# taz.de -- Neue EU-Richtlinie für Versuchstiere: Stammzellen statt Tiere | |
> Grüne Politiker fordern Alternativen zu Tierversuchen – da nennt die | |
> EU-Kommission auch Stammzellen. Die hingegen halten einige konservative | |
> Politiker für ethisch bedenklich. | |
Bild: Affe im Zoo von Philadelphia. | |
BRÜSSEL taz | Mahatma Gandhi soll gesagt haben, dass man die Größe und den | |
Wert einer Nation an der Art und Weise erkenne, wie sie mit ihren Tieren | |
umgehe. Für Millionen europäische Versuchstiere entschied sich diese Frage | |
am Mittwoch in einer Abstimmung des EU-Parlaments. Die große Mehrheit des | |
Plenums stimmte für einen Kompromiss mit dem Europäischen Rat, der die von | |
der technischen Entwicklung längst überholte und recht ineffektive | |
Richtlinie zum Schutz von Versuchstieren aus dem Jahr 1986 durch eine | |
Neufassung ersetzt. | |
Der Neuregelung zufolge dürfen Tiere nur noch für Experimente verwendet | |
werden, die der Forschung über Krankheiten des Menschen - etwa Krebs, | |
multiple Sklerose, Alzheimer oder Parkinson - sowie über Tiere dienen. | |
Außerdem sind Tierversuche nur noch erlaubt, wenn es keine von der EU | |
anerkannten alternativen Testmethoden gibt. Tödliche Tierversuche sollen | |
nur genehmigt werden, wenn die Tiere mit "geringstmöglichen Schmerzen, | |
Leiden und Ängsten" getötet werden - und wenn verwertbare Ergebnisse | |
erzielt werden können. Tierversuche für die Herstellung von Kosmetika sind | |
in der EU bereits seit vergangenem Jahr verboten. | |
Zwei Jahre haben die EU-Mitgliedstaaten Zeit, die Richtlinie in nationales | |
Recht umzusetzen. Bislang war es möglich, dass einzelne Regierungen | |
strengere Schutzbestimmungen erlassen, als das EU-Recht vorsieht. Solche | |
nationalen Alleingänge sind künftig ausgeschlossen. | |
Auch die Grünen halten die alte Richtlinie für dringend reformbedürftig. | |
Sie sehen aber noch Spielraum für Verhandlungen mit den Regierungen und | |
hätten das Projekt deshalb gern in die Ausschüsse zurückverwiesen. Neben | |
den 55 grünen Parlamentariern stimmten über hundert Abgeordnete anderer | |
Fraktionen für diese Möglichkeit - am Thema Tierschutz scheiden sich die | |
Geister auch innerhalb der politischen Gruppen. | |
Die Grünen bemängeln an dem neuen Gesetz, dass Versuche an Menschenaffen | |
auch weiter möglich sein werden und nicht auf die Erforschung | |
schwerwiegender menschlicher Krankheiten beschränkt sind. Außerdem | |
vermissen sie die deutliche Vorschrift, Tierversuche nur zuzulassen, sofern | |
alternative Methoden, etwa Versuche an menschlichen Zellen im Reagenzglas, | |
nicht möglich sind. | |
Viele christdemokratische Politiker hingegen haben genau gegen diese | |
alternativen Versuchsmethoden ethische Bedenken. "Die EU-Kommission hat in | |
ihrer Liste von Alternativmethoden auch fünf Versuche genannt, die die | |
Ausbeutung embryonaler Stammzellen beinhalten. Das ist für mich | |
unmoralisch", sagte der konservative Abgeordnete Martin Kastler (CSU). "Die | |
Würde des Menschen ist ein Markenzeichen in Europa." | |
Mehrere Abgeordnete enthielten sich deshalb der Stimme. Die | |
CDU-Parlamentarierin Elisabeth Jeggle, die den Kompromiss mit ausgehandelt | |
hatte, warb dagegen für das neue Gesetz: "Wenn wir diesen Text | |
zurückweisen, dann werden wir die alte Richtlinie noch lange Zeit haben. | |
Jetzt bekommen wir wenigstens überall in der EU einen gemeinsamen | |
Mindeststandard!" | |
Vor allem die osteuropäischen Länder haben, was Tierschutz angeht, | |
Nachholbedarf. In vielen neuen EU-Mitgliedsstaaten gibt es bislang | |
überhaupt keine Schutzbestimmungen für Versuchstiere. Dort muss nun | |
innerhalb von 2 Jahren nachgebessert werden. Derzeit werden jährlich 12,2 | |
Millionen Tiere in etwa 1.300 EU-Versuchslaboren eingesetzt, darunter | |
10.000 nichtmenschliche Primaten und 20.000 Hunde. Deren Lebensbedingungen | |
sollen nach dem neuen Gesetz strenger kontrolliert werden - auch durch | |
unangemeldete Kontrollen. | |
Trotz dieser Verbesserung fürchten Experten, dass die Zahl der Tiere, die | |
in Laboren leiden, künftig noch zunehmen wird. Denn die immer strengere | |
Umweltgesetzgebung der Europäischen Union, zum Beispiel die neue | |
Chemikalienrichtlinie Reach, erfordert mehr Tiertests als bislang. Tests im | |
Reagenzglas reichten nicht aus, um die gefährliche Wirkung von Stoffen zum | |
Beispiel auf den kindlichen Organismus zu ermitteln, sagen Umweltschützer. | |
Kein Wunder, dass sich die europäischen Volksvertreter mit der Entscheidung | |
schwertaten. | |
8 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
D. Weingärtner | |
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