# taz.de -- Werner Herzog im Filmporträt: Träumereien eines Selbstbewussten | |
> Arbeit am Mythos: Thomas von Steinaecker begleitet in seinem | |
> Dokumentarfilm „Werner Herzog – Radical Dreamer“ den Regisseur durch | |
> Leben und Werk. | |
Bild: Gibt im Film eine Art Best-of von Herzog-Anekdoten preis: Werner Herzog s… | |
„Nach einer wahren Begebenheit“ heißt es am Anfang von Thomas von | |
Steinaeckers Dokumentarfilm „Werner Herzog – Radical Dreamer“, ein Satz, | |
den man mehr von Spielfilmen kennt. Ein Dokumentarfilm ist schließlich | |
grundsätzlich wahr, sollte man meinen, eine Betrachtungsweise, die schon | |
immer schwierig war, aber erst recht, wenn es um Dokumentarfilme von Werner | |
Herzog geht. | |
Nicht umsonst ist einer der bekanntesten Gedanken des inzwischen | |
80-jährigen Regisseurs der von der sogenannten „ekstatischen Wahrheit“, | |
womit Herzog eine Wahrheit meint, die nicht unbedingt faktisch wahr ist, | |
aber wahrhaftig. | |
Ob ein junger Regisseur in Zeiten zunehmenden Misstrauens in die Medien und | |
fortwährenden Diskussionen um „Fake News“ oder „alternative Fakten“ mi… | |
Bekenntnis durchkommen würde, Teile seiner Dokumentarfilme zu fälschen? | |
Werner Herzog muss sich jedenfalls keine großen Sorgen mehr machen, dass | |
seine Methoden hinterfragt werden, und selbst wenn, dürfte es ihm | |
angesichts seines gern zur Schau gestellten Selbstbewusstseins herzlich | |
egal sein. | |
Denn zum einen nimmt Herzog längst den Status eines Säulenheiligen ein, der | |
nicht nur an die guten alten Zeiten erinnert und erhebliche Narrenfreiheit | |
besitzt, zum anderen hat er ein enormes Ego, dass letztlich auch eine der | |
Grundlagen seiner Weltkarriere war. | |
## Beide verbindet das Aufwachsen in Bayern | |
Die nahm nach dem Zweiten Weltkrieg im ländlichen Bayern seinen Anfang, wo | |
Herzog mit Mutter und Brüdern in bescheidenen Verhältnissen aufwuchs. | |
Ebenfalls aus Bayern stammt [1][Thomas von Steinaecker, der als | |
Schriftsteller und Autor von Hörspielen arbeitet], aber auch kürzere | |
Dokumentationen fürs Fernsehen gedreht hat. | |
Nun ist ihm also der Coup gelungen, Werner Herzog von der Idee für einen | |
Porträtfilm zu überzeugen. Er konnte den Regisseur in dessen Wahlheimat Los | |
Angeles interviewen, filmte ihn bei Kursen seiner Filmhochschule auf | |
Lanzarote und traf ihn in der gemeinsamen bayerischen Heimat. | |
Dort zeigt Herzog von Steinaecker einen kleinen Wasserfall tief im Wald | |
und sagt versonnen: „Das ist meine Seelenlandschaft.“ Da Herzog immer | |
wieder betont, dass er keinerlei Gespür für Ironie hat, darf man also | |
annehmen, dass es Herzog mit dieser Aussage ernst ist. Was auch von | |
Steinaecker tut, der ehrfurchtsvoll den Erzählungen und Anekdoten des | |
Meisters lauscht, von kritischer Nachfrage absieht und sich für die | |
Herzog’sche Selbstdarstellung einspannen lässt. | |
Ganz verdenken kann man von Steinaecker diese Haltung nicht, schließlich | |
hat Herzog nicht nur in seinen eigenen Filmen, sondern auch bei | |
öffentlichen Auftritten immer wieder gezeigt, was für ein origineller, | |
ikonoklastischer Redner er ist, der inzwischen jedoch zunehmend zur eigenen | |
Parodie zu werden droht. | |
## Status im US-amerikanischen Filmbusiness | |
Und so gibt Herzog in den fast zwei Stunden von „Werner Herzog – Radical | |
Dreamer“ auch eine Art Best-of von Herzog-Anekdoten preis, von Überlegungen | |
zur schon erwähnten ekstatischen Wahrheit, über die zentrale | |
Arbeitsbeziehung seines Lebens, die zu seinem liebsten Feind Klaus Kinski, | |
bis zu seinem Status in den USA, wo Herzog längst eine Marke geworden ist | |
und unter anderem bei den „Simpsons“ auftrat. | |
Wie sehr Herzog im US-amerikanischen Filmgeschäft geschätzt wird, zeigen | |
Aussagen von Interviews mit Schauspieler*innen wie Nicole Kidman und | |
Robert Pattinson oder der [2][Regisseurin Chloé Zhao,] die allerdings nicht | |
mehr sind als lobende Plattitüden. | |
Interessanter da schon der alte Weggefährte und Freund Wim Wenders, der | |
sagt: „Nichts ist untypisch für Werner Herzog. Nur das Untypische ist | |
typisch für ihn.“ Ein schöner Satz, der allerdings am Ende auch wenig über | |
den Mensch und Künstler Werner Herzog aussagt, was insofern in gewisser | |
Weise emblematisch für Thomas von Steinaeckers Film erscheint. | |
Vieles wird angerissen, in meist chronologischer Erzählweise Leben und | |
Karriere Werner Herzogs nacherzählt, Ausschnitte aus einigen seiner über 70 | |
Spiel- und Dokumentarfilme sind zu sehen, in etwas sprunghafter Auswahl. | |
Eine Haltung zu Herzogs Werk und vor allem seinen Arbeitsmethoden zu | |
entwickeln, gelingt von Steinaecker nicht, dem Menschen Werner Herzog | |
nahezukommen, zumindest in Momenten. | |
## Nicht der ehrlichste Film über Herzog | |
Aber vielleicht ist das bei einer so öffentlichen Person wie Herzog auch | |
kaum noch möglich. Zu sehr ist das Bild Werner Herzogs von einer seit | |
Jahrzehnten betriebenen Legendenbildung geprägt, ist die Realität | |
überschattet von Mythen und Legenden, die Herzog selbst in die Welt gesetzt | |
hat und die nun von Jüngern wie Thomas von Steinaecker einmal mehr | |
wiederholt werden. | |
Unterhaltsam anzusehen ist das jederzeit, an den vermutlich ehrlichsten | |
Film über Werner Herzog kommt es allerdings nicht heran: Den hat der | |
Regisseur einst selbst gedreht, mit seinem Film über Klaus Kinski. Dass der | |
„Mein liebster Feind“ hieß, deutete schon im Titel an, worauf der Fokus | |
eigentlich lag: vordergründig auf Klaus Kinski, in Wirklichkeit jedoch auf | |
Herzog selbst. | |
27 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Michael Meyns | |
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