# taz.de -- Proteste in Iran: Abschieben und Tee trinken | |
> Regimekritiker_innen werden in Iran gefoltert und getötet. Die | |
> Bundesregierung bleibt dazu erschreckend still – und schiebt Menschen | |
> dorthin ab. | |
Bild: Regimetruppen auf Motorrädern in Teheran | |
Seit drei Wochen sterben Menschen auf den Straßen Irans, weil sie sich | |
gegen das diktatorische Regime auflehnen und es zu Fall bringen wollen. In | |
der Stadt Zahedan spricht man bereits von „massakerartigen Übergriffen“. | |
Manche verschwinden spurlos, wie etwa in Teheran die 16-jährige [1][Nika | |
Shakarami]. | |
Ihre Leiche wurde erst Tage später ihrer Familie überreicht und | |
anschließend von den Behörden erneut gekidnappt, damit ihre Beerdigung die | |
Proteste nicht weiter anheizt. Die Angst der Behörden war berechtigt. Das | |
gewaltsame Vorgehen der Regimetruppen scheint [2][die Wut der Bevölkerung] | |
nur noch mehr zu befeuern. | |
Was gerade in Iran passiert, ist unübersichtlich, so wie jeder Systemsturz | |
unübersichtlich ist. Unabhängige Presse vor Ort ist kaum möglich. Der | |
massiv von der Islamischen Republik eingeschränkte Internetzugang führt zu | |
verzögertem Nachrichtenfluss. Doch das alles sollte uns nicht dazu | |
verleiten, die Proteste kleinzureden. Denn trotz allem erreichen uns die | |
Zeugenberichte, Bilder und Videos, die grausame Angriffe gegen und | |
Erschießungen von Demonstrierenden zeigen. | |
Aber eben auch mutige Frauen, die sich bewaffneten Truppen in den Weg | |
stellen, Schüler_innen, die ihre regimetreuen Lehrer_innen aus den Schulen | |
mobben. Wer unter diesen Bedingungen immer noch protestiert, dem ist es | |
todernst. Und dazu zählen inzwischen auch Kinder. | |
## Nur Lippenbekenntnisse | |
[3][Erschreckend still] ist es dabei um die Haltung der Bundesregierung. | |
Der iranische Botschafter wird einbestellt, Außenministerin Baerbock | |
bewundert den „unglaublichen Mut“ der Protestbewegung. Doch Bewunderung | |
kostet nichts. Mehr als Lippenbekenntnisse hat die Bundesregierung bislang | |
nicht auf den Weg gebracht. Schärfere EU-Sanktionen, die nicht wie bislang | |
vor allem das iranische Volk, sondern die Machtelite des Landes treffen | |
würden, könnten in der kommenden Woche zwar beschlossen werden. Doch es | |
gibt auch innenpolitische Maßnahmen, die getroffen werden müssen. Ein | |
Abschiebestopp zum Beispiel. | |
Im Moment werden abgelehnte Asybewerber_innen immer noch in den Iran | |
abgeschoben. Mehr noch: Sie werden mit den perfidesten Methoden auf | |
deutsche Ämter gelockt, um in Gewahrsam genommen und abgeschoben zu werden. | |
So geschah es in der [4][vergangenen Woche im bayrischen Passau]. | |
Der 41-jährige Iraner Reza R. erhielt ein Schreiben vom dortigen | |
Ausländeramt, in dem vorgegeben wurde, seine Pläne, eine Ausbildung als | |
Pflegekraft zu absolvieren, würden unterstützt, er solle zeitnah | |
erscheinen, um die Formalien zu klären. Als R. vor Ort eintraf, warteten | |
bereits zwei Polizisten, die ihn in Abschiebegewahrsam nahmen. Am Mittwoch | |
sollte er nach Teheran ausgeflogen werden. Obwohl er als Christ im | |
islamisch regierten Iran verfolgt wird. Zudem nahm R. in der Vergangenheit | |
an regimekritischen Protesten teil. Was mit Oppositionellen in Iran derzeit | |
geschieht, sehen wir. | |
## Verdienst der Zivilgesellschaft | |
Dank großer Aufmerksamkeit in den Sozialen Netzwerken und dank dem Einsatz | |
des Bayerischen Flüchtlingsrats wurde die Abschiebung im letzten Moment | |
gestoppt und R. freigelassen. Das ist einerseits ein hoffnungsvoller | |
Verdienst der Ziviligesellschaft, andererseits erschütternd, da das | |
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge immer noch Abschiebungen in den | |
Iran anordnet – genauso wie nach Afghanistan. Und die ausführenden Behörden | |
schrecken nicht davor zurück, Menschen mit Lügentricks anzulocken, um sie | |
anschließend per Flugzeug quasi in den Tod zu schicken. | |
In Zeiten von gewaltsamen Pushbacks an den EU-Außengrenzen mag das im | |
Grunde nicht verwundern. Dennoch muss die Bundesregierung endlich eine | |
klare Haltung zur Lage in Iran formulieren und diese in politische | |
Entscheidungen übersetzen. Denn gerade sieht es bloß nach „Abschieben und | |
Tee trinken“ aus, mehr nicht. | |
7 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spiegel.de/ausland/nika-shakarami-tod-der-teenagerin-befeuert-p… | |
[2] /Proteste-im-Iran/!5882338 | |
[3] /Deutsches-Verhaeltnis-zum-Iran/!5880395 | |
[4] /Abschiebung-in-Bayern/!5882507 | |
## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
## TAGS | |
Kolumne Red Flag | |
Proteste in Iran | |
Abschiebung | |
unsichere Herkunftsländer | |
Schwerpunkt Iran | |
Kolumne Red Flag | |
Flüchtlinge | |
Proteste in Iran | |
Proteste in Iran | |
Pflegekräftemangel | |
Kolumne La dolce Vita | |
Proteste in Iran | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bombenanschlag in Istanbul: Wenn Schwurbler Popcorn essen | |
Die blitzschnelle Aufklärung des Istanbul-Anschlags lässt Fragen offen. | |
Wenn die Realität zum Blockbuster verkommt, braucht es kein Geschwurbel | |
mehr. | |
Preis für Angela Merkel: Kaltes Erbe | |
Die frühere Kanzlerin Angela Merkel wird mit einem Preis des UNHCR für ihre | |
Flüchtlingspolitik ausgezeichnet. Sie hätte einen Unterschied machen | |
können. | |
Weitere Proteste in Iran: Krisentreffen der Regierung | |
Das Präsidialamt ruft die Bevölkerung auf, sich gegen „feindselige | |
Verschwörungen“ zu stellen. Bei Demos starb ein junger Autofahrer nach | |
einem Kopfschuss. | |
Enissa Amani über die Lage im Iran: „Ich muss von hier aus laut sein“ | |
Ihre Familie stammt aus dem Iran, als Aktivistin berichtet sie über den | |
Aufstand. Enissa Amani fordert mehr Unterstützung für die Protestierenden. | |
Abschiebung in Bayern: In die Falle gelockt | |
Die Ausländerbehörde in Passau versprach einem Iraner, dass er seine | |
Arbeitserlaubnis erhalte. Als der Mann aufs Amt kommt, wird er | |
festgenommen. | |
Fehlende muslimische Solidarität: Fadenscheinige Ausreden | |
Das habe nichts mit dem Islam zu tun: So lautet die Ausrede für die | |
Verbrechen des iranischen Regimes. | |
Proteste im Iran: Vereint gegen die Staatsmacht | |
Im Iran gehen Sicherheitskräfte gewaltsam gegen Studierende und Lehrkräfte | |
vor. Deren Solidarität bricht das Regime damit nicht – im Gegenteil. |