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# taz.de -- Alternative Nobelpreise 2023: AktivistInnen ohne Furcht
> Die Right Livelihood Awards gehen an SOS Méditerranée und an
> AktivistInnen in Kambodscha, Ghana und Kenia. Sie kämpfen für Frauen
> und Umwelt.
Bild: Rettung auf dem Mittelemeer: SOS Méditerranée im Einsatz
Stockholm taz | „Sie sind ZeugInnen großen Leids und kämpfen um das Leben
und die Würde Einzelner ebenso wie um die Lebensgrundlagen von Menschen
überall auf der Welt.“ So stellte die Stiftung des „[1][Right Livelihood
Award]“, besser bekannt als „Alternativer Nobelpreis“, am Donnerstag in
Stockholm ihre diesjährigen PreisträgerInnen vor. Deren Kampf gelte
„gesellschaftlichen Tabus beim Thema Abtreibung in afrikanischen Ländern,
dem autoritären Regime und korrupten Unternehmen in Kambodscha, einer
wachsenden humanitären Krise im Mittelmeer und menschen- wie
umweltschädigenden Geschäftspraktiken in Kenia“.
Geehrt werden die kenianische Umweltaktivistin Phyllis Omido, die
ghanaische Medizinerin Eunice Brookman-Amissah, die kambodschanische
Umweltorganisation „Mother Nature Cambodia“ und „SOS Méditerranée“, d…
europäische maritim-humanitäre Organisation, die im Mittelmeer Menschen in
Seenot rettet. Gemeinsam sei ihnen, der Verletzung von Menschenrechten und
der Zerstörung der Umwelt „Konzepte für eine lebenswerte Zukunft
entgegenzustellen“.
## Phyllis Omido
Von ihrem Kampf gegen umwelt- und gesundheitsschädliche Bleischmelzen und
den damit verbundenen Todesdrohungen und Verhaftungen hatte Phyllis Omido
vor vier Jahren auch [2][in einem Interview mit der taz berichte]t. Die
45-Jährige – auch „Mama Moshi“, die „Mutter gegen den Rauch“ und „…
Brockovich] von Ostafrika“ genannt – hatte [4][selbst in einer
Batterie-Recycling-Fabrik in der Gemeinde Owino-Uhuru nahe der kenianischen
Hafenstadt Mombasa gearbeitet], deren Betrieb zur Folge hatte, dass sie
selbst, ihr Sohn und Tausende BewohnerInnen schwere Bleivergiftungen
erlitten.
„Die Technik war veraltet, und keiner der Beschäftigten in der Fabrik hatte
eine Schutzausrüstung erhalten, sie waren nicht darüber informiert worden,
dass sie mit giftigen Stoffen arbeiteten“, erzählt sie. Nachdem es zu
mehreren Todesfällen gekommen war und sich sowohl die Eigentümer der Fabrik
wie Behördenvertreter weigerten, aus der von Omido vorgelegten
Umweltverträglichkeitsstudie Konsequenzen zu ziehen, mobilisierte sie die
Gemeinde zu Protesten.
Nach einer Demonstration im Jahr 2012 wurde Omido in ihrem Haus angegriffen
und unter dem unbegründeten Vorwurf des Terrorismus und der Anstiftung zur
Gewalt verhaftet.
Omido wandte sich daraufhin an die Medien und an internationale
Menschenrechtsorganisationen. Nachdem TV-Dokumentationen großes Aufsehen
erregt hatten, sahen sich die Behörden gezwungen, den BewohnerInnen von
Owino-Uhuru Blutproben zu entnehmen sowie das Wasser und den Boden auf Blei
zu untersuchen – weigerten sich aber zunächst, die Ergebnisse zu
veröffentlichen. „Erst als wir damit drohten, eine Leiche in das
Regierungsbüro zu bringen und mit der dort so lange sitzen zu bleiben, bis
die Ergebnisse veröffentlicht würden, wurden die Werte zugänglich gemacht“,
berichtet sie.
Die Fabrik in Owino-Uhuru und 16 weitere solcher Industrieanlagen wurden
geschlossen. 2017 verabschiedete die UN eine Resolution zur Bekämpfung
unsachgemäßen Recyclings von Bleibatterien in Afrika. Zwischenzeitlich
wurde ein Netzwerk von rund 120 UmweltschützerInnen in Kenia, Uganda und
Tansania aufgebaut, um andere Betroffene dabei zu unterstützen und zu
begleiten, ihre Gemeinden vor Umweltschäden zu schützen.
Omido hatte 2015 bereits den „Goldman Environmental Prize“ – auch „Grü…
Nobelpreis“ genannt – erhalten. Das von ihr gegründete „[5][Centre for
Justice, Governance and Environmental Action]“ engagiert sich derzeit gegen
die Pläne der kenianischen Regierung in Kilifi, einem unberührten
Küstenbezirk, der für seine Korallenriffe, Fischerdörfer und seine reiche
Tierwelt bekannt ist, ein AKW errichten zu wollen.
## Mother Nature Cambodia
Um den Kampf gegen Umweltzerstörung geht es auch beim ersten „Alternativen
Nobelpreis“, der nach Kambodscha geht: An „[6][Mother Nature Cambodia]“,
eine 2012 gegründete Jugendorganisation, die sich laut Begründung der
Preisjury zur wichtigsten Umweltrechtsorganisation des Landes entwickelt
hat.
Durch Social-Media-Aktionen sowie die Schulung und Mobilisierung junger
KambodschanerInnen habe die Organisation „wesentlich dazu beigetragen,
zahlreiche Umweltverstöße im Land aufzudecken und zu beenden“. Dank ihrer
Kampagnen sei beispielsweise der Bau eines Wasserkraftwerks im Areng-Tal
gestoppt worden, das eine indigene Gemeinschaft bedrohte. Der Organisation
gelang es auch, dem Sandabbau und illegalen Sandexport aus der Provinz Koh
Kong Einhalt zu gebieten, der lokale Fischgründe und das Ökosystem
zerstörte.
Wegen ihres zusammen mit lokalen Gemeinschaften geleisteten Kampfs für
Umweltschutz und sichere Lebensgrundlagen sind die Gruppe und ihre
Mitglieder massiven Repressionen ausgesetzt. Seit 2015 sind elf
AktivistInnen inhaftiert und Dutzende zeitweise festgenommen worden. Der
Gründer Alejandro González-Davidson war gezwungen, Kambodscha zu verlassen
und war in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von 20 Monaten verurteilt
worden.
„Der Diktator möchte, dass wir uns von der Politik fernhalten, uns von der
Demokratie fernhalten und uns davon fernhalten, uns gegen die Regierung
auszusprechen“, sagt Ly Chandaravuth, der ebenso wie Sun Ratha, die
Finanzverantwortliche der Organisation, 2021 wegen [7][der Dokumentation
der Abwassereinleitung in den Tonlé Sap] fünf Monate hinter Gittern
verbracht hat. Auf beide wartet derzeit ein Prozess wegen Verschwörung
gegen die Regierung und Majestätsbeleidigung. Ihnen drohen Gefängnisstrafen
von bis zu 10 Jahren.
Right Livelihood-Direktor Ole von Uexkull spricht von einer „Gruppe
furchtloser Aktivisten, die trotz der Unterdrückung durch das
kambodschanische Regime für Umweltrechte und Demokratie kämpfen“. Man wolle
sie „für ihren engagierten Aktivismus zur Erhaltung der natürlichen Umwelt
Kambodschas im Kontext eines stark eingeschränkten demokratischen Raums“
ehren: „Trotz Verhaftungen, rechtlicher Schikanen und Überwachung setzen
sie sich weiterhin unermüdlich für die Umwelt- und Bürgerrechte der
Kambodschaner ein.“
## Eunice Brookman-Amissah
Eunice Brookman-Amissah, eine ghanaische Medizinerin, die zwischen 1996 und
1998 Gesundheitsministerin ihres Landes war, erhält den Preis für ihren
„jahrzehntelangen Einsatz, mit dem sie den Zugang zu sicheren
Schwangerschaftsabbrüchen in ganz Afrika vorangetrieben hat“. Die Jury
würdigt sie als „eine Pionierin im Bereich sexueller und reproduktiver
Gesundheit und Rechte“, die sich in einer Region, in der Abtreibung
gesellschaftlich tabuisiert war, unermüdlich für sichere
Schwangerschaftsabbrüche eingesetzt habe.
Sie war ab 2002 Vizepräsidentin der Afrika-Sektion von [8][IPAS], einer
internationalen Organisation mit dem Ziel, den Zugang zu sicheren
Abtreibungen und Verhütungsmitteln zu verbessern, und initiierte als solche
die Verabschiedung beziehungsweise Reform von Abtreibungsgesetzen in vielen
Ländern Subsahara-Afrikas – wo es die weltweit höchste Zahl
abtreibungsbedingter Todesfälle gibt. „Ihr Engagement hat maßgeblich dazu
beigetragen, die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit
Schwangerschaftsabbrüchen in der Region seit 2000 um 40 Prozent zu senken“,
konstatiert die Stiftung.
## SOS Méditerranée
Mehr als 38.500 Menschen habe die 2015 gegründete [9][SOS Méditerranée]
seit Beginn ihrer Search and Rescue-Einsätze im Jahr 2016 in Sicherheit
bringen können, begründet die „Right Livelihood“-Stiftung den Preis für
diese Organisation, deren Arbeit eine „Reaktion auf die tragischen Tode im
Mittelmeer und das Versagen der Europäischen Union ist, diesem Problem
wirksam zu begegnen“.
Sie habe damit „auf dieser tödlichsten Migrationsroute der Welt“ nicht nur
Leben gerettet, „sondern erinnert die Öffentlichkeit sowie europäische
Institutionen und nationale Regierungen immer wieder an die humanitäre
Krise auf dem Mittelmeer“.
Dank der Bündelung von Ressourcen aus vier Ländern – Frankreich, Italien,
Deutschland und der Schweiz – könne der Verein [10][das Rettungsschiff
Ocean Viking] und dessen professionelle Besatzung finanzieren und
unterhalten. Aus Seenot gerettete Menschen würden bereits an Bord
medizinisch und psychosozial betreut, außerdem verschaffe SOS Méditerranée
den Überlebenden Gehör, indem es [11][ihre Geschichten dokumentiere], wolle
aber auch die Erinnerung an diejenigen wachhalten, die die gefährliche
Reise nicht überlebt haben, hebt die Jury hervor: „Dieser Ansatz betont,
dass jeder Mensch und jedes Leben wichtig ist, was in der europäischen
Debatte über Flüchtlinge und Einwanderer oft außer Acht gelassen wird.“
Die Ehrung der diesjährigen PreisträgerInnen des 1980 gegründeten „Right
Livelihood Award“ findet am 29. November in Stockholm statt.
28 Sep 2023
## LINKS
[1] https://rightlivelihood.org/
[2] /Bleirecycling-in-Kenia/!5637071
[3] /!1239645/
[4] /Umwelt-Praezedenzfall-in-Kenia/!5695953
[5] https://www.centerforjgea.com
[6] https://mothernaturecambodia.org
[7] https://www.amnesty.org/en/latest/press-release/2021/06/cambodia-assault-on…
[8] https://www.ipas.org/
[9] https://sosmediterranee.org/
[10] /Flucht-ueber-das-Mittelmeer/!5959128
[11] https://sosmediterranee.ch/de/stimmen-der-geretteten/
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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