# taz.de -- Diskussionsveranstaltung in Berlin: Abriss, der verbindet | |
> Die Klima- und die Mietenbewegung diskutieren über gemeinsame Ziele. Kann | |
> der Kampf gegen spekulativen Abriss und Neubau sie vereinen? | |
Bild: Auch hier wird günstiger Wohnraum zerstört, weil er nicht profitabel ge… | |
BERLIN taz | Immobilien zu überhöhten Preisen kaufen, anschließend leer | |
stehen und verfallen lassen, um dann mit [1][Abriss und Neubau] doch noch | |
Profite rauszuschlagen: Das ist eine Spekulationsstrategie, die unter | |
Investor:innen in Berlin angesichts knapp werdender Baugrundstücke | |
wieder beliebter wird, aber fatale ökologische und soziale Folgen mit sich | |
bringt. „Gegen Abriss zu sein, heißt nicht nur, preiswerten Wohnraum zu | |
schützen, sondern auch das Klima“, sagt Valentia Hauser, die Sprecherin der | |
Initiative Leerstand-hab-ich-Saath. „Abriss war gestern schon scheiße.“ | |
Die Initiative lud am Mittwochabend Vertreter:innen von klima- und | |
mietenpolitischen Gruppen in den Kiezraum auf dem Dragonerareal ein, um | |
neue Bündnisse gegen Abriss und Neubau zu schmieden. Beteiligt waren auch | |
der Berliner Mieterverein, das Bündnis Mietenwahnsinn und der Verein Watch | |
Indonesia. | |
Was spekulativer Abriss bedeutet, wissen die Aktivist:innen von | |
Leerstand-hab-ich-Saath aus eigener Erfahrung: Seit Jahren kämpfen sie für | |
den Erhalt eines Plattenbaukomplexes in der namensgebenden Habersaathstraße | |
in Mitte. | |
Weil die erneute Sanierung der erst 2008 renovierten Platte nicht | |
profitabel genug ist, will der Investor die mehr als 100 bezahlbaren | |
Wohnungen abreißen und durch Luxuswohnungen ersetzen. Ein Großteil stand | |
jahrelang leer, nur wenige Mieter:innen hielten es trotz dubioser | |
Praktiken des Eigentümers dort aus. N[2][ach zwei Versuchen] gelang es der | |
Initiative, das Haus im Dezember 2021 dauerhaft zu besetzen. Eine Gruppe | |
zuvor wohnungsloser Menschen wohnt nun in dem Gebäude. | |
Doch um einer Niederlage im Rechtsstreit mit dem Eigentümer zuvorzukommen, | |
unterzeichnete im Juni der damalige Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan | |
von Dassel (Grüne), [3][die Abrissgenehmigung]. Die neuen | |
Bewohner:innen dürfen noch bis März nächsten Jahres bleiben. | |
## Soziale Bewegungen unter Druck | |
Trotz des drohenden Abrisses wird die Besetzung als ein Erfolg der | |
stadtpolitischen Bewegung gesehen – ein zuletzt eher seltenes Erlebnis. Die | |
vergangenen Jahre waren geprägt von [4][Räumungen linker Projekte] und | |
juristischer Niederlagen, wie dem Einkassieren des Mietendeckels und des | |
Vorkaufsrechts. Auch die Umsetzung des Volksentscheids Deutsche Wohnen und | |
Co enteignen droht vom Senat verschleppt zu werden. | |
Die Besetzung der Habersaathstraße könne also als Blaupause für die | |
sozialen Bewegungen der Stadt dienen, schlägt Hauser bei der Debatte vor: | |
„Wir haben erfolgreich besetzt, ihr könnt das auch.“ Jeder Abriss müsse | |
verhindert werden; als Mittel schlägt sie neben Besetzungen Baggerblockaden | |
und andere Mittel des zivilen Ungehorsams vor. „Da wäre eine Klebeaktion | |
richtig sinnvoll“, so Hauser mit einem Seitenhieb auf die jüngsten | |
Blockaden der Klimaaktivist:innen der Letzten Generation. | |
Denn auch die Klimabewegung steht unter Druck. Die Demonstrationen von | |
Fridays for Future haben an Dynamik verloren, der Ausbau fossiler | |
Energieinfrastruktur infolge des Ukraine-Krieges schmälert die einstigen | |
Erfolge das Blockade-Bündnisses Ende Gelände. Und die Kritik an den | |
Aktionen der Letzten Generation hat eine neue Dimension erreicht, nachdem | |
ein Rettungswagen wohl [5][wegen einer Blockade zu spät zum Unfallort einer | |
schwer verletzten Radfahrerin gelangte]. | |
Dazu kommt, dass die Bewegung nach der Pandemie nur noch ein Viertel der | |
Mobilisierungsstärke von 2019 besäße, schätzt Bewegungstratege Tadzio | |
Müller. Vor diesem Hintergrund könne die Zusammenarbeit mit der | |
Mietenbewegung ein attraktives Kooperationsangebot für die | |
Klimaaktivist:innen sein: „Die Letzte Generation könnte dabei helfen, | |
Räumungen und Abrisse zu verhindern und somit ihr Image verbessern.“ | |
## Zusammen gegen die A100 | |
Inhaltlich gibt es mehr als genug Anknüpfungspunkte zwischen den Mieten- | |
und Klimabewegung. Über 40 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in | |
Deutschland werden vom Gebäudesektor verursacht, wovon wiederum ein | |
Großteil vom Bausektor verursacht wird, berichtet die Präsidentin der | |
Berliner Architektenkammer Theresa Keilhacker bei der Diskussion. Allein | |
die Produktion von Beton verursache Unmengen an CO2. Keilhacker spricht | |
deshalb von „grauer Energie“, die in alten Gebäuden gespeichert ist und mit | |
einem Abriss verloren geht. Dazu kommt die Zerstörung von ökologisch | |
wertvollen Flächen durch den Abbau von Sand und anderen Baumaterialien. | |
Sanierung und die Entwicklung von Bestandsstrukturen seien fast immer | |
sinnvoller als Abriss und Neubau. | |
„Der Abriss der Habersaathstraße wäre ein Rückschritt bei der Rettung | |
grauer Energie“, sagt Keilhacker. Zusammen mit anderen kritischen | |
Architekt:innen, Ingenieur:innen und Wissenschaftler:innen hatte | |
sie im September in einem offenen Brief an Bundesbauministerin Klara | |
Geywitz (SPD) ein [6][„Abrissmoratorium“] gefordert – sprich Abriss nur in | |
Ausnahmefällen zuzulassen. Derzeit gäbe es kaum rechtliche Möglichkeiten, | |
den Abriss von Wohnraum oder Gewerbe zu verhindern, sagt Keilhacker. | |
Dabei ist die Frage der energetischen Sanierung von Altbauten einer der | |
Gründe, warum es bisher zu keinem Schulterschluss zwischen Klima- und | |
Mietenbewegung gekommen ist, mutmaßt Tadzio Müller. „Es war immer die Angst | |
der Klimabewegung, dass das dann auf die Mieten aufgeschlagen wird.“ | |
Tatsächlich werden energetische Sanierungen gerne von Eigentümer:innen | |
genutzt, um Mieten an der Mietpreisbremse vorbei zu erhöhen. Die | |
Modernisierungsumlage erlaubt, acht Prozent der Kosten dauerhaft auf die | |
Mieten aufzuschlagen. | |
Besser sollten sich die beiden Bewegungen auf konkrete Kämpfe fokussieren, | |
die für beide relevant sind. So könne man gegen die [7][Verlängerung der | |
A100] „massenhaften Widerstand errichten“ sagt Müller, vergleichbar mit den | |
Protesten gegen die Abholzung des Hambacher Waldes. Ein Weiterbau der | |
Stadtautobahn durch Friedrichshain hindurch, wie vom | |
Bundesverkehrsministerium geplant, würde den großflächigen Abriss von | |
Kultur- und Wohnraum bedeuten. „Ganz Berlin hasst die A100“ – davon ist | |
Müller überzeugt. | |
3 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Oekologie-des-Bauens/!5758484 | |
[2] /Erfolgreiche-Besetzung-in-Berlin/!5822941 | |
[3] /Streit-um-Habersaathstrasse/!5861054 | |
[4] /Protest-gegen-Verdraengung-von-Kiezkneipe/!5844222 | |
[5] /Blockaden-der-Letzten-Generation/!5888674 | |
[6] http://www.abrissmoratorium.de | |
[7] /17-Bauabschnitt-der-A100/!5873618 | |
## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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