalena Baerbock als Außenministerin zur | |
> Klimakonferenz. Ein Gespräch über die Frage, was wir dem Globalen Süden | |
> schulden. | |
Bild: Annalena Baerbock am 10. November im Auswärtigen Amt | |
wochentaz: Frau Baerbock, sind Sie Teil der letzten Generation? | |
Annalena Baerbock: Wenn Sie die Protestbewegung meinen, offensichtlich | |
nicht. | |
Sie haben selbst immer wieder betont, dass Sie die letzte Generation sind, | |
nämlich die, die das noch verhindern kann. | |
Was denn sonst … Die Menschen, die politische Verantwortung tragen, wir | |
alle als Gesellschaft entscheiden zentral darüber mit, wie Kinder, die so | |
alt sind wie meine Töchter, groß werden. | |
Was ist dann schlimmer: die Unbewohnbarkeit einer Insel oder Schaden an | |
einem Gemälde? | |
Ich halte von diesen Gegensätzen gar nichts. Ich war gerade auf einer | |
solchen Insel im Inselstaat Palau, wo Menschen Sorge haben, in den nächsten | |
zehn Jahren ihr Zuhause zu verlieren. Sehr viel Schlimmeres gibt es wohl | |
kaum. Aber was hat ein Gemälde damit zu tun? | |
Die Gruppe Letzte Generation klebt sich nicht nur an Bilderrahmen, sondern | |
auch auf Straßen fest. Wann kleben Sie sich auf die Straße? | |
Ist das ernsthaft Ihre Frage an die deutsche Außenministerin? | |
Würde sich die Bürgerin Annalena Baerbock, die sieht, wie dramatisch der | |
Klimawandel ist, auf die Straße kleben? | |
Ich bin Bürgerin dieses Landes: Nein. | |
Beeinflussen diese Proteste Ihre Klimapolitik? | |
2018 saß Greta Thunberg zum ersten Mal mit einem Pappschild vor dem | |
schwedischen Parlament. Ein Jahr später sprach sie in der | |
Generalversammlung der Vereinten Nationen. Ich finde es mehr als | |
bemerkenswert, wie eine Schülerin und die darauf folgende globale | |
Jugendbewegung Fridays for Future Veränderungen vorangebracht hat. Als ich | |
2015 als klimapolitische Sprecherin der grünen Fraktion zur Pariser | |
Klimakonferenz gereist bin, wurden diejenigen, die wie ich den | |
Kohleausstieg gefordert haben, noch belächelt. Heute habe ich als deutsche | |
Außenministerin den Kohleausstieg 2030 mit im Gepäck zur COP. Das zeigt, | |
wie wichtig der Regierungswechsel in Deutschland – und ja, auch die | |
Klimabewegung – war und ist. | |
Aber wie glaubwürdig ist das denn, wenn man aus einem Land kommt, in dem | |
der Klimaexpertenrat gerade gesagt hat, hier werde das für 2030 gesetzte | |
Ziel wohl kaum erreicht? | |
Die Fehler der Vergangenheit können wir nicht rückgängig machen, das gilt | |
für die Klimapolitik genauso wie für die Russlandpolitik. Wir bezahlen die | |
von der Groko vertagte Energiewende mit einem sehr teuren Preis: mit | |
unserer Abhängigkeit von Russland und einer noch größeren Lücke zu unseren | |
Klimazielen. Deswegen haben wir als neue Regierung vor einem knappen Jahr | |
das Ruder übernommen und sofort herumgerissen, den Ausbau der Erneuerbaren | |
massiv beschleunigt und eine radikale Klimawende eingeleitet. | |
Ihrer Formulierung „radikale Klimawende“ widersprechen auf der COP 27 (und | |
in Deutschland) viele Klimaaktive. Ist das radikal genug angesichts der | |
dramatischen Entwicklung? | |
Dass eine radikale Klimapolitik das neue „Realistisch“ ist, sagen Grüne ja | |
nicht erst seit gestern. Aber dafür brauchen wir in einer Demokratie zum | |
Glück parlamentarische Mehrheiten. Die haben wir jetzt endlich. Wir wissen, | |
dass wir uns auf unseren Vorhaben keine Minute ausruhen können. Robert | |
Habeck arbeitet jeden Tag an neuen Gesetzen und Verordnungen, um den | |
Windausbau zu beschleunigen. Cem Özdemir macht dasselbe für die Emissionen | |
in der Landwirtschaft, Steffi Lemke gerade bei den Mooren, die wichtige | |
CO2-Senken sind. Svenja Schulze als Entwicklungsministerin und ich als | |
Außenministerin schließen internationale Klimapartnerschaften ab, um auch | |
weltweit gemeinsam auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen. Wir wissen, dass wir | |
noch längst nicht am Ziel sind. | |
Sind wir in Deutschland auf dem 1,5-Grad-Pfad? | |
Noch nicht, und mit nationaler Denke allein kommen wir auch niemals darauf. | |
Wir tun daher alles, um so schnell wie möglich als europäische Klimaunion | |
dahinzukommen. Wir haben in der EU darauf gedrängt, rechtzeitig zur COP | |
unsere eigenen CO2-Minderungsziele bis 2030 nochmal deutlich | |
nachzuschärfen, das ist gerade noch gelungen. Wir haben mit Blick auf | |
unsere Energie- und Stromerzeugung in Deutschland die richtigen Weichen | |
gestellt. Aber auch künftig werden wir Energie importieren müssen. Ein | |
wichtiger Teil von Klimaaußenpolitik ist deshalb, heute die Voraussetzungen | |
zu schaffen, dass wir auch bei den Importen auf diesen Pfad gelangen. | |
Auf der Konferenz hört man die Angst, Deutschland könne sich wieder in eine | |
fossile Abhängigkeit begeben. Wie kann es sein, dass Bundeskanzler Olaf | |
Scholz mit dem Senegal Pläne zum Ausbau von Gas-Infrastruktur verfolgt, von | |
denen keiner versteht, wozu das gut sein soll und wie sie mit dem Pariser | |
Abkommen zu vereinbaren sind? | |
Gas ist eine Brücke, aber jede Brücke hat auch ein Ende. Allerspätestens | |
Mitte der 2040er Jahre darf nur noch grüner Wasserstoff transportiert | |
werden. Bei neuen Investitionen jetzt darf es daher nur darum gehen, | |
kurzfristig den Ausfall der russischen Gaslieferungen zu ersetzen. | |
Wenn also der Kanzler sagt, wir unterstützen den Ausbau von neuen | |
Gasfeldern im Senegal, dann geht das nur, wenn diese Infrastruktur zur | |
grünen Infrastruktur werden kann? | |
Das ist unser Prinzip, auf das wir uns im Koalitionsvertrag verständigt | |
haben. Entsprechend hat der Bundeskanzler bei der Klimakonferenz | |
unterstrichen, dass wir ohne Wenn und Aber aus den Fossilen aussteigen. | |
In Deutschland schwankt die Stimmung bei jenen, die für Klimaschutz aktiv | |
sind, zwischen Verzweiflung und Lethargie. Wie nehmen Sie die Stimmung bei | |
Ihren Reisen etwa nach Niger oder in die Südsee wahr? | |
Klimaschutz ist in Niger, im Südpazifik, aber auch in Chile oder nach den | |
Überflutungen in Pakistan das wichtigste Thema. Diese Staaten erleben, dass | |
die Klimakrise nicht nur ihre Ernte, ihre Lebensgrundlage, sondern ihre | |
Heimat und Sicherheit bedroht. Viele hatten bei uns in Deutschland vor | |
einem Jahr ja etwas verwundert gefragt, warum wir jetzt so aktiv | |
Klimaaußenpolitik machen. In so gut wie allen meinen Gesprächen als | |
Außenministerin spüre ich eine Erleichterung, dass wir als deutsche | |
Regierung endlich das Klima als Sicherheitsthema sehen. In Regionen, wo das | |
Vieh der Hirten stirbt und Menschen kein Einkommen haben, haben Terroristen | |
gute Chancen, Anhänger zu rekrutieren. | |
Für diese Perspektivlosigkeit ist auch die mangelhafte deutsche | |
Klimapolitik der Vergangenheit verantwortlich. | |
In den Ländern, die heute schon – in unserer 1,2-Grad-Welt – so massiv | |
unter der Klimakrise leiden, erlebe ich vielerorts eine Mischung aus dem | |
Vorwurf „Ihr habt uns das eingebrockt“ und der Erwartung „Ihr müsst auch | |
hier bei uns vor allem technologisch handeln“. Und darin liegt auch die | |
globale Chance: bei der wirtschaftlichen Entwicklung nicht die Fehler der | |
Industriestaaten zu wiederholen, sondern sofort in saubere Industrien | |
einzusteigen. Ich selbst stand im Niger bei 48 Grad ohne Schatten auf | |
Felsbrocken in staubiger Landschaft, wo früher Baumwolle angebaut wurde. Da | |
ist die Bekämpfung der Klimakrise eine Existenzfrage. Aber was mir dort | |
begegnete, war keine Verzweiflung, sondern der eindringliche Appell, | |
endlich etwas zu tun. Man weiß auch dort, dass man eigentlich alle sauberen | |
Technologien in der Hand hält. Wir müssen sie endlich weltweit einsetzen. | |
Nicht nur zum Klimaschutz, sondern auch zur vielerorts in Afrika noch | |
fehlenden Elektrifizierung, zur Tröpfchenbewässerung, zur Entsalzung von | |
Böden, um sie wieder fruchtbar zu machen. | |
Auf der Weltklimakonferenz wurde gegen einigen Widerstand das Thema loss | |
and damage, also Schadenersatz bei Klimaschäden, auf die Tagesordnung | |
gesetzt. Wird da nur geredet oder ist man tatsächlich bereit, relativ | |
schnell eine Umsetzung, im Konferenzsprech heißt das Fazilität, | |
einzurichten? | |
Das war tatsächlich nicht ohne loss and damage auf die Tagesordnung der | |
Klimakonferenz zu setzen. Dass jene Staaten, die besonders unter den | |
Auswirkungen der Klimakrise leiden und am wenigsten dazu beigetragen haben, | |
ihre Probleme nicht prominent auf der Klimakonferenz verhandeln konnten, | |
war immer ein Hindernis bei den Klimaverhandlungen. Daher hatte ich auf dem | |
Petersberger Klimadialog im Berlin im Juli erstmals als Industrieland offen | |
gesagt: Wir müssen unsere bisherige Haltung ändern und loss and damage auf | |
die Tagesordnung nehmen. Das haben wir nun hinbekommen, und das zeigt, wie | |
wichtig es ist, dass wir als EU mit Inselstaaten oder Ländern wie Chile und | |
Mexiko zusammenarbeiten, die gemeinsam bei der Finanzierung und der | |
CO2-Minderung vorangehen wollen. | |
Aber ganz konkret: Sind Sie dafür, dass auf dieser COP entschieden wird: Es | |
gibt diese Fazilität? | |
Der Tagesordnungspunkt ist der Türöffner für alles Weitere. Als | |
Bundesregierung haben wir mit der Global-Shield-Initiative der G7 und der | |
V20 – dem Bündnis der verletztlichsten Staaten – auch einen ersten Baustein | |
geliefert, wie die Umsetzung aussehen kann. | |
Also wird es keine Beschlüsse auf dieser Konferenz dazu geben, obwohl die | |
Frage so dringlich ist? | |
Bevor ich überhaupt da bin, maße ich mir nicht an, die Dynamik einer | |
Konferenz vorherzusagen, zumal bei einem Thema, das viele Jahre so | |
umstritten war. Dass wir uns gleich am Anfang einigen konnten, das Thema | |
auf die Agenda zu setzen, zeigt immerhin, dass multilaterale Verhandlungen | |
trotz aller geopolitischen Spannungen möglich sind. Wenn sich die | |
Industriestaaten, die wirklich aus vollem Herzen alles für den Klimaschutz | |
tun wollen, und die Länder, die am meisten davon betroffen sind, | |
zusammentun, können wir auch Ergebnisse erzielen. | |
Ist das nicht ein gutes Beispiel dafür, was seit 30 Jahren in der | |
Klimapolitik falsch läuft? Dass wir froh sind, wenn über ein Thema geredet | |
wird. | |
Klar kann man sich zu jeder Klimakonferenz darüber beklagen, wie schlecht | |
und viel zu spät alles gelaufen ist. Das erleben wir und erst recht die | |
Menschen im Globalen Süden jeden Tag: wie viel Zeit wir verspielt haben und | |
wie dramatisch die Situation ist. Die Vergangenheit können wir aber nicht | |
ändern. Ich verstehe meinen Job so, alles dafür zu tun, damit wir es in | |
Zukunft besser machen, und zwar so schnell wie möglich. Ehrlich gesagt ist | |
offen, wie das bei dieser COP gelingt, denn ob es einem gefällt oder nicht: | |
Die Realität ist, dass wir uns mit über 190 Staaten einigen müssen, wenn | |
wir Ergebnisse wollen. Und wenn man nicht bereit ist, darüber zu reden, | |
werden wir auch niemals Beschlüsse fassen. | |
Was haben die betroffenen Länder von einer Tagesordnung? | |
Ich habe bei meinem Besuch auf Palau eine Erfahrung gemacht: Wenn wir als | |
Industriestaaten endlich sagen, wir tragen eine Verantwortung für diese | |
Krise und wir sehen unsere Verpflichtung, finanzielle Mittel | |
bereitzustellen, um auf kleinen Inselstaaten Dörfer umzusiedeln, dann | |
können wir zugleich darüber sprechen, dass das neue Dorf klimaneutral | |
aufgebaut wird: Keine Dieselgeneratoren mehr, sondern erneuerbare Energien. | |
Endlich können wir die Finanzfragen mit den Minderungszielen verbinden. Wir | |
haben gesehen, wie aus Tagesordnungspunkten ganz konkrete Projekte | |
entstehen. Das ist der Sinn von internationalen Konferenzen. Deshalb tun | |
wir uns auf der COP parallel zu den Textverhandlungen mit Staaten zusammen, | |
die konkret sagen: Wir fangen jetzt mit diesen Projekten an und warten | |
nicht darauf, bis formal alle mehr als 190 Staaten einen neuen Text | |
zustande gebracht haben. | |
Andere Länder des Globalen Südens fordern einen Schuldenerlass. | |
Unterstützen Sie die Idee? | |
Wir haben gerade erstmalig als G7-Außenminister*innen mit | |
Finanzakteur*innen darüber gesprochen, wie wir mit diesen massiven | |
Schuldenständen umgehen können. Diese Schulden tragen dazu bei, dass Länder | |
nicht in Zukunftsprojekte des Klimaschutzes investieren können, genauso | |
wenig wie in Bildung. Entsprechend wird die Schuldenfrage auch eine Rolle | |
bei der COP spielen. Allerdings wird es nicht einfach, zu einer gerechten | |
Lösung zu kommen. Wir dürfen nicht vergessen, dass seit der letzten | |
größeren Entschuldung mit China und privaten Fonds oder Banken neue | |
Gläubiger dazugekommen sind. | |
Ist ein Schuldenerlass derzeit überhaupt denkbar? Das würde die Inflation | |
noch höher treiben. | |
Für die globale Klimatransformation brauchen wir Billionen. In der jetzigen | |
Situation müssen wir daher unterschiedliche Dinge tun. Zum einen die schon | |
2009 versprochenen 100 Milliarden Dollar jährlich endlich für Klimaprojekte | |
bereitstellen. Aber zugleich haben die Pandemie und der russische Krieg die | |
Situation massiv verschärft. Daher müssen wir auch bei den globalen | |
Finanzbeziehungen etwas tun. Zwischen einem harten Schnitt und Maßnahmen | |
zur Umschuldung, zur Restrukturierung von Schulden gibt es sehr viele | |
Möglichkeiten. Viele Länder haben sich bei China verschuldet, um ihre | |
Infrastruktur zu finanzieren. Wir können nicht mehr darüber hinweggehen, | |
dass gewisse Länder inzwischen handlungsunfähig sind, weil sie ihre | |
Schulden nicht tragen können. | |
Die 100 Milliarden Dollar, von denen die Rede ist, sind ja fast Peanuts. | |
Wenn die Welt auf einen 1,5-Grad-Pfad kommen soll, geht es um | |
Billionen-Dollar-Programme. Die Premierministerin von Barbados tritt dafür | |
an, das gesamte Bretton-Woods-System, das Finanzsystem einschließlich der | |
Weltbank, auf den Prüfstand zu stellen. | |
Das globale Finanzsystem muss dringend so umgebaut werden, dass die | |
globalen Finanzströme in klimafreundliche Investitionen geleitet werden. | |
Ein Instrument könnten Klimakredite der Weltbank mit besseren Konditionen | |
sein. Und schon heute bietet die Weltbank Regierungen Budgetfinanzierungen | |
an, die an die Umsetzung von Politikreformen geknüpft sind. Warum sollte | |
es so etwas nicht für die Umsetzung von nationalen Klimastrategien geben? | |
Würden Sie in dem Zusammenhang gern den Weltbank-Chef David Malpass | |
loswerden, der vor Kurzem erst wieder den menschengemachten Klimawandel in | |
Frage gestellt hat? | |
Unser Fokus ist, die Reform der Weltbank insgesamt gemeinsam zu gestalten. | |
Als ein Land, das leider lange gebraucht hat, endlich mit Verve den | |
1,5-Grad-Pfad anzupeilen, sollte man sich nicht prioritär an anderen Leuten | |
abarbeiten, sondern zuerst vor seiner eigenen Haustür kehren. Dabei ist | |
zentral, dass man die Augen nicht vor der Realität verschließt. Das | |
beinhaltet den menschengemachten Klimawandel. | |
Aber mit einem Klimaleugner an der Spitze der Weltbank? | |
(Schweigen) | |
Okay, keine Antwort. Für Sie ist Klimapolitik die neue Geopolitik. Von | |
Kooperation ist in der Geopolitik derzeit wenig übrig. Im vergangenen Jahr | |
gab es bei der COP in Glasgow den Vorstoß, das Thema Klima aus den | |
weltpolitischen Spannungen herauszuhalten. Geht das? | |
Gerade wegen der weltpolitischen Spannungen braucht es umso mehr | |
Klimadiplomatie. Alles andere wäre Selbstmord für jeden einzelnen der 190 | |
Staaten. Schließlich macht die Klimakrise wegen Russlands brutalem | |
Angriffskrieg keine Pause. Staaten wie Äthiopien und Somalia leiden nun | |
mehr als doppelt so stark unter Ernteausfällen. Nach vier Jahren ohne Regen | |
kommt die Inflation und Lebensmittelknappheit durch Russlands Kornkrieg | |
hinzu. | |
Sie würden über das Klima auch mit Russland verhandeln? | |
Als G7-Präsidentin habe ich dafür geworben, dass wir beim G20-Treffen in | |
Indonesien gemeinsam mit unseren indonesischen, mexikanischen, | |
südkoreanischen Partnern gegenüber dem russischen Außenminister, der | |
ebenfalls am Tisch saß, deutlich machen, welche fatalen Folgen der | |
russische Angriffskrieg auf die ganze Welt hat. So ist es auch mit Blick | |
auf die Klimafragen. Die Dramatik dieses Jahres erhöht vielleicht sogar die | |
Chancen auf eine Einigung, weil sie allen ihre Verwundbarkeiten gezeigt | |
hat: Es ist unübersehbar, dass wir globale Probleme nicht alleine lösen | |
können. Und wenn in Zukunft ganze Regionen durch Klimaschäden dysfunktional | |
werden, können Lieferketten ausfallen und die Weltwirtschaft ins Chaos | |
gestürzt werden. Das Gleiche gilt, wenn Regionen unbewohnbar werden. Dann | |
werden die Migrationsbewegungen massive Auswirkungen haben. | |
Viele Länder, die bei der Klimakonferenz verhandeln, sind keine lupenreinen | |
Demokratien. Welche dreckigen Deals muss man eingehen? | |
Was heißt lupenrein? Demokratie ist nie am Ziel, Gesellschaften sind immer | |
im Wandel. Daher halte ich auch nichts von solchen plakativen | |
Zuschreibungen. Zugleich ist bekannt, dass die Welt nicht nur aus | |
Demokratien besteht. Aufgabe von Außenpolitik ist, zu definieren, wie wir | |
unsere bilateralen Partnerschaften verantwortungsvoll gestalten. Das ist | |
fast nie schwarz-weiß, aber auch nie ein „dreckiger Deal“, sondern | |
verantwortungsbewusstes Abwägen: Die meisten Länder teilen trotz aller | |
Probleme eine gemeinsame Basis, auf der man reden kann und muss: die | |
Anerkennung des internationalen Rechts, das Bekenntnis zur globalen | |
Zusammenarbeit und im Fall der Klimaverhandlungen vor allem auch das klare | |
Eigeninteresse jedes Landes, seine natürlichen Lebensgrundlagen zu retten. | |
Die allermeisten sind auf der COP nicht auf der Suche nach Kuhhandeln. | |
Aber ein großer Teil der Solarpaneels kommen aus China. Ein großer Teil der | |
Regenwälder befinden sind in Gegenden, in denen die Regierungsführung nicht | |
die beste ist. Ägypten ist ein Land, das Menschenrechte mit Füßen tritt. | |
Muss man, um beim Klima voranzukommen, bei Menschenrechten Abstriche | |
machen? | |
Man kann sich die Welt nicht schön zaubern. Es gibt Situationen, in denen | |
unsere Werte in Widerspruch zueinander stehen, und Dilemmata, die sich | |
nicht auflösen lassen. Aber das heißt nicht, dass ich Abstriche automatisch | |
bei Menschenrechten machen muss. Man muss sich bei jeder Entscheidung immer | |
wieder ehrlich fragen: Trägt es zum Vertuschen oder Verstärken von | |
Menschenrechtsverletzungen mit bei? Die COP in Ägypten hat mich nicht daran | |
gehindert, die Menschenrechtslage in jedem Gespräch mit Präsident Sisi | |
deutlich anzusprechen. Im Gegenteil: Am Rande des Petersberger Klimadialogs | |
in Berlin habe ich die Freilassung der politischen Gefangenen, auch von | |
Alaa Abdel Fattah gefordert. Und wir stellen unseren Pavillon bei der COP | |
ägyptischen Menschenrechtsgruppen zur Verfügung, die sonst kaum die Chance | |
bekommen, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. | |
Beißt sich Klimapolitik nicht doch mit menschenrechtsbasierter | |
Außenpolitik, etwa bei Chinas Solarpaneels? | |
Würde weniger Klimaschutz zu mehr Menschenrechtsschutz in China oder | |
Ägypten führen? Wohl kaum. Ich habe gerade bei meinem Besuch in Kasachstan | |
und Usbekistan eine Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien in Aussicht | |
gestellt. Ich habe aber überall dazugesagt, dass Voraussetzung für | |
langfristige Investitionen die Einhaltung von Regeln ist, und dazu gehört | |
auch der Schutz persönlicher Freiheitsrechte. Auf diese Weise könnte | |
Klimaschutz dazu beitragen, auch die Bürger- und Menschenrechte zu stärken. | |
Aber dafür müssen wir auch unsere eigenen Regeln definieren und nicht wie | |
in der Vergangenheit hoffen, dass sich die Menschenrechtslage schon | |
irgendwie verbessert – und erst recht vor einer Verschlechterung nicht die | |
Augen verschließen. Deshalb planen wir in der EU ein Importverbot für | |
Produkte aus Zwangsarbeit – das gilt logischerweise auch für Solarpaneels, | |
falls sie durch Zwangsarbeit gefertigt würden. | |
Was muss rauskommen, dass sie sagen: Diese Weltklimakonferenz wurde nicht | |
gegen die Wand gefahren? | |
Zur Ehrlichkeit gehört: Diese COP allein wird uns nicht auf den | |
1,5-Grad-Pfad bringen. Alle Länder müssten ihre Klimapläne sofort drastisch | |
nachschärfen. Das wird bis zum 19. November nicht passieren, so realistisch | |
und ehrlich muss man sein. Trotzdem: Jedes in Scharm al-Scheich | |
angeschärfte nationale Klimaziel zählt, jedes neue Klimaprojekt, jeder | |
Solarpark, jede große Waldinitiative, jedes Land, das wie Kenia mit | |
deutscher Unterstützung erklärt, dass es seinen Strom auf 100 Prozent | |
Erneuerbare umstellen wird. Denn jede eingesparte Tonne C02 hilft, uns vom | |
derzeitigen 2,7-Pfad Richtung 2 und 1,5 Grad zu bringen. Dafür braucht es | |
massiven Technologietransfer und auch Technologiesprünge in den nächsten | |
Jahren, um schneller aus den Fossilen aussteigen zu können. Die | |
geopolitische Lage macht das nicht leichter. Aber wir müssen verhindern, | |
dass als Folge des russischen Krieges 2022 ein verlorenes Jahr für die | |
Klimaverhandlungen wird. | |
Sie waren auf vielen Klimakonferenzen, kommen aber zum ersten Mal als | |
Vertreterin der Regierung. Was ist das für ein Gefühl? | |
2015 war ich mit meiner kleinen Tochter, die ein halbes Jahr alt war, in | |
Paris dabei. Ich habe mir vorgestellt: Wenn sie so alt ist wie ich damals – | |
35 –, dann werden wir im Jahr 2050 erleben müssen, ob wir das mit der | |
Dekarbonisierung der Industriestaaten erreicht haben. Jetzt als Ministerin | |
dort zu verhandeln, das ist für mich auch etwas Persönliches. | |
11 Nov 2022 | |
## AUTOREN | |
Barbara Junge | |
Bernhard Pötter | |
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