| # taz.de -- Porträtfilm über Schimpansen-Forscherin: Resignation ist ein töd… | |
| > Von der Wissenschaftlerin zur Aktivistin: Der Film "Janes Journey – Die | |
| > Lebensreise der Jane Goodall" porträtiert eine der berühmtesten | |
| > Schimpansenforscherinnen. | |
| Bild: Unbefangene Forscherin: Jane Goodall mit einem der Schimpansen, die sie i… | |
| Es gibt eine Schönheit des Alters, die ihre Energie zuerst aus der | |
| Dankbarkeit gegenüber dem Leben, das man leben durfte, zieht. Die | |
| Künstlerin Louise Bourgeois war auf diese Weise schön, der Philosoph Michel | |
| Serres ist es immer noch, und die Primatologin Jane Goodall wird es ab | |
| jetzt wohl für immer sein. | |
| Mit dem Film "Jane's Journey. Die Lebensreise der Jane Goodall" ist es dem | |
| Regisseur Lorenz Knauer gelungen, ein Leben in Bildern zu spiegeln, das | |
| schon lange über sich hinausgegangen ist. Ein Leben, mit der Betonung auf | |
| dem unbestimmten Artikel, das zwar von einer Person namens Jane Goodall | |
| gelebt wird, das aber in seinen Bewegungen und Intensitäten nur noch wenig | |
| mit der Schimpansenforscherin zu tun hat, die wahrscheinlich neben Einstein | |
| die berühmteste Wissenschaftlerin des 20. Jahrhunderts ist. | |
| Die Wissenschaftlerin hat sich selbst in eine Aktivistin transzendiert, die | |
| an die Möglichkeiten der Welt glaubt. Und das tut sie nicht auf eine | |
| übersinnlich esoterische Weise, sondern hier unten. 300 Tage im Jahr ist | |
| sie seit 1986 unterwegs. Zwischen Afrika, Nordamerika, Europa und | |
| Südamerika lebt sie in Hotelzimmern und spricht fast jeden Abend zu allen | |
| möglichen Menschen über ihren Glauben an die Welt. An eine Welt, in der der | |
| Frieden zwischen den Menschen das Ziel des Humanen ist und das Humane | |
| wiederum aufgehört hat, in einem kriegerisch-ausbeuterischen Verhältnis zur | |
| Natur zu verharren und das auch noch für Fortschritt zu halten. Das Beste | |
| daran ist aber, dass man sicher sein kann, das Goodall wirklich jeden der | |
| unsäglich vielen Gründe kennt, die es uns so leicht machen, nicht mehr an | |
| die Welt der Menschen zu glauben. Insofern stellt sie sich der | |
| schwierigsten Aufgabe überhaupt, nämlich der, an diese Welt, an dieses | |
| Leben zu glauben. | |
| Wie das gehen kann, das zeigt der Film auf eine Art, die man beim Zusehen | |
| einfach deshalb kaum glauben kann, weil die Bilder jeder Sensation | |
| ausweichen. Wenn sich Goodall unter Flüchtlingskindern aus dem Kongokrieg | |
| in Tansania bewegt, wird der Schrecken des Krieges von ihr selbst in Worte | |
| gefasst. Die Kinder behalten ihre Würde und werden nicht vorgeführt. Ebenso | |
| verfährt Knauer, als er Goodall an den Ort ihrer Schimpansenforschung im | |
| Gombe-National-Park in Tansania begleitet. Es gibt ein paar sehr ruhige, | |
| unspektakuläre Bilder mit den Affen und Goodall. Das war's, es geht nicht | |
| um die Darstellung der großen Tierkennerin mit "ihren" Tieren. Es geht | |
| stattdessen darum, klarzumachen, wie die Lebensform Goodall in die Welt | |
| kam. | |
| Als sie in Gombe 1960 ihre Forschungen begann, hatte sie buchstäblich keine | |
| Ahnung. Sie hatte kein Studium absolviert und auch sonst keine Ausbildung, | |
| die sie als Verhaltensforscherin ausgewiesen hätte. Für ihren Mentor, den | |
| Paläontologen Louis Leakey, qualifizierte sie gerade ihre Unbefangenheit | |
| und die Tatsache, dass sie eine Frau war, für das Schimpansenstudium. Im | |
| Film sind das aber nur kleine Hinweise, die auf andere Wahrheiten abzielen: | |
| Es kann gut sein, nicht zu früh zu viel zu wissen, wenn es um das Studium | |
| vernachlässigter Bereiche der Wissenschaft geht, heißt die eine. Die | |
| andere, die daraus folgt, lautet: es ist nie zu spät zu nichts, man muss | |
| nur anfangen. Am Anfang steht aber oft eine Verwechslung oder ein Irrtum. | |
| "Jane's Journey" beginnt damit, dass Goodall erzählt, wie Leute sie mit der | |
| in Ruanda ermordeten Gorillaforscherin Dian Fossey verwechselten, nachdem | |
| Hollywood Fosseys Leben verfilmt hatte. "Ich liebe Ihren Film!", sagte | |
| jemand zu Goodall. Die Forscherin antwortete darauf, es sei doch komisch, | |
| dass Dian Fossey im Film gestorben sei und sie jetzt noch lebe. Aus der | |
| Form, wie Goodall den Witz erzählt, folgt, dass Leben oder Überleben für | |
| sie kein Triumph oder Verdienst, sondern Glück ist. Man hat es bei Jane | |
| Goodall nicht mit einem Siegerleben zu tun, das wie bei Ernst Jünger oder | |
| Leni Riefenstahl über Leichen gehend alt geworden ist. Sondern eher mit | |
| einem Lebensentwurf, in dem die Resignation ein gefährliches Gift ist, das | |
| es zu meiden gilt. | |
| Anlässe zur Resignation hätte es in Goodalls Leben genug gegeben. Den | |
| Schimpansen in Gombe geht es nicht gut. Ihre Lebensräume werden auch im | |
| Nationalpark wegen der Vernichtung der Regenwälder kleiner. Und Goodalls | |
| Sohn war jahrelang als erfolgreicher Hummer-Fischer an der Küste Tansanias | |
| an dem Raubbau an der Natur beteiligt, gegen den sie kämpft. Vielleicht | |
| sind die Filmpassagen um ihren Sohn die einzigen, die das Prädikat "privat" | |
| verdienen. Der Sohn mochte Tansania, aber die Arbeit seiner Mutter mit den | |
| Affen überhaupt nicht. Bis er als erfolgreicher Unternehmer miterleben | |
| musste, wie die Hummerbestände auch durch seinen Fang vollkommen zerstört | |
| wurden. | |
| Damit ist dann das Private aber auch schon wieder erledigt, und der Sohn | |
| reiht sich in die Menschen-Zeige-Prozedur, die Knauers Dokumentarfilm ist. | |
| Von Robert Whitemountain, einem Angehörigen der indigenen Lakota Nation, | |
| der Goodall durch die Trostlosigkeit seines Reservats führt, über Kofi | |
| Annan bis zu Angelina Jolie, Goodalls UN-Friedensbotschafter-Kollegin, | |
| werden die Menschen in diesem Film auf eine Weise als gleich vorgestellt | |
| und behandelt, die ruhig Schule machen kann. | |
| "Jane's Journey - Die Reise der Jane Goodall". Regie: Lorenz Knauer. | |
| Porträtfilm, Deutschland/USA 2010, 105min. | |
| 2 Sep 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Cord Riechelmann | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Artenschutz | |
| US-Literatur | |
| Musik | |
| Kongo | |
| Schimpansen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Berühmte Primatenforscherin: Jane Goodall stirbt mit 91 Jahren | |
| Die Britin Jane Goodall hat in der Wildnis Tansanias frei lebende | |
| Schimpansen beobachtet und damit die Verhaltensforschung revolutioniert. | |
| Neuer Roman von T. C. Boyle: Er will einen Cheeseburger | |
| Haben Affen Humor? Das ergründet T. C. Boyle, der kalifornische König der | |
| klugen Unterhaltung, in seinem neuen Roman „Sprich mit mir“. | |
| Michel Serres Roman „Musik“: Kraftvoll ausgedehnter Sinn | |
| Der französische Philosoph Michel Serres erforscht in seinem neuen Roman | |
| die Musik. Sie ist für ihn die Quelle aller denkbaren Erfindungen. | |
| Forscherbericht über Berggorillas: Inzest kann auch nützlich sein | |
| Nur noch wenige Berggorillas leben in Zentralafrika. Inzucht bedroht den | |
| Fortbestand. Doch sie scheint Mutationen aus dem Erbgut zu löschen, | |
| berichten Forscher. | |
| Primaten kennen sich mit Botanik aus: Schimpansen prüfen Fruchtreife | |
| Bei der Nahrungssuche gehen Schimpansen noch klüger vor als bisher | |
| angenommen. Im Regenwald kontrollieren sie regelmäßig den Reifegrad | |
| bestimmter Früchte. | |
| Schimpansen im Labor: Menschlich werden | |
| Sie wurden zur Erforschung des "Menschlichen" genutzt - so behandelt wurden | |
| sie nicht. Schimpansen waren jahrelang Versuchsobjekt. Heute nicht mehr - | |
| meistens. |