# taz.de -- Flüchtlinge in der Republik Puntland: Schlafen ohne Angst | |
> Immer mehr Flüchtlinge werden in Puntland sesshaft. Die Regierung hilft | |
> dabei, hat aber kein Geld. Ein Besuch dort, wo eine abschließbare Tür ein | |
> Segen ist. | |
Bild: „Viele Gäste zahlen nicht.“ Asli Abdulkadir Abdullahi vor ihrem Rest… | |
GAROWE taz | Khadija Gureye Abdidon zeigt unwillkürlich auf ihre Zehen. | |
„Meine Fußnägel waren ganz zerbrochen, weil wir so viel marschiert sind“, | |
erzählt die 50-jährige Somalierin, die aus der Hauptstadt Mogadischu stammt | |
und jetzt in Garowe lebt, der Hauptstadt der teilautonomen Republik | |
Puntland. „Ein Jahr lang waren wir zu Fuß unterwegs nach Äthiopien. Als ich | |
losging, war ich eine sehr dicke Frau, von Tag zu Tag wurde ich dünner.“ | |
Jetzt kann man trotz ihres weiten Gewandes ahnen, dass es ihr körperlich | |
wieder besser geht. Die Flucht, von der sie erzählt, liegt auch schon fast | |
zwanzig Jahre zurück, und dass Abdidon darauf zu sprechen kommt, liegt | |
daran, dass sie nun endlich angekommen ist. | |
„Ich fühle mich hier zu Hause“, bestätigt sie. „Ich habe ein Haus und e… | |
Stück Land.“ Nach Mogadischu will sie nur noch reisen, um ihre Familie zu | |
besuchen, dorthin zurückkehren möchte sie nicht. Doch bis zum ersten Besuch | |
will sie noch etwas warten, bis sich die Lage weiter stabilisiert hat. Zwar | |
ist die Lage in der somalischen Hauptstadt jetzt friedlicher, aber immer | |
noch schaffen es Mitglieder der islamistischen Shabaab-Miliz regelmäßig, | |
Selbstmordanschläge mit vielen Toten zu verüben. In Garowe dagegen ist es | |
ruhig. | |
Abdidons Haus befindet sich in dem neuen Stadtteil Jillab, der gerade erst | |
fertiggestellt wird. Hier und da wird noch gehämmert und gebaut, Mauern | |
werden errichtet, Dächer mit Wellblech eingedeckt, Wände geweißt. Die 600 | |
Häuser des neuen Stadtteils hat die internationale Hilfsorganisation World | |
Vision in nur anderthalb Jahren errichtet. | |
## Bürgerkrieg und Dürre | |
Die meisten Bewohner sind Flüchtlinge aus dem kriegszerstörten Süden des | |
Landes. Andere flohen während der Dürre von 2011 nach Garowe, weil sie ihr | |
Vieh verloren hatten und auf Hilfe angewiesen waren. Und um nicht den Neid | |
der Einheimischen zu erregen, wurden etliche Häuser für besonders | |
bedürftige Bewohner der Stadt reserviert. | |
Abdidon ist eingezogen, obwohl die Außenwände noch nicht ganz fertig | |
gestrichen sind. „Ich danke Gott für das Haus“, sagt sie, während sie auf | |
einem Plastikstuhl in ihrem Wohnzimmer sitzt. Es ist der einzige Raum in | |
dem solide gemauerten Gebäude. Wenn sie abends die Matten für sich und ihre | |
Kinder ausbreitet, wird es zum Schlafzimmer. Die „Küche“ steht im | |
Vorgarten, es ist eine Konstruktion aus Ästen und Holzpfählen, gedeckt mit | |
einer Wolldecke, Plastik und Tüchern. | |
„Da drin haben wir sieben Jahre lang in einem Flüchtlingslager gewohnt“, | |
sagt die Somalierin, die nach draußen gegangen ist, um ihre „Buschhütte“ … | |
zeigen. Vor allem die Nächte waren ein Problem. Oft lag sie voller Angst | |
wach und lauschte, versuchte, verdächtige Schritte auszumachen. Oft seien | |
Männer eingedrungen und hätten Frauen vergewaltigt. „Manche waren ebenfalls | |
Flüchtlinge und lebten in dem Lager, andere kamen aus der Stadt herüber, | |
weil sie wussten, dass wir schutzlos waren.“ | |
Dass sie jetzt eine Tür hat, die sie abschließen kann, ist vielleicht das | |
Beste. Seitdem schläft sie ohne Angst. Und wenn sie tagsüber in die Stadt | |
geht, um beim Wäschewaschen etwas Geld zu verdienen, ist sie ebenfalls | |
ruhig. Niemand kann mehr ihre Habseligkeiten stehlen. | |
## Raus aus den „Buschhütten“ | |
Ahmed Birhane sitzt in seinem schmucklosen Büro in Garowe und betont | |
mehrfach, dass er gerne noch mehr Menschen in solchen Häusern wüsste. „Der | |
Bedarf ist überwältigend.“ Insgesamt 1.200 Familien haben im Rahmen des | |
Projekts ein Haus bekommen, 600 in Garowe und 600 in der Stadt Burtinle | |
etwas weiter nördlich. Ein paar tausend Flüchtlinge aus dem Süden hausen | |
weiterhin in „Buschhütten“ oder dicht gedrängt bei Verwandten. | |
Birhane arbeitet im Innenministerium von Puntland, das für | |
Flüchtlingsfragen zuständig ist. Er hat mit dem Siedlungsprojekt viel zu | |
tun, bezahlen kann er die Häuser aber nicht. „Wir haben kein Budget“, sagt | |
er. „Wir können die Hilfe der Geber nur koordinieren.“ Dasselbe gilt für | |
alle Regierungsstellen in Puntland. Die Abhängigkeit von auswärtiger Hilfe | |
ist fast absolut. | |
In diesem Fall hat die Regierung aber auch einen eigenen Beitrag geleistet | |
und stellte das Land für die Häuser in Burtinle kostenlos zur Verfügung. In | |
Garowe spendierte ein somalischer Geschäftsmann die Fläche für die Siedlung | |
und die Regierung verzichtete auf Gebühren für die Ausstellung der | |
Besitzurkunden. | |
Überhaupt steht die Regierung den Menschen, die in Puntland Zuflucht | |
suchen, offen gegenüber. „Wir wollen die Flüchtlinge aus Südsomalia | |
ansiedeln und integrieren“, sagt Birhane. „Manche leben seit vielen Jahren | |
hier, faktisch sind sie keine Flüchtlinge mehr.“ Um diese Politik | |
umzusetzen, braucht Puntland die Hilfe von außen. | |
## Der Traum vom Steinhaus | |
In diesem Fall kam sie von World Vision. „Wir wollten eigentlich keine | |
Steinhäuser bauen“, sagt Napoleon Phiri, der das Projekt für die | |
Organisation betreute. Im März 2012 riefen er und seine Kollegen alle | |
zusammen, die die Plänen betreffen, Landbesitzer, Vertreter der | |
Flüchtlinge, religiöse Autoritäten, Stadtverwaltung und die Regierung von | |
Puntland. Phiri hatte einige Modelle von Häusern aus Wellblech und | |
Sperrholz mitgebracht. „Wir sagten den Versammelten, dass wir nicht mit | |
vorgefertigten Plänen gekommen seien. Stattdessen wollten wir ihre Meinung | |
hören.“ | |
Wie sich herausstellte, wünschten sich die Flüchtlinge keine Hütten, | |
sondern richtige Häuser aus Stein. Der Vertreter der Regierung betonte, sie | |
würden die Menschen ebenfalls am liebsten ansiedeln, da sie faktisch | |
ohnehin längst hier lebten. Darauf einigten sich dann alle, doch weil das | |
Geld für feste Häuser nicht ganz reichte, mussten die Flüchtlinge beim | |
Hausbau helfen. | |
Die Anregung, die Unterkünfte individuell zu verändern, griff hingegen kaum | |
jemand auf. Die Häuser, die jetzt in der tieferstehenden Sonne liegen, | |
sehen alle gleich aus. Nur die „Buschhütten“, die viele Familien aus dem | |
alten Lager mitgebracht haben, geben den Häusern ein eigenes Gepräge. | |
## Plausch auf der Türschwelle | |
Zwischen den Häuserreihen spielen Kinder Fußball, ein paar Familien sitzen | |
auf den Türschwellen und plaudern. Hier und da haben die Bewohner aus ihrem | |
Haus ein Geschäft gemacht. „New Garowe“ steht auf einem der Läden. Bunte | |
Bilder zeigen den überwiegend leseunkundigen Bewohnern, was sie hier kaufen | |
können – Mehl, Reis, Tee, Öl. | |
Asli Abdulkadir Abdullahi hat ihr Geschäft nicht in ihrem neuen Haus | |
eröffnet, sondern aus ihrer „Buschhütte“ gebaut, ein Restaurant, in dem s… | |
Reis und Soße anbietet, gelegentlich mit etwas Fleisch angereichert. Auch | |
sie wirbt mit handgemalten Bildern für ihr „Jubba Restaurant“. Eine | |
Mahlzeit kostet 14.000 somalische Schilling, weniger als ein Dollar. | |
„Trotzdem hauen viele Gäste ab, ohne zu zahlen“, klagt die 32-Jährige, die | |
vor 13 Jahren ebenfalls aus Mogadischu geflohen ist. Deshalb verdiene sie | |
fast nichts. Nur weil sie keine andere Wahl hat, macht sie trotzdem weiter. | |
Ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter zu verdienen, ist nicht nur | |
für sie ein Problem, sondern die größte Sorge aller Flüchtlinge. Die Männer | |
verdingen sich als Tagelöhner auf Baustellen, die Frauen waschen Wäsche | |
oder putzen. Der Weg in die Stadt, wo es Arbeit gibt, ist allerdings von | |
Jillab aus weiter als vom alten Flüchtlingslager. | |
## Der Ton wird schärfer | |
Für Abdullahi kommt das sowieso nicht in Frage. „Ich kann meine Tochter | |
nicht allein lassen, sie ist erst acht.“ Abdullahi hat Angst, dass das | |
Mädchen vergewaltigt würde. Vier Kinder habe sie bereits verloren, erzählt | |
Abdullahi. Zwei seien kurz nach der Geburt gestorben, zwei andere ein paar | |
Jahre später. Vielleicht liegt es an der ständigen Sorge um ihre letzte | |
Tochter, dass sie sich trotz ihres Hauses weniger sesshaft fühlt als | |
Abdidon. Vielleicht auch daran, dass sie immer noch Angst davor hat, der | |
Krieg könnte doch noch Garowe erreichen. | |
Das scheint derzeit unwahrscheinlich. Allerdings ist die Region trotz aller | |
Fortschritte noch immer nicht stabil. Zwischen Puntland und Somaliland | |
schwelt ein Konflikt um die gemeinsame Grenze, und auch zwischen Puntland | |
und der Regierung in Mogadischu wird der Ton schärfer. | |
Es geht um die Frage, wie föderal der Staat Somalia in Zukunft sein soll. | |
Der puntländische Präsident Abdirahman Mohamed Farole fühlt seine Rechte | |
von Präsident Hassan Sheikh Mohamud in Mogadischu missachtet und warnt vor | |
„Konflikten“. Abdullahi, Abdidon und die anderen im neuen Stadtteil Jillab | |
hoffen nur eins, dass es friedlich bleibt und sie wirklich für immer | |
angekommen sind. | |
8 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Bettina Rühl | |
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