# taz.de -- Sexuelle Gewalt in Somalia: Die Schutzlosen | |
> Sharifa Mohamed wird von drei Männern vergewaltigt – stundenlang. Ein | |
> alltägliches Verbrechen, über das viele Frauen schweigen. Sharifa nicht. | |
Bild: Fast 370.000 Binnenvertriebene leben in Mogadischu in Notunterkünften. | |
MOGADISCHU taz | Sarah Ahmed* hat ihre Enkeltochter mitgebracht, aber das | |
Kind soll keine Fragen beantworten müssen. Sie will dem Mädchen das Reden | |
ersparen; seine Anwesenheit soll belegen, dass das, was sie erzählen wird, | |
stimmt. | |
Sarah Ahmed ist Somalierin, Ende fünfzig, mit einem weichen, runden | |
Gesicht. Hätte sie ihre Enkelin Shukri* nicht dabei, müsste sie das Kind | |
außerdem allein lassen. Die Mutter des Mädchens starb acht Monate nach der | |
Geburt, der Vater entschwand, Geschwister gibt es nicht. Seit dem Tag, von | |
dem Sarah Ahmed erzählen wird, lässt sie Shukri nicht mehr allein. | |
Die beiden sitzen auf einfachen Plastikstühlen im Hinterhof eines Hauses in | |
Mogadischu, der Hauptstadt Somalias. Hohe Mauern schützen das Gebäude und | |
alle Besucher vor Blicken, vor Kugeln – vor Unbill. Das Haus ist | |
Anlaufstelle der somalischen Hilfsorganisation Elman Peace and Human Rights | |
Centre, die sich um ehemalige Kindersoldaten kümmert. Und um die | |
Überlebenden sexueller Gewalt. | |
Von beidem gibt es unzählige Fälle in diesem Land, wo es mit Präsident | |
Hassan Sheikh Mohamud erst seit einem Jahr wieder eine legitime Regierung | |
gibt, nach mehr als zwei Jahrzehnten Staatszerfall und Bürgerkrieg. Der | |
Krieg hat bis heute nicht aufgehört, aber die Lage in der Hauptstadt hat | |
sich etwas stabilisiert. Gewalt ist dennoch allgegenwärtig, die Mitglieder | |
der islamistischen Shabaab-Miliz verüben regelmäßig Selbstmordattentate. | |
## Die Polizei ignoriert die Anzeige gegen den Nachbar | |
Das Gebäude, in dem Großmutter und Enkelin sitzen, ist leer bis auf ein | |
paar schlichte Büromöbel. Shukri sitzt still auf ihrem Stuhl neben der | |
Großmutter, hat die Hände im Schoß gefaltet, schaut meist auf den Boden. | |
Sie ist neun Jahre alt, an dem Tag, von dem die Rede sein wird, war sie | |
erst acht. „Shukri war in der Koranschule“, berichtet Sarah Ahmed. „Auf d… | |
Rückweg stellte sich ihr ein Mann in den Weg. Er nahm sich meine Enkelin | |
und alles, was er wollte.“ Niemand kam dem Mädchen zur Hilfe, das | |
anschließend weinend und völlig aufgelöst nach Hause lief. | |
Shukri hat den Täter erkannt, „er ist unser Nachbar“, sagt die Großmutter. | |
„Er weiß, dass wir beide auf uns allein gestellt sind und dass ich machtlos | |
bin. Er hat keine Angst vor mir.“ Die Erfahrung der folgenden Tage gab ihr | |
Recht. Sie sei zur Polizei gegangen, erzählt Sarah Ahmed, habe das | |
Verbrechen geschildert und den Täter benannt. „Aber die Polizisten haben | |
nichts unternommen.“ | |
Die alte Frau bringt jetzt keine Worte mehr heraus. Stattdessen nutzt sie | |
die Enden ihres Kopftuchs, um ihr Gesicht zu verbergen und ihre Tränen zu | |
trocknen. Fartun Aden, eine mütterlich wirkende Frau Mitte 40, stellt sich | |
hinter sie und nimmt sie in den Arm. „Sie verzeiht sich nicht, dass sie | |
Shukri nicht schützen konnte“, übersetzt Aden Sarah Ahmeds Verzweiflung in | |
Worte. Aden leitet die Hilfsorganisation Elman, bei der die beiden | |
schließlich doch noch Hilfe fanden: Das Mädchen wurde medizinisch behandelt | |
und psychologisch betreut. Die Großmutter erhielt etwas Geld, das sie in | |
einen kleinen Laden investieren konnte. Und vor allem finden die beiden bei | |
Elman immer ein offenes Ohr. Hier können sie über das sprechen, was in | |
Somalia weit verbreitet ist, aber doch ein Tabu: sexuelle Gewalt. | |
Nach Angaben des UN-Büros für Menschenrechte, Ocha, wurden im ersten | |
Halbjahr 2013 allein in Mogadischu 800 Fälle sexueller Gewalt bekannt. Die | |
Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Menschenrechtsorganisationen | |
betonen, dass Vergewaltigung in Somalia ein Tabu ist und die meisten | |
Überlebenden die Tat deshalb verschweigen. Einem Bericht von Human Rights | |
Watch zufolge werden besonders die in Mogadischu lebenden | |
Kriegsvertriebenen schnell Opfer von Übergriffen und Gewalt. Bis zu 370.00 | |
Menschen leben in den selbst gebauten Notunterkünften, die keinerlei | |
Sicherheit bieten. Die Täter sind laut Human Rights Watch oft Mitglied | |
einer der bewaffneten Gruppen oder Angehörige der somalischen Armee. | |
## Hütten, die kaum Obdach und keine Sicherheit bieten | |
Sarah Ahmed und Shukri wohnen in einem solchen wilden Camp in Mogadischu. | |
Ein Besuch bei ihnen zu Hause ist ausgeschlossen, die beiden meiden | |
Aufmerksamkeit. Aber es ist nicht schwer, eine Vorstellung davon zu | |
kriegen, wie das „Zuhause“ der beiden aussieht. Überall in Mogadischu gibt | |
es diese halbrunden Notunterkünfte auf verlassenen Grundstücken, auf | |
Brachen oder zwischen Ruinen. Die Hütten werden aus Ästen, Plastiktüten, | |
alten Kleidungsstücken, Stoffresten, Planen zusammengeflickt und stehen so | |
dicht, dass dazwischen kaum ein Durchkommen ist. | |
Auch Sharifa Mohamed* lebt in seinem solchen Lager. Die 28-Jährige fand | |
Zuflucht bei einer anderen Organisation, sie heißt Save Somali Women and | |
Children. In einem der Räume des Zentrums sitzt Sharifa Mohamed jetzt, das | |
Zimmer wirkt warm und wohnlich. Bis heute fällt es ihr schwer, über das | |
Vorgefallene zu sprechen. Wenn sie redet, guckt sie entweder stur geradeaus | |
oder auf den Boden. Ihr Mann war an jenem Abend vor vier Monaten nach Hause | |
gekommen, er hatte an diesem Tag etwas Geld verdient. „Ich ging los, um für | |
die Kinder etwas zu essen zu kaufen“, berichtet Sharifa leise. „Da standen | |
plötzlich drei Männer vor mir und zogen mich in eine dunkle Ecke.“ Sie | |
kämpfte, kam aber gegen die Übermacht der Männer nicht an. Erst nach | |
anderthalb Stunden ließen die Angreifer von ihr ab. Weinend kehrte sie zu | |
ihrer Hütte zurück. | |
Immerhin steht ihr Ehemann zu ihr – das ist in Somalia nicht | |
selbstverständlich. Auf die Idee, zur Polizei zu gehen, kamen weder er noch | |
Sharifa. Obwohl der Aufbau der Polizei seit Jahren mit viel Geld auch aus | |
Deutschland unterstützt wird, ist die Truppe bis heute wenig effektiv. Im | |
Bewusstsein der meisten Somalierinnen und Somalier ist sie als | |
Ansprechpartner nicht präsent. Und erst recht nicht als Adresse in Notlagen | |
wie diesen. Am nächsten Morgen sah Sharifa drei Frauen in der Nähe ihrer | |
Hütte. „Sie fragten herum, ob wir eine ruhige Nacht gehabt hätten. Oder ob | |
wir Hilfe bräuchten.“ | |
Sharifa verstand, dass sie nach Frauen suchten, die vergewaltigt worden | |
waren. Sie offenbarte sich den Mitarbeiterinnen der Hilfsorganisation, in | |
deren Räumlichkeiten Sharifa jetzt sitzt. Save Somali Women and Children | |
bietet Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, medizinische, psychologische, | |
wirtschaftliche und juristische Hilfe an. Fartuma Ibrahimi arbeitet für die | |
Organisation, die seit rund einem Jahr in Mogadischu tätig ist. Seitdem | |
wandten sich etwa 1.300 Frauen dorthin. „Das sind Menschen jeden Alters, | |
sie sind zwischen vier und 80 Jahre alt“, sagt Fartuma Ibrahimi. „Und nicht | |
nur Mädchen sind betroffen, auch Jungen.“ | |
## Nach hinten losgegangen | |
Juristisch verfolgt werden die Täter in der Regel nicht. Kaum eine Frau | |
wagt, das Tabu zu brechen und das Verbrechen anzuzeigen. Und kommt es doch | |
mal dazu, wird die Justiz meist nicht tätig. Oder sie wendet sich sogar | |
gegen die Opfer. So geschehen Anfang des Jahres, da verurteilte ein | |
somalisches Gericht ein Vergewaltigungsopfer zu einem Jahr Gefängnis. | |
Die Frau hatte staatliche Sicherheitskräfte für die Tat verantwortlich | |
gemacht und damit, so das Gericht, staatliche Institutionen beleidigt. Ein | |
Journalist, der über den Fall berichtete, wurde ebenfalls verurteilt. | |
Seither, sagen Fartun Aden und Fartuma Ibrahimi gleichermaßen, trauten sich | |
noch weniger Opfer als vorher, sich nach einer Vergewaltigung jemandem | |
anzuvertrauen. | |
Sarah Ahmed hat aufgehört zu weinen, sie kann jetzt weitersprechen. Ihre | |
Enkelin steht inzwischen neben ihr, sucht Nähe und versucht zugleich zu | |
trösten. Es gehe ihnen inzwischen etwas besser, sagt Sarah Ahmed. Dank | |
ihrem kleinen Geschäft könne sie jetzt immerhin selbst für sich und ihre | |
Enkelin sorgen. „Und ich habe verstanden, dass das jedem passieren kann. | |
Nicht nur uns.“ Dass sie ihre Enkelin nicht beschützen konnte, hat sie sich | |
trotzdem noch nicht verziehen. „Ihre Zukunft ist zerstört“, sagt sie, und | |
verliert dabei fast schon wieder die Fassung. „Dabei war sie erst acht. Ein | |
Mädchen, das vergewaltigt wurde, hat in unserer Kultur keine Zukunft.“ | |
* Namen geändert | |
31 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Bettina Rühl | |
## TAGS | |
Sexuelle Gewalt | |
Somalia | |
Vergewaltigung | |
Mogadischu | |
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