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# taz.de -- Alternative Nobelpreise bekanntgegeben: „Systemwandel ist möglic…
> Die „Alternativen Nobelpreise“ 2022 unterstützen „neue Modelle
> gesellschaftlichen Miteinanders“ aus Somalia, Venezuela, Uganda und der
> Ukraine.
Bild: Ilwad Elman bei der Ocean Therapy, einem Programm zur psychosozialen Erho…
Stockholm taz | Die diesjährigen PreisträgerInnen des „[1][Right Livelihood
Award]“, besser bekannt als „Alternative Nobelpreise“ wurden am Donnerstag
in Stockholm bekanntgegegeben. Es sind Personen und Organisationen, die
laut Begründung der Stiftung „durch ihre Arbeit deutlich machen, dass in
Zeiten dysfunktionaler und zerfallender politischer Ordnungen ein
Systemwandel möglich und nötig ist“. Der Preis geht nach Somalia,
Venezuela, Uganda und in die Ukraine.
Geehrt werden die PreisträgerInnen Fartuun Adan und Ilwad Elman aus
Somalia, Oleksandra Matwijtschuk und das Center for Civil Liberties in der
Ukraine, sowie das Kollektiv Cecosesola aus Venezuela und das Africa
Institute for Energy Governance in Uganda, weil sie „auf Krisen infolge
autoritären Regierungshandelns, Kriegen, profitorientierten
Wirtschaftssystemen und politischer Untätigkeit angesichts der
Klimakatastrophe“ mit „neuen Modellen gesellschaftlichen Miteinanders
antworten, die den jeweiligen Status quo herausfordern und in Frage
stellen“.
Für die Förderung von Frieden, Entmilitarisierung und Menschenrechten in
[2][Somalia] angesichts von Terrorismus und geschlechtsspezifischer Gewalt
werden die Menschenrechtsverteidigerinnen Fartuun Adan und Ilwad Elman –
Mutter und Tochter – geehrt. Mit ihrer Organisation [3][Elman Peace]
unterstützen sie [4][Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt],
resozialisieren ehemalige KindersoldatInnen, ermöglichen Frauen und
Jugendlichen berufliche Bildung und leiten Projekte zur
Friedenskonsolidierung.
Zu ihrem gemeindebasierten Entwaffnungs- und Wiedereingliederungsansatz
gehören psychosoziale Unterstützung, Rehabilitierung, Bildung,
Qualifizierung und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Das Modell setzt bei
den Ursachen von Extremismus an und bietet damit sowohl ehemaligen
KindersoldatInnen wie gefährdeten Jugendlichen neue Perspektiven. Aufgrund
seines Erfolgs wurde es von Adan und Elman auf ähnliche Konflikte in West-
und Zentralafrika ausgeweitet. Zum Netzwerk [5][Peace by Africa] gehören
inzwischen 61 friedensfördernde Organisationen.
## Einsatz für Menschenrechte in der Ukraine
Erstmals in die Ukraine geht ein Alternativer Nobelpreis mit der
Auszeichnung der Juristin und Menschenrechtsaktivistin Oleksandra
Matwijtschuk und des Zentrums für bürgerliche Freiheiten ([6][Center for
Civil Liberties, CCL]) dessen Vorsitzende sie ist. Die 2007 gegründete
Organisation will Menschenrechte, Demokratie und Solidarität in der Ukraine
und Eurasien fördern.
2013 erlangte sie größere Bekanntheit, als sie während der gewaltsamen
Niederschlagung der [7][Euromaidan-Proteste] Menschenrechtsverletzungen
dokumentierte und Rechtshilfe leistete. Das CCL entwickelte außerdem
Initiativen, um Bürgerrechtsverletzungen durch verschiedene
Regierungsbehörden zu erfassen, sowie den Druck auf die Zivilgesellschaft
und die Verfolgung von MenschenrechtsverteidigerInnen zu dokumentieren.
In der Folge des Euromaidan „begann in der Ukraine ein Wandel zu einer
regelgebundenen Demokratie“, schrieb Matwijtschuk Anfang des Jahres in
einem Beitrag für den [8][Tagesspiegel]: „Dieser Prozess ist nicht immer
reibungslos abgelaufen, und es liegt noch ein gutes Stück Weg vor uns, doch
das Ziel ist klar. Putin ist in die Ukraine eingefallen, weil er diesen
Umbruch vereiteln will. Ihn schert weniger eine Nato-Erweiterung als
vielmehr die Vorstellung, von Menschen umgeben zu sein, die frei über ihre
Zukunft entscheiden und die Machteliten zur Rechenschaft ziehen können.“
Im Bereich des internationalen Rechts engagieren sich Matwijtschuk und die
CCL für den Beitritt der Ukraine zum Internationalen Strafgerichtshof.
Matwijtschuk trage „seit über einem Jahrzehnt mit ihren Dokumentationen von
Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen maßgeblich zur Stärkung der
ukrainischen Zivilgesellschaft und staatlicher demokratischer Strukturen
bei“, heißt es in der Preisbegründung: Die Arbeit für den Aufbau
nachhaltiger demokratischer Institutionen und die Gestaltung eines Weges
zur internationalen Strafverfolgung von Kriegsverbrechen sei seit dem
Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 umso wichtiger geworden
damit „in der Ukraine eine demokratische Zukunft entstehen kann“.
## Ohne Chefs aktiv in Venezuela
Die 1967 gegründete venezolanische Kooperative Cecosesola ([9][Central de
Cooperativas de Lara]) ist ein Netzwerk von Gemeinschaftsorganisationen aus
einkommensschwachen Regionen, das Waren und Dienstleistungen für mehr als
100.000 Familien in sieben venezolanischen Bundesstaaten produziert und
bereitstellt. In den vergangenen 55 Jahren stetig gewachsen, umfasst es nun
auch Lebensmittelmärkte, ein Gesundheitsnetzwerk, Spar- und
Darlehensdienste sowie landwirtschaftliche Produktion und kleine
Verarbeitungsbetriebe sowie genossenschaftliche Bestattungsdienste.
[10][Chefs gibt es nicht], Jobrotation ist üblich, Entscheidungen werden im
Konsens getroffen. „Die Organisation versteht sich als lernendes Kollektiv,
das die Dynamiken, die im Arbeitskontext entstehen, gemeinsam reflektiert.
Transparenz, gegenseitige Unterstützung und Gerechtigkeit sind die
Leitwerte“, heißt es in der Preisbegründung: „Cecosesola ist eine
Leuchtturminitiative und eine Inspiration für alle, die nach alternativen
ökonomischen Ansätzen suchen und das traditionelle hierarchische Modell in
privaten und staatlichen Unternehmen überwinden wollen.“ Der Preis sei eine
Anerkennung „für die Entwicklung eines gerechten und kooperativen
Wirtschaftsmodells als robuste Alternative zu profitorientierten
Volkswirtschaften“.
Die Entdeckung der kommerziellen Ölreserven Ugandas im Jahr 2006 hat in den
vergangenen Jahren vermehrt zu [11][Landraub, illegalen Vertreibungen und
Umweltzerstörung] geführt. Mit dem [12][Africa Institute for Energy
Governance] (Afiego) geht der Preis an eine ugandische Organisation, die
durch Lobbyarbeit, Medienkampagnen sowie nationale und internationale
Rechtsprozesse Gemeinden dabei unterstützt, sich gegen umweltschädliche
Projekte bei der Öl- und Gasförderung zu wehren. Sie leiste „einen mutigen
Einsatz für Klimagerechtigkeit und die Rechte betroffener Gemeinden, die
durch ausbeuterische Energieprojekte verletzt werden“.
Im Zentrum der aktuellen Aktivitäten des Afiego stehen Kampagnen zum Stop
des Baus der fast 1500 km langen [13][East African Crude Oil Pipeline], die
Rohöl aus Uganda zum Hafen von Tanga in Tansania transportieren soll. Die
Dokumentation und Veröffentlichung der Auswirkungen der geplanten Pipeline
auf die lokalen Gemeinden durch die AFIEGO habe „maßgeblich dazu
beigetragen, dass es heute internationalen Druck gibt, um den Bau zu
stoppen“, konstatiert die Stockholmer Stiftung.
## PreisträgerInnen warnen vor Rechtsruck in Schweden
Die ugandische Regierung versuche daher, die Arbeit der Organisation zu
sabotieren: „MitarbeiterInnen werden bedroht, schikaniert, festgenommen und
inhaftiert. Afiego kämpft jedoch unerschrocken weiter für den Umweltschutz
und das Wohlergehen der betroffenen Gemeinden – mit juristischen Mitteln
und indem die Organisation den Stimmen der Zivilgesellschaft Gehör
verschafft.“
„Für die Arbeit, die wir hier in Uganda leisten, braucht es Ermutigung,
braucht es Motivation. Wir sind mit einem sehr feindseligen Umfeld
konfrontiert, einschließlich Verhaftungen“, kommentiert Dickens Kamugisha,
Vorstandvorsitzender von Afiego den Preis: „Wenn die Regierung weiß, dass
es auf der ganzen Welt Menschen gibt, die unsere Arbeit für richtig halten,
überlegt sie es sich zweimal, ob sie uns oder unsere Gemeinschaften
angreift. Dieser Preis bedeutet also, dass wir noch viel mehr
Gemeinschaften helfen können.“
Die Preise und deren Verleihung, die in diesem Jahr am 30. November im
Rahmen einer live übertragenen Veranstaltung in Stockholm stattfindet, sind
nur ein Teil der Arbeit der 1980 gegründeten Right Livelihood Stiftung. Die
Auszeichnung ist mit einer langfristigen Unterstützung verbunden, um die
Arbeit der PreisträgerInnen international bekannt zu machen und dauerhaft
zu stärken.
Umgekehrt halten die PreisträgerInnen engen Kontakt zu Schweden. 32 von
ihnen haben sich deshalb auch in einer in der vergangenen Woche
veröffentlichten [14][Erklärung] kritisch zum Wahlerfolg der
[15][Schwedendemokraten] geäußert, einer rechtsradikalen Partei mit
Neonaziwurzeln, die – wie es darin heißt – „die Medien attackiert“, si…
„offen mit autoritären Führern in anderen Ländern verbrüdert“ und „ih…
hasserfüllte Rhetorik gegen Menschen anderen Glaubens und anderer
ethnischer Herkunft“ richtet. Dies seien „typische erste Phasen des
autoritären Drehbuchs, aber wir befürchten, dass es dabei nicht bleiben
wird und dass die schwedische Demokratie allmählich untergraben wird“.
Wenn traditionelle Parteien die Macht mit so einer Partei teilen, sei „eine
Grenze überschritten“ warnen die PreisträgerInnen aus 27 Ländern: „Wir s…
zutiefst besorgt. Wir wissen, wie Demokratien sterben. Ihr Tod kommt
lautlos.“ Dabei werde gerade Schweden in einer Zeit, „in der die Demokratie
weltweit so stark unter Druck steht, sowohl innerhalb der Länder als auch
durch den brutalen Krieg, den die russische Diktatur gegen die
demokratische Ukraine führt, fest im demokratischen Lager gebraucht“.
29 Sep 2022
## LINKS
[1] https://rightlivelihood.org/
[2] /Viele-Tote-bei-Terrorangriff-auf-Hotel/!5873216
[3] http://www.elmanpeace.org
[4] /Sexuelle-Gewalt-in-Somalia/!5060486
[5] https://peacebyafrica.com/
[6] https://ccl.org.ua/
[7] /Krise-in-der-Ukraine-eskaliert/!5052035
[8] https://www.tagesspiegel.de/politik/-und-abends-mit-den-kindern-krieg-uben-…
[9] https://cecosesola.org/
[10] /!591452/
[11] /Landkonflikte-in-Uganda/!5126667
[12] https://www.afiego.org/
[13] /Oelfoerderung-in-Ostafrika/!5856388
[14] https://rightlivelihood.org/news/the-world-needs-a-democratic-sweden-right…
[15] /Wahlergebnisse-in-Schweden/!588181
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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für Indigene in Nicaragua und gegen institutionellen Rassismus in den USA.
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