Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Chihiro Hamanos Buch „Saint Zoo“: Unausgesprochen einvernehmlich
> Ist Tierliebe pathologisch oder eine eigene sexuelle Orientierung? Hamano
> betreibt Feldforschung im zoophilen Deutschland.
Bild: Der Hirtengott Pan, hier aus Marmor und mit Ziege
Was ist richtiger Sex, was ist falscher? Diese Frage wird je nach
kultureller Tradition unterschiedlich beantwortet. Was jedoch für so gut
wie jede Gesellschaft gilt, ist das Tabu der Sexualität zwischen Menschen
und Tieren. Dieses Tabu hinterfragt nun die in Japan lebende Autorin und
Kulturanthropologin Chihiro Hamano in ihrem Feldforschungsbuch „Saint Zoo“,
in dem sie das Gespräch mit Menschen, die Tiere (sexuell) lieben, sucht.
Die Themenstellung führt sie zu einer, wie sie schreibt, weltweit
einmaligen Gruppierung von Anhängern sexueller Liebe mit Tieren, und damit
nach Deutschland. Hier stößt die Autorin auf den Verein Zeta, kurz für
„Zoophiles Engagement für Toleranz und Aufklärung“.
Anhand von Gesprächen mit Vereinsmitgliedern und deren Umfeld, die sie nach
Möglichkeit jeweils mehrere Tage lang in ihrem Alltag begleitet, nähert sie
sich ihrem Thema über eine persönliche Brücke: Sie möchte ihr eigenes, von
extremer Gewalterfahrung geprägtes Verhältnis zu Liebe und Sexualität,
Macht und Ohnmacht überdenken. Dazu beginnt sie, nach vielfachen
Bewältigungsversuchen, ein Masterstudium. Das konkrete Thema Zoophilie,
Tierliebe, war ein Vorschlag ihres Professors.
Ein ausdifferenziertes Verhältnis, was darunter zu verstehen ist, hatte
weder sie selbst, noch fand sie es in ihrer Umgebung. Dieses
Nichteinordnenkönnen machte es für die Autorin umso interessanter. Nicht
selten traf sie zum Begriff Zoophilie zunächst auf Assoziationen wie „von
Männern sexuell missbrauchte Tiere, in die Penisse hineingesteckt wurden“.
Gerade auch im Umfeld von Tierschutzorganisationen schlugen ihr drastische
Reaktionen entgegen.
## Sexualität bei Haustieren
Haustieren, das heißt, den oftmals nächsten Gefährten des Menschen, wird
Sexualität generell eher abgesprochen, sie werden, wie die Autorin treffend
beschreibt, eher als „Kinder“ gehalten. Wohl daher reiht sich, so vermutet
sie, in die Reihe der Negativassoziationen nicht selten jene über eine
Verbindung zwischen Pädophilie und Zoophilie ein. Die Psychiatrie zähle
sexuelle Tierliebe dann auch zur Kategorie „Paraphilie“, worunter
„abnormale sexuelle Liebe“ und „sexuelle Perversion“ zu verstehen seien.
Andererseits wird – im Zusammenhang von Versuchen einer weniger
anthropozentrischen Weltauffassung – immer öfter die Gleichwertigkeit von
Tieren betont, sowie, im zoophilen wie auch im queeren Kontext, vermehrt
von Tieren als „Partner:innen“ gesprochen.
Im Sinn dieser Tendenz findet Chihiro Hamano Rückenwind im Bereich
psychologisch-sexualwissenschaftlicher Studien, wo davon ausgegangen
werde, dass Zoophilie eine sexuelle Orientierung darstelle und daher
„irgendwie differenzierter behandelt“ werden müsse.
## Sex mit Haustieren
Durch die Gespräche mit deutschen Zoophilen aus dem Umkreis von Zeta, kurz
Zoos genannt, nähert sie sich vorwiegend hoch reflektierten
Befürworter:innen der Sexualität mit Tieren. Unter ihnen gibt es, in
Bezug auf das Geschlecht des Tieres, hetero-, homo- oder bisexuelle
Praktizierende sowie, in Bezug auf Penetration, passive oder aktive.
Zur Deutlichkeit: Wer ausschließlich auf sexuelle Bedürfnisse des Tieres
reagiert und sich unter Umständen von diesem beschlafen lässt, ist passiv.
Unter jenen, die Hamano Einblicke gewähren, bilden sie die Mehrheit.
Sexualpartner sind in den meisten Fällen Hunde, da es im Sinn einer
Gleichwertigkeit und Reziprozität der partnerschaftlichen Bedürfnisse auch
auf Größenverhältnisse ankommt.
Auf die Frage, [1][wie ein Wissen über den Willen des Tieres, auch im
Hinblick auf den Mangel an klärender Sprachlichkeit,] vorausgesetzt werden
kann, erhält die Autorin unter anderem die Antwort: „Ich frage mich
eigentlich eher, warum die meisten Menschen das nicht wissen. Sie erkennen
doch auch, ob das Tier Durst hat, etwas zu essen braucht oder spielen
möchte. Warum wissen sie dann nichts über dessen sexuelle Bedürfnisse?“
## Liebe an erster Stelle
Für die Zoos steht Liebe an erster Stelle, manche sind sexuell sogar
abstinent, da ihre Partner:innen keine (eindeutigen) Signale senden.
Aufgrund dieser Sensibilität werden sie von einem Aussteiger daher als
„Saint Zoo“ bezeichnet. Unter den über dieses Umfeld hinaus Sex mit Tieren
Praktizierenden hat die Autorin nur wenig recherchiert und aufgrund von
Macht- und Unterdrückungsfantasien oft keinen weiteren Kontakt gesucht. Das
tut dem Thema insofern keinen Abbruch, als es letztlich weniger die
Gewaltfrage selbst ist, die sie interessiert, als vielmehr die Frage des
Outings: Bei den Zoos fand sie selbst den Mut, über sexuelle Bedürfnisse
und Erfahrungen zu sprechen.
Große essayistische Literatur ist dabei nicht entstanden. Eher eine Fusion
aus einer Masterarbeit mit essayistischen und journalistischen Elementen,
Erfahrungsbericht im Blogton und Protokoll – durchsetzt mit einer
großzügigen Prise sprachlicher Floskeln, die nicht zum differenzierten
Blick der Autorin passen. Dennoch erweitert dieses um Ehrlichkeit bemühte
Freestyle-Werk die Perspektive auf sein Thema nicht nur unter ethischen
Gesichtspunkten.
Es stellt auch die Frage nach sexueller Selbstbestimmung und an
Sprachlichkeit gebundene Einvernehmlichkeit (die zum Beispiel auch bei
bestimmten Behinderungen nicht vorausgesetzt werden kann) neu und ergänzt
Diskurse wie jene um interspezifische Kommunikation, die unter anderem auch
[2][für die „Rechte der Natur“-Bewegung] zentral steht. Und nicht zuletzt
schafft Hamano ein interessantes Deutschlandbild zwischen FKK,
Reichstierschutzgesetz, Knödelkulinarik und Widerstand gegen sexuelle
Normativität.
22 Oct 2022
## LINKS
[1] /Buch-ueber-Tierforschung/!5619433
[2] /Bewegung-fuer-die-Rechte-der-Natur/!5830628
## AUTOREN
Astrid Kaminski
## TAGS
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2024
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Zoophilie
Liebe
Haustiere
Sexualität
Literatur
Literatur
US-Literatur
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bäume in der Literatur: „Die Signale der Bäume lesen“
Wie kann man Beziehungen zwischen Bäumen und Menschen denken? Ein Gespräch
mit Solvejg Nitzke, Literaturwissenschaftlerin, über Bäume in Romanen.
Naturgeschichten von T. C. Boyle und Craig Foster: Die Liebe zu Affen und Kraken
Neue Romane und Filme beleuchten einen Kulturwandel im Verhältnis von
Mensch und Tier. Dazu gehören Werke von T. C. Boyle und Craig Foster.
Neuer Roman von T. C. Boyle: Er will einen Cheeseburger
Haben Affen Humor? Das ergründet T. C. Boyle, der kalifornische König der
klugen Unterhaltung, in seinem neuen Roman „Sprich mit mir“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.