# taz.de -- Russlandpolitik der Sozialdemokraten: Die Illusionen der SPD | |
> Parteichef Lars Klingbeil kritisiert vier Irrtümer der SPD in Sachen | |
> Russland. Putin sei kein vertrauenswürdiger Partner. Doch manches bleibt | |
> vage. | |
Bild: Frank-Walter Steinmeier und Sergei Lawrow bei Ukraine-Beratungen in der V… | |
BERLIN taz | Im Wahlprogramm der SPD von 2021 steht: „Frieden in Europa | |
kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben.“ Seit dem | |
[1][russischen Überfall auf die Ukraine] am 24. Februar ist diese | |
Einschätzung offenkundig Makulatur. Die SPD hatte, wie Union und die | |
deutsche Industrie auch, in der Russland-Politik lange auf gute Geschäfte | |
und Diplomatie gesetzt. Vor allem die SPD hatte die Energiedeals mit Moskau | |
mit historischer Bedeutung und Moral aufgeladen, indem sie diese mit dem | |
der Entspannungspolitik von Willy Brandt entlehnten Slogan „Wandel durch | |
Annäherung“ garniert hatte. | |
Zeit also für eine Korrektur. „Wandel durch Annäherung ohne politische | |
Agenda funktioniert nicht“, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil am Montagabend im | |
Willy-Brandt-Haus. Angekündigt war eine selbstkritische Bestandsaufnahme | |
des SPD-Vorsitzenden, der lange persönlich eng mit dem Gazprom-Lobbisten | |
Gerhard Schröder verbunden war. Klingbeil identifizierte vier grundlegende | |
Fehler seiner Partei. | |
Man habe die Bedeutung der gemeinsamen Geschichte überschätzt, so der | |
SPD-Chef etwas wolkig. Gemeint ist wohl, dass Moskau wegen des | |
NS-Vernichtungskrieges nicht nur für die Sozialdemokraite eine Art | |
moralischen Bonus hatte. Zudem habe die SPD nicht realisiert, dass Russland | |
seit langem „innenpolitisch repressiver und außen politisch aggressiver“ | |
wurde. Letzteres meint offenkundig die Annexion der Krim 2014 und die | |
Aggression im Donbas. | |
Drittens habe man sich leichtfertig abhängig von billigen Energieimporten | |
aus Russland gemacht. Und zudem habe man mit starrem Blick auf Moskau die | |
kritischen Einwände aus Ostmitteleuropa nicht berücksichtigt. „Wir hätten | |
mehr auf unsere Partner in Ostmitteleuropa hören müssen.“ Klingbeil betonte | |
angemessen zerknirscht, dass die Reihe „der blinden Flecken“ nicht | |
vollständig und wohl noch länger sei. | |
## Klingbeil schwieg zu Schwesig | |
Auffällig war, wozu Klingbeil nichts sagte. Kein Wort zu der [2][engen | |
Zusammenarbeit der Schweriner SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig mit | |
Gazprom] in Sachen Nord Stream 2, kein Wort zu der [3][Russland-Connection | |
des Ex-SPD-Kanzlers Gerhard Schröder]. Einen Bogen machte der SPD-Chef auch | |
um die von dem damaligen SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier | |
verantworteten Minsker Abkommen. Keine Kritik, keine Verteidigung. | |
Dafür nahm Klingbeil lieber die Zukunft ins Auge, die es mit einem | |
Dreiklang zu bewältigen gelte. Es brauche eine starke EU. Deutschland soll | |
dort eine Führungsrolle spielen und zudem international verhindern, dass | |
Putin einen antiwestlichen Block schmiede. | |
„Russland hat sich aus dem System der gemeinsamen Sicherheit verabschiedet. | |
Unsere Sicherheit muss ohne Russland funktionieren“, sagte Klingbeil. Der | |
SPD-Chef fügte hinzu, dass sich Russland fundamental ändern müsse, damit es | |
wieder „ein gemeinsames Vorgehen bei Klimafragen und Abrüstung“ geben | |
könne. Also keine Rüstungskontrolle mehr? Keine Beteiligung Russlands an | |
Klimaschutzabkommen? Klingbeils Formulierung ließ viel offen. | |
Die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff kritisierte in der | |
anschließenden Debatte, dieses neue Sicherheitskonzept sei „zu kurz | |
gedacht“. Vielmehr müsse der Westen Russland, so wie es jetzt ist, also mit | |
Putin, illusionslos in Sicherheitskonzepte miteinbeziehen. Der Westen müsse | |
wieder lernen, was er zu Zeiten des Kalten Krieges konnte – „aus Feinden | |
Gegner machen“. | |
Klingbeil konterte, dass Putin kein vertrauenswürdiger Partner mehr sei, | |
weil er „uns angelogen hat“. Deitelhoff beharrte darauf, dass Vertrauen nur | |
in der Innenpolitik essenziell sei. In der Außenpolitik sei Kooperation | |
etwa bei Rüstungsbegrenzungen „auch ohne Vertrauen“ möglich. Obwohl es gut | |
und nötig sei, dass die EU weitgehend geschlossen die Sanktionen gegen | |
Russland trage, warnte Deitelhoff vor llusionen. Der Ukrainekrieg werde | |
nicht automatisch für eine verstärkte Integration der EU sorgen. | |
Klingbeil betonte, dass er keine neue Russland-Politik der SPD formuliert | |
habe. Dafür sei es zu früh. Die neue Russland-Politik wolle er im Gespräch | |
mit ostmitteleuropäischen Ländern entwickeln. Die Aufarbeitung der | |
Russland-Politik der SPD ist also keineswegs beendet. Erfreulich wäre, wenn | |
die Selbstkritik konkreter wäre. Ohne Bewertung der wesentlich von | |
SPD-Ministern forcierten Krisendiplomatie nach der Annexion der Krim bleibt | |
das Bild unvollständig. | |
19 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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