# taz.de -- Neuer Spielfilm von Werner Herzog: Die Mutter der Wüste | |
> Der Regisseur Werner Herzog schickt in „Salt and Fire“ Veronica Ferres | |
> als Professorin in die Wüste. Wie durch Magie greifen Kuriositäten | |
> ineinander. | |
Bild: Michael Shannon, hier als CEO Matt Riley, und Veronica Ferres als Forsche… | |
Eine seltsame und dabei völlig unerwartete Kinofreude des auslaufenden | |
Jahres ist „Salt and Fire“, der neue Film von Werner Herzog. Eine | |
Überraschung, mit der man nicht gerechnet hätte – aber wann rechnet man | |
schon mit Überraschungen? Vielleicht ist es sogar eine umso schönere nach | |
„Queen of the Desert“ aus dem vergangenen Jahr, der nicht wenige doch | |
erheblich enttäuschte – obschon im Liebeserwachen Nicole Kidmans (als | |
britische Forschungsreisende Gertrude Bell) unter gleißender Wüstensonne | |
und den begehrlichen Blicken James Francos und Robert Pattinsons (als T. E. | |
Lawrence alias Lawrence von Arabien) auch viel Komödiantisches zu entdecken | |
war. | |
Wie dem auch sei: „Salt and Fire“ ist sehr anders. Und doch hat er rein | |
äußerlich einiges mit „Queen of the Desert“ gemein. Da ist zum Beispiel | |
wieder eine große Blonde, dieses Mal allerdings nicht im Stile einer zarten | |
Aristokratin wie Nicole Kidman eine war, nein, die große Blonde ist nun | |
Wissenschaftlerin und gespielt wird sie von Veronica Ferres. Ihr Name: | |
Professor Laura Sommerfeld. | |
Eine totale Antithese zu Herzogs Gertrude Bell, die sich der Welt, der | |
Wüste, dem Lauf der Dinge hingab, sanftmütig war und insgesamt auf Liebe | |
eingestellt. Sommerfeld hingegen ist eisern und eisig. Sie ist verhärmt und | |
verletzt, seit ihr Mann die gemeinsame Tochter vor vier Jahren nach Marokko | |
entführte. Die zugegeben sehr platten Annäherungsversuche des Kollegen Dr. | |
Cavani (Gael García Bernal), einem selbstverliebten Möchtegern, wiegelt sie | |
mit einer Handbewegung ab. Und auch der manierliche Dr. Meier (Michael | |
Michalowski) versteht nicht zu entzücken. | |
Herzog, ebenfalls für das Drehbuch von „Salt und Fire“ verantwortlich, das | |
wiederum auf einer Kurzgeschichte des US-amerikanischen Autors Tom Bissell | |
basiert, verbannt beide auch alsbald auf den Lokus: Das Verzehren einer | |
südamerikanischen Frucht hat ihnen „die Mutter aller Durchfälle“ (Dr. | |
Meier) beschert. | |
So steht Professor Laura Sommerfeld in „Salt and Fire“ ziemlich alleine da. | |
Aus dem anvertrauten Wissenschaftstrupp gerissen, der zuvor bereits ganz | |
dramatisch von CEO Matt Riley (Michael Shannon) und seinen | |
schwerstbewaffneten Mannen entführt wurde, ist Sommerfeld in keiner guten | |
Verfassung. „Du siehst schrecklich aus“, vertraut sie ihrem Tablet an. | |
## Der Salzsee Diablo Blanco | |
Ihren Weg in die Wüste findet die Professorin dennoch, denn eine solche | |
gibt es in „Salt and Fire“ ebenfalls. Es ist sogar die größte Salzwüste … | |
Planeten: 10.000 Quadratkilometer, gelegen in Bolivien. Im Film wird sie | |
zum fiktiven Salzsee Diablo Blanco, von dem aufgrund einer | |
Umweltkatastrophe nicht viel übrig geblieben ist. Verursacher ist übrigens | |
das Firmenkonsortium, dem Matt Riley vorsteht. Der einstige See ist | |
verschwunden und einer sich ausbreitenden, lebensfeindlichen | |
Wüstenlandschaft gewichen. In unmittelbarer Nähe rumort außerdem ein | |
Supervulkan. Bricht er aus, hat es sich mit der Menschheit wohl erledigt. | |
Ein Ort für Laura Sommerfeld. Nicht nur soll sie hier forschen, nein, es | |
ist auch ein ganz symbolischer Flecken Erde: Das ausgedörrte, strahlend | |
weiße Plateau liegt wie eine Decke zahlloser getrockneter Tränen frei. | |
Trostloser sieht es vielleicht nur in Sommerfelds Seele aus. Daher muss sie | |
auch hierhin. Die Wüste spüren, also sich. | |
Nur trifft sie in der „Salt and Fire“-Wüste auf keine attraktiven | |
Gespieler, sondern auf zwei kleine blinde Zwillingsbrüder, die nach | |
Inka-Königen benannt sind. Mit ihnen errichtet sie in der Mitte der | |
Salzwüste, in der sich wundersamerweise eine Art Felsinsel befindet, ein | |
Camp, denn Matt Riley hat sie dort ausgesetzt. Laura Sommerfeld wird nicht | |
zur „Queen of the Desert“, sondern zur „Mother of the Desert“. | |
Und wie von Zauberhand greifen all diese Merkwürdigkeiten in „Salt and | |
Fire“ ineinander, ganz leicht und luftig. Die Kamera (Peter Zeitlinger) | |
gleitet, nein, fliegt geisterhaft über Flächen und Personen, dazu die Musik | |
von Ernst Reijseger, die archaisch ist und mythisch und | |
fremdartig-vertraut. Absolut bei sich ist dieser Film und er möchte nichts | |
anderes sein als das, was er ist. | |
Wiewohl es nicht einfach zu sagen ist, was „Salt and Fire“ denn eigentlich | |
ist: Umweltthriller, Kidnapping-Geschichte, Rührstück, Groteske? Und dann | |
sind da immerzu Szenen, die direkt einem Computerspiel entsprungen | |
scheinen, vielleicht einem altmodischen Point-and-Click-Adventure, wo es | |
zwischen den Spielsequenzen manchmal zu Unterredungen zwischen den Figuren | |
kommt: hölzerne und unnatürliche Interaktionen, albern, aber pointiert. | |
Tatsächlich verfasst Tom Bissell auch Drehbücher für Videogames, zuletzt | |
etwa für den Third-Person-Shooter „Gears of War 4“. | |
In den Augen vieler ergibt all dies bereits jetzt nichts weiter als eine | |
neuerliche, riesige Geschmacklosigkeit. Dass „Salt and Fire“ dabei ziemlich | |
gescheit und witzig agiert, angenehm unorthodox bleibt und auf eine | |
herzerwärmende Weise für die eigene Erfahrung und gegen theoretisches | |
Wissen plädiert – offenbar geschenkt. | |
7 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Carolin Weidner | |
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