# taz.de -- Repressionen in Belarus: Die Verhaftungen gehen weiter | |
> Auch zwei Jahre nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen werden in | |
> Belarus Menschen verurteilt. Von Swetlana Tichanowskaja sind die Menschen | |
> enttäuscht. | |
Bild: Die 27-jährige Marfa Rabkowa wurde am 6. September zu einer 15-jährigen… | |
Jeden Tag lese ich von neuen Verhaftungen ganzer Familien, die Kinder | |
kommen dann ins Heim, über Hausdurchsuchungen und Strafverfahren gegen | |
unschuldige Menschen. Die Spirale dreht sich ins Absurde. [1][Die | |
Menschenrechtlerin Marfa Rabkowa] wurde am 6. September zu einer | |
15-jährigen Haftstrafe verurteilt. Sie ist 27 Jahre alt, man nimmt ihr ihre | |
Jugend und ihre Gesundheit. | |
Ich kenne einen Insider, der in der belarussischen Zentralbank arbeitet, | |
die vom Staat kontrolliert wird. Er ist schockiert: „Es kam ein Befehl ‚von | |
oben‘, fast 300 Leute zu entlassen. Weißt du, warum? Sie haben nicht an den | |
Protesten im Jahr 2020 teilgenommen. Sondern waren einfach in den sozialen | |
Medien mit den Bankmitarbeitern befreundet, die damals in Minsk auf die | |
Straße gegangen waren. | |
Diese Leute hatte man in der ersten Welle der Säuberungen entlassen. Dieser | |
Befehl jetzt ist schon der dritte. Ich weiß nicht, wer hier noch arbeiten | |
soll. Die ganzen Finanzspezialisten sind schon weg. Vermutlich schicken sie | |
jetzt neue, die vorher vom KGB überprüft worden sind, aber von Finanzen | |
keine Ahnung haben.“ | |
## „Säuberungen“ in allen Bereichen | |
In anderen Bereichen sieht es nicht besser aus. Im Frühling waren 35 | |
Traumatologen festgenommen worden, die man beschuldigte, Bestechungsgelder | |
von ausländischen Firmen für den Einsatz von importierten Prothesen | |
angenommen zu haben. Was ist das, wenn nicht der Versuch der Staatsmacht, | |
den Prothesenmarkt zu monopolisieren und die Menschen im Land von den | |
eigentlichen medizinischen Problemen abzulenken? | |
Denn die Wartezeit für den Einsatz eines künstlichen Kniegelenks aus | |
einheimischer Produktion beträgt fünf Jahre. Ein Anbieter von | |
Endoprothesen, der deutsche Unternehmen Waldemar Link, stellte kürzlich | |
klar, dass das Unternehmen seine Geschäfte mit Russland und Belarus | |
aufgrund des Krieges in der Ukraine vollständig eingestellt habe. | |
Die Ideologie ist auch in den Schulen angekommen. Am 1. September, zum | |
Beginn des neuen Schuljahres, mussten die Kinder die Nationalhymne singen | |
und die Staatsflagge hissen, die erste Unterrichtsstunde war der | |
„nationalen Einheit“ (mit Russland) gewidmet. | |
## Enttäuscht von Swetlana Tichanowskaja | |
Vor dem Hintergrund dieses Terrors verliert [2][die rechtmäßig gewählte | |
Präsidentin Swetlana Tichanowskja] natürlich langsam das Vertrauen der | |
Belarussen. Die Abgehobenheit ihres Büros, das sich im litauischen Vilnius | |
befindet, zeigt sich an dem letzten Kongress, in dem die westlich | |
orientierten „Demokraten“ damit beschäftigt waren, die Ressorts einer nicht | |
existierenden Regierung aufzuteilen. | |
Heute kann man alle Staatsbesuche Tichanowskajas als „politisches Tinder“ | |
bezeichnen. Seit zwei Jahren trifft sie Staatsmänner und -frauen – | |
[3][praktisch ohne jedes politische Ergebnis]. Nicht eins der von ihr | |
angestrebten Ziele (Freiheit aller politischer Gefangener, Ende der | |
Repressionen, Neuwahlen) wurde erreicht. Neue Ziele hat ihr Büro bisher | |
nicht formuliert. Für den einfachen Belarussen ist das alles ohne Nutzen. | |
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey] | |
Das Tagebuch wird von der [5][taz Panter Stiftung finanziert]. | |
Der Sammelband „Krieg und Frieden“ ist im [6][Verlag Edition fotoTAPETA | |
erschienen.] | |
29 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Janka Belarus | |
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