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# taz.de -- Neuer Roman von T. C. Boyle: Er will einen Cheeseburger
> Haben Affen Humor? Das ergründet T. C. Boyle, der kalifornische König der
> klugen Unterhaltung, in seinem neuen Roman „Sprich mit mir“.
Bild: Scheint Fan von Jane Goodall zu sein: T.C. Boyle
Man schämt sich direkt für seine Gattung, wenn man an die Zeit zurückdenkt,
auf die sich [1][T. C. Boyle] zu Beginn seines neuen Romans „Sprich mit
mir“ bezieht. Eine Zeit, in der man Schimpansen Hemd und Krawatte anzog,
ihnen eine Fluppe in den Mund steckte und eine Sonnenbrille aufsetzte, um
sie für den Lacher zwischendurch in der Talkshow „Ronny’s Pop Show“
vorzuführen.
Auch Sam, der Schimpanse aus Boyles Roman, wird durch eine TV-Sendung
bekannt. Das Besondere an ihm ist: Sam lernt in einem Forschungsprogramm
der University of California die Gebärdensprache, sein Mentor ist der
Psychologe Guy Schermerhorn. Er führt in der Gameshow „Sag die Wahrheit“
vor, wie Sam mit Zeichensprache Essenswünsche äußern kann: „Er sagt, er
will einen Cheeseburger.“ Das Publikum grölt.
Es sind die frühen Achtziger, in denen Boyle die Handlung ansiedelt, Guy
hat den Schimpansen auf einer Ranch in Santa Maria einquartiert und sucht
eine neue Betreuerin für ihn. Er findet die Pädagogikstudentin Aimee
Villard, die von Beginn an eine fast symbiotische Beziehung zu dem Affen
aufbaut. Zudem beginnt sie ein Verhältnis mit dem Professor.
Guy will in der Verhaltensforschung Großes erreichen, er träumt aber auch
von einem Auftritt in der Talkshow von Johnny Carson. Ruhm ist sein
vorderstes Motiv. Doch als neue, viel beachtete Studien auftauchen, die
nahelegen, der Spracherwerb sei etwas rein Menschliches und sein
Forschungsprojekt sei nichts als „Wahn und Wunschdenken“, stoppt der
Geldgeber des Projekts, Moncrief, das Programm. Sam steckt er mit anderen
Forschungstieren in Käfige auf einer Farm in Iowa, er soll nun für
Tierversuche eingesetzt werden. Doch Aimee reist ihm – gegen Guys Willen –
hinterher. Und will ihn retten.
T. C. Boyle, kalifornischer König der klugen Unterhaltung und
Vielschreiber, kehrt zu einem Thema zurück, das er [2][in seinem
allerersten Erzählband] schon in satirischer Form bearbeitet hat: In der
Story „Tod durch Ertrinken“ (1979) geht es um einen Schimpansen, der Darwin
und Nietzsche in seine eigene Kunstsprache übersetzt und mit einer Frau
namens Jane Good anbandelt. Schon damals klang an, dass Boyle von der
Verhaltensforscherin Jane Goodall fasziniert ist.
An die Verbindung von Goodall zu „David Greybeard“ (wie sie einen ihrer
Schimpansen nannte) erinnert nun die Beziehung der Pflegerin Aimee zu Sam.
Der menschliche Umgang mit Tieren beschäftigt Boyle, der „überwiegend
Vegetarier“ ist, wie er auf Twitter schreibt, immer mal wieder, so auch in
„Wenn das Schlachten vorbei ist“ (2012).
## Betäubungspistolen und Elektroschocker
Wie insbesondere Forscher:innen dem evolutionären Vorfahren des Menschen
begegnen, ist großes Thema dieses Romans. Sam wird für Forschungszwecke
brutal seiner Mutter entrissen („Es war verstörend gewesen, eigentlich
widerwärtig, aber Guy war so versessen darauf gewesen, einen Schimpansen zu
bekommen, dass er sich diesem Gefühl verschlossen hatte“), die Tiere werden
mit Betäubungspistolen und Elektroschockern traktiert, Projektleiter
Moncrief will ohnehin nur möglichst viel Nutzen (= Geld) aus den Tieren
ziehen.
Andererseits geht es Boyle darum, sich dem Bewusstsein von Affen
anzunähern. Dies gelingt vor allem dadurch, dass er verschiedene
Erzählperspektiven wählt, überwiegend erzählt er aus der Sicht von Aimee,
Guy und Sam selbst. In den Passagen, die aus Sicht des Schimpansen
geschrieben sind, wirft Boyle alle Fragen auf, die die Wahrnehmung der
Primaten betreffen: Wie ist ihr Erinnerungsvermögen? Wie ihre Raum- und
Zeitwahrnehmung? Empfinden sie Freude und Scham? Haben sie Humor? Können
sie lieben und hassen? Empfinden sie Eifersucht?
Erzählerisch funktioniert das gut, die dominanten Gedanken im Affenhirn
sind in Versalien geschrieben und es kommen immer mal Anmerkungen, welche
Worte Sam gebärden kann und welche nicht: „Er kannte das Wort GLÜCKLICH. Es
war ein gutes Wort, vielleicht nicht so konkret und unmittelbar wie PIZZA
oder COLA, aber gut, sehr gut, und manchmal gebärdete er es spontan […]“.
Boyles feiner Sinn für Humor zeigt sich an so mancher Stelle.
Die Handlung konzentriert sich vor allem auf Aimee, die Sam zunächst im
Käfig weiter pflegt und ihn gegen Ende, nicht sonderlich überraschend,
befreit. Sie flieht mit ihm auf einen Campingplatz in Arizona, Guy folgt
ihr, um sie zur Rückkehr zu bewegen, auch Moncrief ist ihr auf den Fersen.
Der Roman wird zu einem Roadmovie.
Den Plot zieht Boyle etwas in die Länge, die Figuren sind eindeutig
gezeichnet, Ambivalenzen gibt es eher wenige. Man fühlt sich dennoch gut
unterhalten, ohne dass dies das ernste Anliegen des Romans unterminieren
würde.
Schließlich hat Boyle recht, wenn er Guy in einem inneren Monolog fragen
lässt: „Was hatte sich eigentlich in den zweihundert Jahren verändert, seit
Claude Bernard lebende Hunde auf dem Operationstisch aufgeschnitten
hatte, um die Wirkungsweise der inneren Organe zu demonstrieren, außer dass
solche Experimente heutzutage hinter verschlossenen Türen stattfanden?“
3 Feb 2021
## LINKS
[1] /T-C-Boyle-ueber-Crispr-Babys/!5552011
[2] https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/tod-durch-ertrinken/978-3-446-1…
## AUTOREN
Jens Uthoff
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