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# taz.de -- Somalis in Großbritannien: Von der Traufe in den Regen
> Seit den Shabaab-Anschlägen stehen sie in Großbritannien pauschal unter
> Terrorverdacht. Nun wird den Somalis auch erschwert, ihre Familien zu
> unterstützen.
Bild: Somalische Näherinnen im Londoner Migrantenzentrum Dadihiye
LONDON taz | Londons somalische Gemeinschaft fühlt sich bedrängt. Nach der
Ermordung des britischen Soldaten Lee Rigby in Woolwich durch zwei Männer
nigerianischer Abstammung in London im Mai versuchten Rechtsradikale, die
Schuld auf afrikanische Muslime insgesamt zu schieben. In der Woche nach
dem Mord wurde ein somalisches islamisches Zentrum in Brand gesteckt.
Jetzt müssen Somalis in London auch das Stigma des Terrorüberfalls der
islamistischen somalischen Shabaab-Miliz auf ein Einkaufszentrum in Kenias
Hauptstadt Nairobi im September mit mindestens 67 Toten über sich ergehen
lassen. Prompt gerät eine Gemeinschaft von 115.000 Menschen, die größte
somalische Exil-Community Europas, insgesamt unter Terrorverdacht.
„Wir verurteilen vollkommen, was in Nairobi geschehen ist“, sagt eine
Sprecherin des somalischen Migrantenzentrums Dadihiye in London. „Diese
Akte repräsentieren weder unsere Gemeinschaft noch unsere Religion!“ Doch
in den letzten Jahren gab es immer wieder Meldungen über
Rekrutierungsversuche unter Exilsomalis in Großbritannien für die
Shabaab-Miliz. Einige waren angeblich auch am Überfall von Nairobi
beteiligt. Nach einem Bombenattentat am 21. Juli 2005, das der blutigen
Attacke auf Londons U-Bahnen und Busse vom 7. Juli 2005 folgte, waren alle
vier Verurteilten somalischer Abstammung gewesen.
Aber zuletzt hatten die Triumphe des somalischstämmigen Langstreckenläufers
Mo Farah unter britischer Flagge bei den Olympischen Spielen 2012 das Image
der Somalis komplett verwandelt. Farah, der einst als Flüchtlingskind nach
Großbritannien kam, ist heute einer der beliebtesten Sportler des Landes.
Somalische Einwanderer gibt es in Großbritannien schon seit dem 19.
Jahrhundert. Der Norden Somalias war bis 1960 ein britisches Protektorat
namens „Somaliland“ und nennt sich auch heute wieder so. Die meisten der
heutigen Einwanderer sind Flüchtlinge aus dem somalischen Krieg, der unter
anderem zur erneuten Abspaltung Somalilands führte. Ein Fünftel zog aus
anderen europäischen Ländern wie den Niederlanden oder Italien her, vor
allem zur Familienzusammenführung.
## „Frauen haben das Wort“
Naturwissenschaftslehrer Ayub Farah kam vor 12 Jahren nach England. Heute
kümmert er sich nebenbei um Jugendliche im Londoner Somali Youth
Development Resource Centre (SYDRC): 50 Prozent aller britischen Somalis
verfügen über keinerlei abgeschlossene Ausbildung, nahezu die Hälfte aller
Männer sind arbeitslos. „Obwohl die Erwartungen an junge somalische Männer
höher sind, bringen die Mädchen die besseren Noten nach Hause“, erklärt
Farah. „Mädchen sind näher an ihre Mütter gebunden, und Frauen haben auch
innerhalb der somalischen Familienordnung das Wort.“
Bei Jungs käme es daher oft zu einer Identitätskrise: „Sie verstehen sich
am ehesten als britisch, was aber von Außenstehenden nicht anerkannt wird.
Das bringt schlechte Schulerfolge mit sich und treibt unsere Jugendlichen
manchmal in die Arme von Gangs oder Islamisten.“ „Trotz aller
Schwierigkeiten ist Großbritannien ein besserer Ort für Somalis als
anderswo in Europa“, meint Farahs Kollege Hamad Mohammed. „In Skandinavien
und Holland sind Somalis marginalisiert.“
Beim somalischen Migrantenzentrum Dadihiye im Westen Londons bekommt man
Auskünfte über Sozialhilfe, Arbeits- und Wohnungsrecht. Oder man trifft
sich bei der allwöchentlichen Nähgruppe. Sechs Frauen sitzen gerade dabei
zusammen. Auf die Frage, was für sie in Großbritannien anders sei als in
Somalia, antworten sie, dass hier die menschliche Wärme fehle. Deswegen
kommen sie hierher, wegen der Geselligkeit. Dabei sei Nähen in Somalia
eigentlich Männersache, sagen sie.
## „Generelle Bescheidenheit“
Alle Anwesenden tragen ein traditionelles Gewand, bis auf eine, Khadigia
Gure in Jeans und Jeansjacke. Von ihren Kindern erwartet jedoch keine der
Mütter das Einhalten der Tradition. Es gehe nur um „generelle
Bescheidenheit“. Khadigia Gure fügt hinzu, dass es ihr sogar nicht wichtig
ist, ob ihre Tochter somalisch heirate, sie soll nur mit Somalia im Kontakt
bleiben. Um dabei mitzuhelfen, will sie ein Geschäft in Somalia aufbauen.
Das wird jetzt schwerer. Mangels eines Bankwesens in Somalia (siehe unten)
funktionieren Geldüberweisungen aus dem Ausland so, dass man beispielsweise
in London Geld auf das britische Konto einer somalischen Finanzinstitution
einzahlt und diese in Somalia die entsprechende Summe an den Empfänger
aushändigt. Die britische Barclays Bank wickelt diese Geschäfte ab. Aber
auf Druck der britischen Regierung, die Geldwäsche, Steuerhinterziehung und
Terrorfinanzierung den Kampf angesagt hat, will Barclays aber am Mittwoch
die Konten der somalischen Finanzhäuser schließen.
Die 17-jährige Sahra Abdullahi weiß, was das bedeuten könnte. Sie konnte
nur deshalb aus Somalia flüchten, weil ihre Mutter aus London Geld
schickte, mit dem Sahra Anfang dieses Jahres über Äthiopien ausreiste. In
Somalia hätte sie nach dem Willen der Shabaab-Miliz nicht mehr zur Schule
gehen können, erzählt das junge Mädchen. Vom dortigen Krieg hat sie viel
gesehen, vielleicht zu viel, denn als sie ihren erschossenen Bruder
erwähnt, verstummt sie. Im Büro Dadahiyes macht sie jetzt erste
Arbeitserfahrungen. „Ich will Rechtsanwältin werden, damit ich diese Arbeit
professionell machen kann und Menschen helfen kann“, sagt sie.
„Diese Ambition zum Aufstieg haben viele heutzutage“, sagt eine
Dadahiye-Sprecherin. „Es zeigt, dass Shabaab hier keinen Nährboden mehr
hat. Bei uns geht es nur noch aufwärts!“
Aber wenn die finanziellen Verbindungen in die Heimat gekappt werden, ist
das ein Rückschlag. Viele Somalis mobilisierten dagegen, allen voran Mo
Farah, der laut die Kampagne gegen die Geldtransfersperre mitführte und
sogar live auf BBC erstmals über Rassismuserfahrungen in seiner Jugend in
London sprach. Die Somalis sind alle stolz auf ihn. Mit einer Kritik, sagt
Ayub Farah im SYDC: Nach seiner olympischen Goldmedaille hätte Mo Farah
nicht nur mit dem britischen Union Jack durch das Londoner Olympiastadion
laufen sollen. Sondern auch mit einer somalischen Flagge.
16 Oct 2013
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
## TAGS
Migration
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