| # taz.de -- Annalena Baerbock zum Klimaschutz: Sind Sie die Letzte Generation? | |
| > Zum ersten Mal fährt Annalena Baerbock als Außenministerin zur | |
| > Klimakonferenz. Ein Gespräch über die Frage, was wir dem Globalen Süden | |
| > schulden. | |
| Bild: Annalena Baerbock am 10. November im Auswärtigen Amt | |
| wochentaz: Frau Baerbock, sind Sie Teil der letzten Generation? | |
| Annalena Baerbock: Wenn Sie die Protestbewegung meinen, offensichtlich | |
| nicht. | |
| Sie haben selbst immer wieder betont, dass Sie die letzte Generation sind, | |
| nämlich die, die das noch verhindern kann. | |
| Was denn sonst … Die Menschen, die politische Verantwortung tragen, wir | |
| alle als Gesellschaft entscheiden zentral darüber mit, wie Kinder, die so | |
| alt sind wie meine Töchter, groß werden. | |
| Was ist dann schlimmer: die Unbewohnbarkeit einer Insel oder Schaden an | |
| einem Gemälde? | |
| Ich halte von diesen Gegensätzen gar nichts. Ich war gerade auf einer | |
| solchen Insel im Inselstaat Palau, wo Menschen Sorge haben, in den nächsten | |
| zehn Jahren ihr Zuhause zu verlieren. Sehr viel Schlimmeres gibt es wohl | |
| kaum. Aber was hat ein Gemälde damit zu tun? | |
| Die Gruppe Letzte Generation klebt sich nicht nur an Bilderrahmen, sondern | |
| auch auf Straßen fest. Wann kleben Sie sich auf die Straße? | |
| Ist das ernsthaft Ihre Frage an die deutsche Außenministerin? | |
| Würde sich die Bürgerin Annalena Baerbock, die sieht, wie dramatisch der | |
| Klimawandel ist, auf die Straße kleben? | |
| Ich bin Bürgerin dieses Landes: Nein. | |
| Beeinflussen diese Proteste Ihre Klimapolitik? | |
| 2018 saß Greta Thunberg zum ersten Mal mit einem Pappschild vor dem | |
| schwedischen Parlament. Ein Jahr später sprach sie in der | |
| Generalversammlung der Vereinten Nationen. Ich finde es mehr als | |
| bemerkenswert, wie eine Schülerin und die darauf folgende globale | |
| Jugendbewegung Fridays for Future Veränderungen vorangebracht hat. Als ich | |
| 2015 als klimapolitische Sprecherin der grünen Fraktion zur Pariser | |
| Klimakonferenz gereist bin, wurden diejenigen, die wie ich den | |
| Kohleausstieg gefordert haben, noch belächelt. Heute habe ich als deutsche | |
| Außenministerin den Kohleausstieg 2030 mit im Gepäck zur COP. Das zeigt, | |
| wie wichtig der Regierungswechsel in Deutschland – und ja, auch die | |
| Klimabewegung – war und ist. | |
| Aber wie glaubwürdig ist das denn, wenn man aus einem Land kommt, in dem | |
| der Klimaexpertenrat gerade gesagt hat, hier werde das für 2030 gesetzte | |
| Ziel wohl kaum erreicht? | |
| Die Fehler der Vergangenheit können wir nicht rückgängig machen, das gilt | |
| für die Klimapolitik genauso wie für die Russlandpolitik. Wir bezahlen die | |
| von der Groko vertagte Energiewende mit einem sehr teuren Preis: mit | |
| unserer Abhängigkeit von Russland und einer noch größeren Lücke zu unseren | |
| Klimazielen. Deswegen haben wir als neue Regierung vor einem knappen Jahr | |
| das Ruder übernommen und sofort herumgerissen, den Ausbau der Erneuerbaren | |
| massiv beschleunigt und eine radikale Klimawende eingeleitet. | |
| Ihrer Formulierung „radikale Klimawende“ widersprechen auf der COP 27 (und | |
| in Deutschland) viele Klimaaktive. Ist das radikal genug angesichts der | |
| dramatischen Entwicklung? | |
| Dass eine radikale Klimapolitik das neue „Realistisch“ ist, sagen Grüne ja | |
| nicht erst seit gestern. Aber dafür brauchen wir in einer Demokratie zum | |
| Glück parlamentarische Mehrheiten. Die haben wir jetzt endlich. Wir wissen, | |
| dass wir uns auf unseren Vorhaben keine Minute ausruhen können. Robert | |
| Habeck arbeitet jeden Tag an neuen Gesetzen und Verordnungen, um den | |
| Windausbau zu beschleunigen. Cem Özdemir macht dasselbe für die Emissionen | |
| in der Landwirtschaft, Steffi Lemke gerade bei den Mooren, die wichtige | |
| CO2-Senken sind. Svenja Schulze als Entwicklungsministerin und ich als | |
| Außenministerin schließen internationale Klimapartnerschaften ab, um auch | |
| weltweit gemeinsam auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen. Wir wissen, dass wir | |
| noch längst nicht am Ziel sind. | |
| Sind wir in Deutschland auf dem 1,5-Grad-Pfad? | |
| Noch nicht, und mit nationaler Denke allein kommen wir auch niemals darauf. | |
| Wir tun daher alles, um so schnell wie möglich als europäische Klimaunion | |
| dahinzukommen. Wir haben in der EU darauf gedrängt, rechtzeitig zur COP | |
| unsere eigenen CO2-Minderungsziele bis 2030 nochmal deutlich | |
| nachzuschärfen, das ist gerade noch gelungen. Wir haben mit Blick auf | |
| unsere Energie- und Stromerzeugung in Deutschland die richtigen Weichen | |
| gestellt. Aber auch künftig werden wir Energie importieren müssen. Ein | |
| wichtiger Teil von Klimaaußenpolitik ist deshalb, heute die Voraussetzungen | |
| zu schaffen, dass wir auch bei den Importen auf diesen Pfad gelangen. | |
| Auf der Konferenz hört man die Angst, Deutschland könne sich wieder in eine | |
| fossile Abhängigkeit begeben. Wie kann es sein, dass Bundeskanzler Olaf | |
| Scholz mit dem Senegal Pläne zum Ausbau von Gas-Infrastruktur verfolgt, von | |
| denen keiner versteht, wozu das gut sein soll und wie sie mit dem Pariser | |
| Abkommen zu vereinbaren sind? | |
| Gas ist eine Brücke, aber jede Brücke hat auch ein Ende. Allerspätestens | |
| Mitte der 2040er Jahre darf nur noch grüner Wasserstoff transportiert | |
| werden. Bei neuen Investitionen jetzt darf es daher nur darum gehen, | |
| kurzfristig den Ausfall der russischen Gaslieferungen zu ersetzen. | |
| Wenn also der Kanzler sagt, wir unterstützen den Ausbau von neuen | |
| Gasfeldern im Senegal, dann geht das nur, wenn diese Infrastruktur zur | |
| grünen Infrastruktur werden kann? | |
| Das ist unser Prinzip, auf das wir uns im Koalitionsvertrag verständigt | |
| haben. Entsprechend hat der Bundeskanzler bei der Klimakonferenz | |
| unterstrichen, dass wir ohne Wenn und Aber aus den Fossilen aussteigen. | |
| In Deutschland schwankt die Stimmung bei jenen, die für Klimaschutz aktiv | |
| sind, zwischen Verzweiflung und Lethargie. Wie nehmen Sie die Stimmung bei | |
| Ihren Reisen etwa nach Niger oder in die Südsee wahr? | |
| Klimaschutz ist in Niger, im Südpazifik, aber auch in Chile oder nach den | |
| Überflutungen in Pakistan das wichtigste Thema. Diese Staaten erleben, dass | |
| die Klimakrise nicht nur ihre Ernte, ihre Lebensgrundlage, sondern ihre | |
| Heimat und Sicherheit bedroht. Viele hatten bei uns in Deutschland vor | |
| einem Jahr ja etwas verwundert gefragt, warum wir jetzt so aktiv | |
| Klimaaußenpolitik machen. In so gut wie allen meinen Gesprächen als | |
| Außenministerin spüre ich eine Erleichterung, dass wir als deutsche | |
| Regierung endlich das Klima als Sicherheitsthema sehen. In Regionen, wo das | |
| Vieh der Hirten stirbt und Menschen kein Einkommen haben, haben Terroristen | |
| gute Chancen, Anhänger zu rekrutieren. | |
| Für diese Perspektivlosigkeit ist auch die mangelhafte deutsche | |
| Klimapolitik der Vergangenheit verantwortlich. | |
| In den Ländern, die heute schon – in unserer 1,2-Grad-Welt – so massiv | |
| unter der Klimakrise leiden, erlebe ich vielerorts eine Mischung aus dem | |
| Vorwurf „Ihr habt uns das eingebrockt“ und der Erwartung „Ihr müsst auch | |
| hier bei uns vor allem technologisch handeln“. Und darin liegt auch die | |
| globale Chance: bei der wirtschaftlichen Entwicklung nicht die Fehler der | |
| Industriestaaten zu wiederholen, sondern sofort in saubere Industrien | |
| einzusteigen. Ich selbst stand im Niger bei 48 Grad ohne Schatten auf | |
| Felsbrocken in staubiger Landschaft, wo früher Baumwolle angebaut wurde. Da | |
| ist die Bekämpfung der Klimakrise eine Existenzfrage. Aber was mir dort | |
| begegnete, war keine Verzweiflung, sondern der eindringliche Appell, | |
| endlich etwas zu tun. Man weiß auch dort, dass man eigentlich alle sauberen | |
| Technologien in der Hand hält. Wir müssen sie endlich weltweit einsetzen. | |
| Nicht nur zum Klimaschutz, sondern auch zur vielerorts in Afrika noch | |
| fehlenden Elektrifizierung, zur Tröpfchenbewässerung, zur Entsalzung von | |
| Böden, um sie wieder fruchtbar zu machen. | |
| Auf der Weltklimakonferenz wurde gegen einigen Widerstand das Thema loss | |
| and damage, also Schadenersatz bei Klimaschäden, auf die Tagesordnung | |
| gesetzt. Wird da nur geredet oder ist man tatsächlich bereit, relativ | |
| schnell eine Umsetzung, im Konferenzsprech heißt das Fazilität, | |
| einzurichten? | |
| Das war tatsächlich nicht ohne loss and damage auf die Tagesordnung der | |
| Klimakonferenz zu setzen. Dass jene Staaten, die besonders unter den | |
| Auswirkungen der Klimakrise leiden und am wenigsten dazu beigetragen haben, | |
| ihre Probleme nicht prominent auf der Klimakonferenz verhandeln konnten, | |
| war immer ein Hindernis bei den Klimaverhandlungen. Daher hatte ich auf dem | |
| Petersberger Klimadialog im Berlin im Juli erstmals als Industrieland offen | |
| gesagt: Wir müssen unsere bisherige Haltung ändern und loss and damage auf | |
| die Tagesordnung nehmen. Das haben wir nun hinbekommen, und das zeigt, wie | |
| wichtig es ist, dass wir als EU mit Inselstaaten oder Ländern wie Chile und | |
| Mexiko zusammenarbeiten, die gemeinsam bei der Finanzierung und der | |
| CO2-Minderung vorangehen wollen. | |
| Aber ganz konkret: Sind Sie dafür, dass auf dieser COP entschieden wird: Es | |
| gibt diese Fazilität? | |
| Der Tagesordnungspunkt ist der Türöffner für alles Weitere. Als | |
| Bundesregierung haben wir mit der Global-Shield-Initiative der G7 und der | |
| V20 – dem Bündnis der verletztlichsten Staaten – auch einen ersten Baustein | |
| geliefert, wie die Umsetzung aussehen kann. | |
| Also wird es keine Beschlüsse auf dieser Konferenz dazu geben, obwohl die | |
| Frage so dringlich ist? | |
| Bevor ich überhaupt da bin, maße ich mir nicht an, die Dynamik einer | |
| Konferenz vorherzusagen, zumal bei einem Thema, das viele Jahre so | |
| umstritten war. Dass wir uns gleich am Anfang einigen konnten, das Thema | |
| auf die Agenda zu setzen, zeigt immerhin, dass multilaterale Verhandlungen | |
| trotz aller geopolitischen Spannungen möglich sind. Wenn sich die | |
| Industriestaaten, die wirklich aus vollem Herzen alles für den Klimaschutz | |
| tun wollen, und die Länder, die am meisten davon betroffen sind, | |
| zusammentun, können wir auch Ergebnisse erzielen. | |
| Ist das nicht ein gutes Beispiel dafür, was seit 30 Jahren in der | |
| Klimapolitik falsch läuft? Dass wir froh sind, wenn über ein Thema geredet | |
| wird. | |
| Klar kann man sich zu jeder Klimakonferenz darüber beklagen, wie schlecht | |
| und viel zu spät alles gelaufen ist. Das erleben wir und erst recht die | |
| Menschen im Globalen Süden jeden Tag: wie viel Zeit wir verspielt haben und | |
| wie dramatisch die Situation ist. Die Vergangenheit können wir aber nicht | |
| ändern. Ich verstehe meinen Job so, alles dafür zu tun, damit wir es in | |
| Zukunft besser machen, und zwar so schnell wie möglich. Ehrlich gesagt ist | |
| offen, wie das bei dieser COP gelingt, denn ob es einem gefällt oder nicht: | |
| Die Realität ist, dass wir uns mit über 190 Staaten einigen müssen, wenn | |
| wir Ergebnisse wollen. Und wenn man nicht bereit ist, darüber zu reden, | |
| werden wir auch niemals Beschlüsse fassen. | |
| Was haben die betroffenen Länder von einer Tagesordnung? | |
| Ich habe bei meinem Besuch auf Palau eine Erfahrung gemacht: Wenn wir als | |
| Industriestaaten endlich sagen, wir tragen eine Verantwortung für diese | |
| Krise und wir sehen unsere Verpflichtung, finanzielle Mittel | |
| bereitzustellen, um auf kleinen Inselstaaten Dörfer umzusiedeln, dann | |
| können wir zugleich darüber sprechen, dass das neue Dorf klimaneutral | |
| aufgebaut wird: Keine Dieselgeneratoren mehr, sondern erneuerbare Energien. | |
| Endlich können wir die Finanzfragen mit den Minderungszielen verbinden. Wir | |
| haben gesehen, wie aus Tagesordnungspunkten ganz konkrete Projekte | |
| entstehen. Das ist der Sinn von internationalen Konferenzen. Deshalb tun | |
| wir uns auf der COP parallel zu den Textverhandlungen mit Staaten zusammen, | |
| die konkret sagen: Wir fangen jetzt mit diesen Projekten an und warten | |
| nicht darauf, bis formal alle mehr als 190 Staaten einen neuen Text | |
| zustande gebracht haben. | |
| Andere Länder des Globalen Südens fordern einen Schuldenerlass. | |
| Unterstützen Sie die Idee? | |
| Wir haben gerade erstmalig als G7-Außenminister*innen mit | |
| Finanzakteur*innen darüber gesprochen, wie wir mit diesen massiven | |
| Schuldenständen umgehen können. Diese Schulden tragen dazu bei, dass Länder | |
| nicht in Zukunftsprojekte des Klimaschutzes investieren können, genauso | |
| wenig wie in Bildung. Entsprechend wird die Schuldenfrage auch eine Rolle | |
| bei der COP spielen. Allerdings wird es nicht einfach, zu einer gerechten | |
| Lösung zu kommen. Wir dürfen nicht vergessen, dass seit der letzten | |
| größeren Entschuldung mit China und privaten Fonds oder Banken neue | |
| Gläubiger dazugekommen sind. | |
| Ist ein Schuldenerlass derzeit überhaupt denkbar? Das würde die Inflation | |
| noch höher treiben. | |
| Für die globale Klimatransformation brauchen wir Billionen. In der jetzigen | |
| Situation müssen wir daher unterschiedliche Dinge tun. Zum einen die schon | |
| 2009 versprochenen 100 Milliarden Dollar jährlich endlich für Klimaprojekte | |
| bereitstellen. Aber zugleich haben die Pandemie und der russische Krieg die | |
| Situation massiv verschärft. Daher müssen wir auch bei den globalen | |
| Finanzbeziehungen etwas tun. Zwischen einem harten Schnitt und Maßnahmen | |
| zur Umschuldung, zur Restrukturierung von Schulden gibt es sehr viele | |
| Möglichkeiten. Viele Länder haben sich bei China verschuldet, um ihre | |
| Infrastruktur zu finanzieren. Wir können nicht mehr darüber hinweggehen, | |
| dass gewisse Länder inzwischen handlungsunfähig sind, weil sie ihre | |
| Schulden nicht tragen können. | |
| Die 100 Milliarden Dollar, von denen die Rede ist, sind ja fast Peanuts. | |
| Wenn die Welt auf einen 1,5-Grad-Pfad kommen soll, geht es um | |
| Billionen-Dollar-Programme. Die Premierministerin von Barbados tritt dafür | |
| an, das gesamte Bretton-Woods-System, das Finanzsystem einschließlich der | |
| Weltbank, auf den Prüfstand zu stellen. | |
| Das globale Finanzsystem muss dringend so umgebaut werden, dass die | |
| globalen Finanzströme in klimafreundliche Investitionen geleitet werden. | |
| Ein Instrument könnten Klimakredite der Weltbank mit besseren Konditionen | |
| sein. Und schon heute bietet die Weltbank Regierungen Budgetfinanzierungen | |
| an, die an die Umsetzung von Politikreformen geknüpft sind. Warum sollte | |
| es so etwas nicht für die Umsetzung von nationalen Klimastrategien geben? | |
| Würden Sie in dem Zusammenhang gern den Weltbank-Chef David Malpass | |
| loswerden, der vor Kurzem erst wieder den menschengemachten Klimawandel in | |
| Frage gestellt hat? | |
| Unser Fokus ist, die Reform der Weltbank insgesamt gemeinsam zu gestalten. | |
| Als ein Land, das leider lange gebraucht hat, endlich mit Verve den | |
| 1,5-Grad-Pfad anzupeilen, sollte man sich nicht prioritär an anderen Leuten | |
| abarbeiten, sondern zuerst vor seiner eigenen Haustür kehren. Dabei ist | |
| zentral, dass man die Augen nicht vor der Realität verschließt. Das | |
| beinhaltet den menschengemachten Klimawandel. | |
| Aber mit einem Klimaleugner an der Spitze der Weltbank? | |
| (Schweigen) | |
| Okay, keine Antwort. Für Sie ist Klimapolitik die neue Geopolitik. Von | |
| Kooperation ist in der Geopolitik derzeit wenig übrig. Im vergangenen Jahr | |
| gab es bei der COP in Glasgow den Vorstoß, das Thema Klima aus den | |
| weltpolitischen Spannungen herauszuhalten. Geht das? | |
| Gerade wegen der weltpolitischen Spannungen braucht es umso mehr | |
| Klimadiplomatie. Alles andere wäre Selbstmord für jeden einzelnen der 190 | |
| Staaten. Schließlich macht die Klimakrise wegen Russlands brutalem | |
| Angriffskrieg keine Pause. Staaten wie Äthiopien und Somalia leiden nun | |
| mehr als doppelt so stark unter Ernteausfällen. Nach vier Jahren ohne Regen | |
| kommt die Inflation und Lebensmittelknappheit durch Russlands Kornkrieg | |
| hinzu. | |
| Sie würden über das Klima auch mit Russland verhandeln? | |
| Als G7-Präsidentin habe ich dafür geworben, dass wir beim G20-Treffen in | |
| Indonesien gemeinsam mit unseren indonesischen, mexikanischen, | |
| südkoreanischen Partnern gegenüber dem russischen Außenminister, der | |
| ebenfalls am Tisch saß, deutlich machen, welche fatalen Folgen der | |
| russische Angriffskrieg auf die ganze Welt hat. So ist es auch mit Blick | |
| auf die Klimafragen. Die Dramatik dieses Jahres erhöht vielleicht sogar die | |
| Chancen auf eine Einigung, weil sie allen ihre Verwundbarkeiten gezeigt | |
| hat: Es ist unübersehbar, dass wir globale Probleme nicht alleine lösen | |
| können. Und wenn in Zukunft ganze Regionen durch Klimaschäden dysfunktional | |
| werden, können Lieferketten ausfallen und die Weltwirtschaft ins Chaos | |
| gestürzt werden. Das Gleiche gilt, wenn Regionen unbewohnbar werden. Dann | |
| werden die Migrationsbewegungen massive Auswirkungen haben. | |
| Viele Länder, die bei der Klimakonferenz verhandeln, sind keine lupenreinen | |
| Demokratien. Welche dreckigen Deals muss man eingehen? | |
| Was heißt lupenrein? Demokratie ist nie am Ziel, Gesellschaften sind immer | |
| im Wandel. Daher halte ich auch nichts von solchen plakativen | |
| Zuschreibungen. Zugleich ist bekannt, dass die Welt nicht nur aus | |
| Demokratien besteht. Aufgabe von Außenpolitik ist, zu definieren, wie wir | |
| unsere bilateralen Partnerschaften verantwortungsvoll gestalten. Das ist | |
| fast nie schwarz-weiß, aber auch nie ein „dreckiger Deal“, sondern | |
| verantwortungsbewusstes Abwägen: Die meisten Länder teilen trotz aller | |
| Probleme eine gemeinsame Basis, auf der man reden kann und muss: die | |
| Anerkennung des internationalen Rechts, das Bekenntnis zur globalen | |
| Zusammenarbeit und im Fall der Klimaverhandlungen vor allem auch das klare | |
| Eigeninteresse jedes Landes, seine natürlichen Lebensgrundlagen zu retten. | |
| Die allermeisten sind auf der COP nicht auf der Suche nach Kuhhandeln. | |
| Aber ein großer Teil der Solarpaneels kommen aus China. Ein großer Teil der | |
| Regenwälder befinden sind in Gegenden, in denen die Regierungsführung nicht | |
| die beste ist. Ägypten ist ein Land, das Menschenrechte mit Füßen tritt. | |
| Muss man, um beim Klima voranzukommen, bei Menschenrechten Abstriche | |
| machen? | |
| Man kann sich die Welt nicht schön zaubern. Es gibt Situationen, in denen | |
| unsere Werte in Widerspruch zueinander stehen, und Dilemmata, die sich | |
| nicht auflösen lassen. Aber das heißt nicht, dass ich Abstriche automatisch | |
| bei Menschenrechten machen muss. Man muss sich bei jeder Entscheidung immer | |
| wieder ehrlich fragen: Trägt es zum Vertuschen oder Verstärken von | |
| Menschenrechtsverletzungen mit bei? Die COP in Ägypten hat mich nicht daran | |
| gehindert, die Menschenrechtslage in jedem Gespräch mit Präsident Sisi | |
| deutlich anzusprechen. Im Gegenteil: Am Rande des Petersberger Klimadialogs | |
| in Berlin habe ich die Freilassung der politischen Gefangenen, auch von | |
| Alaa Abdel Fattah gefordert. Und wir stellen unseren Pavillon bei der COP | |
| ägyptischen Menschenrechtsgruppen zur Verfügung, die sonst kaum die Chance | |
| bekommen, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. | |
| Beißt sich Klimapolitik nicht doch mit menschenrechtsbasierter | |
| Außenpolitik, etwa bei Chinas Solarpaneels? | |
| Würde weniger Klimaschutz zu mehr Menschenrechtsschutz in China oder | |
| Ägypten führen? Wohl kaum. Ich habe gerade bei meinem Besuch in Kasachstan | |
| und Usbekistan eine Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien in Aussicht | |
| gestellt. Ich habe aber überall dazugesagt, dass Voraussetzung für | |
| langfristige Investitionen die Einhaltung von Regeln ist, und dazu gehört | |
| auch der Schutz persönlicher Freiheitsrechte. Auf diese Weise könnte | |
| Klimaschutz dazu beitragen, auch die Bürger- und Menschenrechte zu stärken. | |
| Aber dafür müssen wir auch unsere eigenen Regeln definieren und nicht wie | |
| in der Vergangenheit hoffen, dass sich die Menschenrechtslage schon | |
| irgendwie verbessert – und erst recht vor einer Verschlechterung nicht die | |
| Augen verschließen. Deshalb planen wir in der EU ein Importverbot für | |
| Produkte aus Zwangsarbeit – das gilt logischerweise auch für Solarpaneels, | |
| falls sie durch Zwangsarbeit gefertigt würden. | |
| Was muss rauskommen, dass sie sagen: Diese Weltklimakonferenz wurde nicht | |
| gegen die Wand gefahren? | |
| Zur Ehrlichkeit gehört: Diese COP allein wird uns nicht auf den | |
| 1,5-Grad-Pfad bringen. Alle Länder müssten ihre Klimapläne sofort drastisch | |
| nachschärfen. Das wird bis zum 19. November nicht passieren, so realistisch | |
| und ehrlich muss man sein. Trotzdem: Jedes in Scharm al-Scheich | |
| angeschärfte nationale Klimaziel zählt, jedes neue Klimaprojekt, jeder | |
| Solarpark, jede große Waldinitiative, jedes Land, das wie Kenia mit | |
| deutscher Unterstützung erklärt, dass es seinen Strom auf 100 Prozent | |
| Erneuerbare umstellen wird. Denn jede eingesparte Tonne C02 hilft, uns vom | |
| derzeitigen 2,7-Pfad Richtung 2 und 1,5 Grad zu bringen. Dafür braucht es | |
| massiven Technologietransfer und auch Technologiesprünge in den nächsten | |
| Jahren, um schneller aus den Fossilen aussteigen zu können. Die | |
| geopolitische Lage macht das nicht leichter. Aber wir müssen verhindern, | |
| dass als Folge des russischen Krieges 2022 ein verlorenes Jahr für die | |
| Klimaverhandlungen wird. | |
| Sie waren auf vielen Klimakonferenzen, kommen aber zum ersten Mal als | |
| Vertreterin der Regierung. Was ist das für ein Gefühl? | |
| 2015 war ich mit meiner kleinen Tochter, die ein halbes Jahr alt war, in | |
| Paris dabei. Ich habe mir vorgestellt: Wenn sie so alt ist wie ich damals – | |
| 35 –, dann werden wir im Jahr 2050 erleben müssen, ob wir das mit der | |
| Dekarbonisierung der Industriestaaten erreicht haben. Jetzt als Ministerin | |
| dort zu verhandeln, das ist für mich auch etwas Persönliches. | |
| 11 Nov 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Junge | |
| Bernhard Pötter | |
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