Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Folgen des gekippten Vorkaufsrechts: Mieter:innen hängen in der Sc…
> Immer mehr Vermieter:innen greifen Abwendungsvereinbarungen an, die
> Mieter:innen bisher vor Verdrängung schützen. Die Bezirke halten
> dagegen.
Bild: Droht eine neue Welle Luxussanierung?
Berlin taz | Der Schutz von Berlins Mieter:innen droht weiter zu
bröckeln. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht bereits im vergangenen Jahr
das bezirkliche Vorkaufsrecht gekippt hat, greifen Vermieter:innen nun
zunehmend die Abwendungsvereinbarungen an, die derzeit noch mehrere Tausend
Mieter:innen vor Verdrängung schützen. Laut taz-Anfragen an die Bezirke,
in denen die meisten der so gesicherten Häuser liegen, haben mindestens 58
Vermieter:innen die Abwendungsvereinbarungen ihrerseits für ungültig
erklärt.
Insgesamt wurden laut Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) 384
Häuser auf diese Weise gesichert. In [1][Abwendungsvereinbarungen]
verpflichten sich die Eigentümer:innen zu einer sozialen
Vermieter:innenpraxis, zum Beispiel, indem sie auf Umwandlungen in
Eigentumswohnungen oder Modernisierungen verzichten. Das Vorkaufsrecht
hatte es möglich gemacht, die Eigentümer:innen dazu zu bringen –
ansonsten konnten Kommunen Investor:innen zum Verkauf stehenden
Wohnraum vor der Nase wegschnappen. Verhindern konnten diese dies nur durch
die Unterzeichnung einer Abwendungsvereinbarung.
Seit dem Wegfall des Vorkaufsrechts wittern viele Eigentümer:innen die
Chance, endlich die renditehemmenden Sozialverpflichtungen loszuwerden.
Laut Zahlen, die die Bezirke der taz auf Anfrage vorgelegt haben, wurden in
Neukölln 13 der insgesamt 83 Vereinbarungen einseitig aufgekündigt. Im
Bezirksamt Pankow flatterten Kündigungen für 8 der 40 so gesicherten Häuser
ein. In Tempelhof-Schöneberg wurden 10 von 61 Vereinbarungen gekündigt. Das
Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat 15 Kündigungen erhalten. In Mitte
wurden 12 Abwendungsvereinbarungen für ungültig erklärt.
## Kündigungen werden nicht akzeptiert
Das Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat kürzlich der Fall
[2][Jonasstraße 24 in Neukölln]. Das Verwaltungsgericht erlaubte dort der
Eigentümerin die Kündigung der Abwendungsvereinbarung. Zwar erklärte das
Gericht die Vereinbarung für grundsätzlich gültig – auch ohne
Vorkaufsrecht. Aus der veränderten Rechtssituation leitete es aber ein
Kündigungsrecht ab.
Laut Senat und Bezirken handelt es sich um ein Einzelfallurteil. Alle
angefragten Bezirke teilten der taz mit, bei den Ämtern eingehende
Kündigungen würden nicht akzeptiert. Der taz liegen allerdings Unterlagen
zu einem Fall vor, in dem ein Bezirksamt eine Abwendungsvereinbarung
freiwillig aufgelöst hat. Dabei ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts
noch gar nicht rechtskräftig. Die Stadtentwicklungsverwaltung hat
Beschwerde eingelegt, über die das Oberverwaltungsgericht entscheiden wird.
Für Immobilienanwalt Mathias Hellriegel sind dennoch alle
Abwendungsvereinbarungen bereits jetzt „nichtig, jedenfalls aber kündbar“.
Nur wegen der bezirklichen Drohung mit dem Vorkaufsrecht hätten die
Investor:innen unterschrieben. Der taz sagte Hellriegel, alle von ihm
vertretenden Eigentümer:innen hätten ihre Abwendungsvereinbarungen
bereits gekündigt oder würden dies bald tun. „Meine Mandanten, die
gekündigt haben, halten sich auch nicht mehr daran“, so Hellriegel.
## Umwandlung in Eigentum verboten
Damit schießt der Eigentümer:innen vertretende Anwalt auch gegen
Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD). Dieser sagte am Sonntag dem
RBB, es seien lediglich 14 Abwendungsvereinbarungen vor Gericht angegriffen
worden – dies sei als Indiz dafür, dass die Investor:innen zu ihren
Verträgen stehen. Pressesprecherin Petra Rohland gestand auf taz-Nachfrage
ein, dass es sich dabei um eine Zahl vom Frühjahr handelt. Mit denen der
taz ist sie dennoch nicht direkt vergleichbar, da sich Geisel
ausschließlich auf Fälle bezog, die vor Gericht verhandelt werden.
Zwar ist noch offen, wie das Oberverwaltungsgericht urteilen wird, für die
Mieter:innen sieht es aber nicht rosig aus: Bis zum Urteil bleibt ihr
Status unklar. Wenigstens die Umwandlung ihrer Häuser in Eigentum müssen
sie wohl aber nicht fürchten. Im vergangenen Jahr hat der Bund mit Paragraf
250 Baugesetzbuch ein befristetes Umwandlungsverbot beschlossen, laut dem
in angespannten Wohnlagen zwei Drittel aller Mieter:innen einer
Umwandlung in Eigentum zustimmen müssen. „Ein großes Ziel der
Abwendungsstrategie bleibt erhalten“, sagte deshalb der Baustadtrat von
Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne), zur taz.
Weiter droht den Mieter:innen Verdrängung durch Modernisierung. Diesen
Spuk beenden könnte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), indem er
seine Blockade aufgibt, das Vorkaufsrecht auf Bundesebene zu sichern.
Hoffen müssen die Mieter:innen also auf die FDP – ob das wohl gut geht.
8 Nov 2022
## LINKS
[1] /Gerichtsentscheidung-zum-Vorkaufsrecht/!5815067
[2] /Beschluss-nach-Vorkaufsrecht-Urteil/!5888606
## AUTOREN
Timm Kühn
## TAGS
Mietenwahnsinn
Vorkaufsrecht
Milieuschutz
Mietenbewegung
Vorkaufsrecht
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Vorkaufsrecht
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommunales Vorkaufsrecht in Berlin: Mieter bleiben geschützt
Nach dem Ende des Vorkaufsrechts wollten Hauskäufer Vereinbarungen zum
Mieterschutz mit den Bezirken aufkündigen. Das Verwaltungsgericht
widerspricht.
Diskussionsveranstaltung in Berlin: Abriss, der verbindet
Die Klima- und die Mietenbewegung diskutieren über gemeinsame Ziele. Kann
der Kampf gegen spekulativen Abriss und Neubau sie vereinen?
Beschluss nach Vorkaufsrecht-Urteil: Mietenschutz auf der Kippe
Erstmals erlaubt ein Gericht einer Hauseigentümerin, eine
Abwendungsvereinbarung zu kündigen, die Mieter:innen vor Verdrängung
schützen soll.
Gerichtsentscheidung zum Vorkaufsrecht: Immobilien-Lobby will weiter klagen
Nachdem ein Gericht das Vorkaufsrecht gekippt hat, sorgen sich
Mieter*innen um ihre Bleibe. Vorkäufe von mehr als 600 Wohnungen dürften
platzen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.