| # taz.de -- Festivalgründer über „Fluctoplasma“: „Bei uns knallt es rel… | |
| > Das Festival „Fluctoplasma“ will in Hamburg Wege erkunden, zu einem | |
| > pluralen und demokratischen Wir zu kommen. Das soll auch Widersprüche | |
| > zulassen. | |
| Bild: Aktivistin und Künstlerin: Asmara Habtezion rappt 2021 beim Festival | |
| taz: Dan Thy Nguyen, warum braucht Hamburg ein Festival für Diversität? | |
| Dan Thy Ngyen: Es geht um die Frage: Wie kriegen wir Diversität in die | |
| Institutionen hinein? Wie bringen wir das Abbild der Gesellschaft in die | |
| Institutionen hinein, damit sie mehr mit der Realität zu tun haben als | |
| vorher, wo Kunst größtenteils aus einer weißen, bildungsbürgerlichen | |
| Perspektive gesehen wurde. [1][Ich bin ein Kind von Geflüchteten]. Für mich | |
| ist das Einmischen in die Gesellschaft und das gleichberechtigte Aufbauen | |
| einer Gesellschaft Realität und Utopie. Das sollte das Fundament einer | |
| Gesellschaft sein, in der es radikale Menschlichkeit und Gleichberechtigung | |
| gibt. | |
| Wie sieht so eine Gesellschaft aus? | |
| Mit „radikaler Menschlichkeit“ meine ich eine Gesellschaft, die nicht | |
| sofort in Wut ausbricht, wenn es diverse Meinungen oder Positionen gibt. | |
| Eine Gesellschaft, die nicht nur versucht, Verständnis aufzubauen, sondern | |
| Ambivalenz in sich trägt. Wir brauchen die Fähigkeit, unsere | |
| Unterschiedlichkeit immer wieder neu zu verhandeln. | |
| Und diese Verhandlung soll auch in der Kunst stattfinden? | |
| Kunst ist ein Baustein, weil sie [2][das Politische ästhetisieren kann] und | |
| eine Brücke schaffen kann, für Menschen, die sich vielleicht noch nicht in | |
| den großen Theorien wie Gramsci, Marx oder dem Liberalismus zu Hause | |
| fühlen. Die Kunst ist eine Übersetzungsbrücke für das Menschliche. | |
| Wer kommt denn zu Ihrem Festival? | |
| Im Moment ist das ein verhältnismäßig junges städtisches Publikum. Das Ziel | |
| unserer Arbeit an und [3][mit Institutionen wie dem Museum Markk] und der | |
| Zentralbibliothek ist aber auch, ein weißes Bildungsbürgertum zu erreichen, | |
| um gemeinschaftlich an einen Punkt zu kommen, um über Gesellschaft zu | |
| diskutieren. | |
| Funktioniert die Kommunikation zwischen freier Szene und Institutionen? | |
| Zwischen Institution und freier Szene gibt es zwei komplett | |
| unterschiedliche Kulturen. Wir haben Jahre dafür gebraucht, uns Respekt zu | |
| erkämpfen, damit man uns auf Augenhöhe begegnet. Das fängt jetzt gerade an | |
| und darüber bin ich sehr froh. Gleichzeitig gibt es immer dieses Problem, | |
| dass wir so tun, als seien wir die großen Partner, strukturell und von den | |
| Ressourcen sind wir aber die kleineren Partner. | |
| Sie tun so, als seien Sie der große Partner? | |
| Ich meine das so, dass wir als „Fluctoplasma“ oft auf gleicher Ebene mit | |
| den großen Institutionen sprechen. Wir sind eigentlich ein kleiner | |
| Kulturverein, aber wir behaupten regelmäßig, dass wir nicht nur | |
| dazugehören, sondern den kulturellen und politischen Diskurs mitbestimmen. | |
| Nicht, weil wir auf institutioneller Ebene gleich sind, sondern weil wir | |
| auf menschlicher und demokratischer Ebene gleich sind. | |
| In der Praxis klappt das? | |
| Es gibt immer Aushandlungsprozesse. Mit unserem Programm sind wir schon ein | |
| bisschen Kulturpunks. Manchmal sind wir ein bisschen mehr mit dem Hammer | |
| drauf und dann sagt die Institution natürlich: „Okay gut, das ist eine | |
| total tolle Veranstaltung, aber ich glaube, das können wir hier nicht | |
| durchführen. [4][Also Dinge kaputtmachen, mitten auf dem Flur].“ | |
| Aber in der Kooperation setzen Sie auf Dialog statt Konfrontation? | |
| Es geht um die Frage: Welche Kämpfe will man wann führen? Uns geht es als | |
| Festival darum, wie wir in 15, 20 Jahren zusammenleben, ohne dass wir uns | |
| gegenseitig zerstört haben. Bei bestimmten Themen, zum Beispiel Rassismus, | |
| Antisemitismus oder Rassismus gegen Roma, sagen wir deutlich: „Das geht | |
| nicht!“ Aber wenn es darum geht, wie ein neues Wir entsteht, versuchen wir | |
| diplomatisch zu sein, weil wir es gut finden, dass es in einer Demokratie | |
| unterschiedliche politische Meinungen gibt. Die Fähigkeit, zusammenzukommen | |
| und Kompromisse zu finden, fehlt uns in unserer Gesellschaft noch zu sehr. | |
| Was meinen Sie mit einem neuen Wir? | |
| Die Frage ist, wie wir zu einem neuen demokratischen Wir kommen, ohne uns | |
| auf Demonstrationen oder im Internet gegenseitig zu behacken oder in | |
| Konflikt zu bringen. Ein Wir ist immer ein Prozess und wir bei | |
| „Fluctoplasma“ suchen nach einem pluralen, multiperspektivischen Wir, das | |
| Widersprüche zulässt. Wir suchen nicht nach einem deutschen, sondern nach | |
| einem europäischen Wir. Darin steckt so viel Ambivalenz und | |
| gesellschaftliche Sprengkraft, da haben wir Stoff für die nächsten | |
| Jahrzehnte. | |
| Zum Beispiel? | |
| Queere Themen werden in Hamburg anders verhandelt als in Warschau. Deswegen | |
| bringen wir Menschen aus Polen und aus Deutschland zusammen, damit sie | |
| Strategien diskutieren können, wie man zum Beispiel gegen ultrakonservative | |
| oder populistische Parteien ankämpfen kann. | |
| Und zum Schluss: Was bedeutet denn der Name „Fluctoplasma“ eigentlich? | |
| Das „Flucto“ bezieht sich auf das Fließen und das Plasma auf die | |
| Geladenheit. Ich bin ein großer Fan des Begriffs der flüssigen und | |
| flüchtigen Moderne von Zygmunt Bauman: eine Gesellschaft, wo die | |
| Traditionslinien verdampfen und in einer atemberaubenden Geschwindigkeit | |
| neue Diskurse entstehen und immer wieder neu verhandelt werden. Diese | |
| Unübersichtlichkeit von Gesellschaft sollte Teil dieses Festivals sein. | |
| „Fluctoplasma“ heißt, es geht um das Aushandeln der solidarischen | |
| Stadtgesellschaft. Wir sind ein Festival, wo es sehr viele unterschiedliche | |
| politische Ausrichtungen gibt. Und ich würde sagen, es knallt relativ | |
| häufig auf unserem Festival. | |
| 28 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Franziska Betz | |
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