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# taz.de -- Schimpansen im Labor: Menschlich werden
> Sie wurden zur Erforschung des "Menschlichen" genutzt - so behandelt
> wurden sie nicht. Schimpansen waren jahrelang Versuchsobjekt. Heute nicht
> mehr - meistens.
Bild: Für Schimpansen, die der Forschung dienten, gab es diese Familien-Idylle…
Die Sonne scheint, die Palmen wehen im Wind und der Geruch des Atlantiks
liegt in der Luft. Hier in Florida kann man endlich zur Ruhe kommen. Nicht
umsonst gilt der südlichste Zipfel der USA weltweit als beliebtes
Rentnerparadies. Doch nicht nur Menschen genießen hier ihren Lebensabend,
sondern seit einiger Zeit auch ihre nächsten Verwandten, die Schimpansen.
200 von ihnen haben abseits der Zweibeinerhochburgen, etwa eine Stunde
nördlich von West Palm Beach, ihren Altersruhesitz gefunden. In Fort Pierce
leben sie ungestört in Wohngemeinschaften auf einem über 200 Hektar großen
Gelände mit elf Inseln. Touristen müssen draußen bleiben.
Gegründet wurde das wohl ungewöhnlichste Altenheim der Welt, das
ausschließlich von Spenden finanziert wird, vor 14 Jahren von der
Initiative "Save the Chimps" (Rettet die Schimpansen). "Wir wollen unseren
Schimpansen im Ruhestand die Entspannung ermöglichen, die sie bislang nie
hatten", sagt die Leiterin Jen Feuerstein.
Zuvor mussten die Menschenaffen nämlich ihr Leben für die Wissenschaft
riskieren. Denn für Forscher sind Schimpansen als Versuchsobjekte aufgrund
ihrer nahen Verwandtschaft zum Menschen besonders beliebt.
Die ersten Gemeinsamkeiten hatte bereits der Arzt Edward Tyson Ende des 17.
Jahrhunderts festgestellt. Bevor sich Wissenschaftler auf die Erforschung
des Verhaltens der Affen selbst konzentrierten, versuchten sie im 18. und
19. Jahrhundert herauszufinden, ob der Mensch vom Affen abstammt.
Die späteren Ergebnisse waren eindeutig: Der Mensch gehört zu den Primaten,
sie sind die höchstentwickelten Säugetiere und werden in zwei Familien
unterteilt, in nichtmenschliche Affen und Menschenaffen.
Hauptunterscheidungskriterium hierfür ist der Schwanz, den nichtmenschliche
Affen besitzen, Menschenaffen aber nicht. Zu diesen zählen Gibbons,
Orang-Utans, Gorillas und Schimpansen.
Mitte des 20. Jahrhunderts erkannten Genetiker dann, dass Schimpansen sogar
enger mit Menschen als mit Gorillas verwandt sind, da ihre DNA zu über 98
Prozent mit der menschlichen übereinstimmt.
Im Altenheim in Florida ist Dana mit 50 Jahren die älteste Schimpansin und
hat eine der längsten Forschungskarrieren hinter sich. Denn sie gehört zu
den letzten Überlebenden der sogenannten Spacechimps (Weltraumaffen).
Bereits in jungen Jahren wurde sie in ihrer Heimat Afrika von Forschern
eingefangen, ihre Mutter dabei erschossen. Für die kleine Schimpansin ging
es direkt in die USA zur Holloman Airforce Station.
Sie war eine von vielen Schimpansen, die von der Nasa darauf trainiert
wurden, bestimme Licht- und Tonreize zu erkennen. Zur Belohnung gab es
Bananen, zur Bestrafung Elektroschocks. Außerdem mussten die Versuchsaffen
extreme Hitze, Beschleunigung, Platzangst und Einsamkeit aushalten.
Zur Unterscheidung bekamen sie einen Zahlencode auf Brust und Oberschenkel
tätowiert. Die Nummer 65 trug der berühmteste Weltraumschimpanse, Ham, der
1961 in der Mercury-Kapsel ins All geschickt wurde. Denn nachdem das
Raumschiff schon eine unbemannte Fahrt überstanden hatte, wollte die Nasa
überprüfen, ob auch ein hochentwickeltes Lebewesen die Reise überleben
kann. So war es Ham, der noch vor dem ersten Menschen, dem sowjetischem
Kosmonauten Juri Alexejewitsch Gagarin, einen Weltraumflug absolvierte.
Belohnt wurde er mit einer Orange und der Versetzung in den Zoo von
Washington, wo er im Alter von 32 Jahren starb.
Für die anderen Menschenaffen, abseits vom Rampenlicht, ging die
Wissenschaftstortur noch Jahre weiter. Dana beispielsweise wurde eine Niere
entnommen, und sie musste sich bis ins hohe Alter ständigen experimentellen
Operationen unterziehen. Denn nachdem die Menschenaffen für die
Weltraumforschung ausgedient hatten, wurden sie für andere
Forschungsbereiche eingesetzt. Dabei reichte das Spektrum von unheilbaren
Krankheiten - Aids, Parkinson und Alzheimer - über Hirn- und
Nervenforschung bis hin zur Kognitionswissenschaft. Überall sollten
Menschenaffen das "Menschliche" simulieren, auch wenn sie keineswegs so
behandelt wurden. "Sie mussten in Versuchslaboren viel erdulden", sagt
Feuerstein. "Ihnen wurden Körperteile amputiert, Krankheitskeime gespritzt
und giftige Substanzen eingeflößt."
Die USA waren bis vor wenigen Jahren nicht das einzige Land, das
Experimente mit Menschenaffen durchführte. Auch in Europa, einschließlich
Deutschland, wurde bis ins 21. Jahrhundert intensiv mit Menschenaffen
geforscht.
Während die Wissenschaftler Erfolge, wie die Entwicklung von Impfstoffen
gegen Kinderlähmung, Medikamente für die Behandlung von Parkinson und AIDS,
die Chemotherapie und Organtransplantation, verbuchen konnten, mussten die
Versuchstiere dafür zahlen. Viele starben für die Forschung oder leiden
noch heute an den Folgeschäden und müssen nun selbst medizinisch betreut
werden.
Im Luxusheim Save the Chimps, wo ein Platz 30 Euro am Tag kostet,
übernehmen das die rund 80 Angestellten. Als Dana mit Mitte 40 die
Fähigkeit, zu laufen, verloren hatte, halfen sie ihr mittels einer Therapie
wieder auf die Beine.
Die Pfleger versuchen die Rentner allerdings nicht nur physisch, sondern
auch psychisch wieder zusammenzuflicken. Dafür leben die Schimpansen in
Fort Pierce nicht mehr isoliert, sondern in neu zusammengewürfelten
Familien. Ein mühsamer Prozess, denn jeder Neuankömmling muss jedes
Mitglied seiner neuen Familie einzeln kennenlernen, um dem natürlichem
Sozialverhalten der Schimpansen gerecht zu werden. "Das ist oft gar nicht
so einfach", sagt Feuerstein, "da die meisten Schimpansen durch jahrelange
Einzelhaft und Experimente emotional verstört sind." Viele sind ohne Eltern
aufgewachsen und wurden direkt nach der Geburt von ihren eigenen Kindern
getrennt, so wie auch Dana.
In der Hirn- und Verhaltensforschung war das vor 30 Jahren ein weltweit
gewöhnliches Vorgehen. Damals wollten die Forscher beispielsweise
experimentell die Auswirkungen der Trennung von den Eltern oder auch
Schlafentzug im Gehirn erforschen. Dafür wurde zahlreichen Menschenaffen
der Schädel aufgebohrt, Elektroden ins Gehirn implantiert und für die
Untersuchungen Fesseln angelegt.
Eine breite öffentliche Debatte über die Zulässigkeit von Versuchen mit
Menschenaffen begann. Gleichzeitig wurden Alternativmethoden entwickelt.
Immer mehr Länder weltweit wendeten sich gegen die Forschung an
Menschenaffen. In Großbritannien, Schweden, den Niederlanden, Österreich,
der Schweiz und Belgien ist sie mittlerweile gesetzlich verboten.
Eigentlich sollte die Forschung an Menschenaffen auch in Europa
grundsätzlich verboten werden. Dafür wurde zwar im September vergangenen
Jahres eine neue EU-Versuchstier-Richtlinie verabschiedet, die allerdings
Raum für Ausnahmefälle lässt. Denn immer noch können Experimente nach
entsprechender Genehmigung ausgeführt werden. Auch wenn das in Deutschland
seit 1991 nicht mehr passiert.
Doch ausgerechnet in dem Land, wo man das größte Rentnerparadies für sie
eröffnet hat, geht die Forschung mit über 12.000 Schimpansen weiter - in
den USA.
28 Jan 2011
## AUTOREN
Katharina Finke
## TAGS
Schimpansen
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