# taz.de -- Wiener Streetfood mit Tradition: Es geht um die Würstel | |
> Wiens Würstelstände sind Touristen-Attraktion, Kulturgut, sozialer | |
> Melting Pot – und in die Jahre gekommen. Doch es gibt neue Konzepte. | |
Bild: Das neue heiße Ding im Wiener Würstelkosmos: Bosna, die ursprünglich a… | |
„Gibst mir a Haaße, a paar Glasaugerl, an Oaschpfeiferl und a 16er-Blech.“ | |
Eine Bestellung an einem klassischen Wiener Würstelstand klinge gern mal | |
„ein bisschen wilder“, sagt Sebastian Neuschler. Burenwurst, | |
Silberzwiebeln, Pfefferoni und Bier gibt es auch bei ihm, dem Mann, der – | |
so [1][schrieb es die Lokalpresse] – den Würstelstand revolutioniert habe. | |
„Da hab ich gleich wieder meine Watschn gekriegt von den Wienern“, sagt der | |
39-Jährige und lacht herzhaft. Die Watschn gab es eh, weil Neuschler | |
gebürtiger Salzburger ist. Und auch, weil er neben den traditionellen | |
Klassikern auch Calamari fritti, Beef Tatar und Trüffelpommes serviert. | |
Ende 2021 eröffnete der ehemalige Haubenkoch mit seinem Geschäftspartner | |
„Alles Wurscht“, einen Würstelstand, „der ein bissl anders lauft“. Hei… | |
kein Billigfleisch im Kunstdarm, kein „Styroporbrot“. Stattdessen: Wurst | |
von kleinen Metzgern. Selbst gemachte Soßen und Fermentiertes. | |
Sauerteigbrot und eigens kreierte Miso-Weckerl, die beim Toasten leicht | |
karamellisieren. Weil ihm Nachhaltigkeit wichtig ist, hat Neuschler auch | |
das traditionelle 16er-Blech verbannt, das Dosenbier der Ottakringer | |
Brauerei aus dem 16. Bezirk. „Dafür bekommens dann halt ein Bier vom Fass.“ | |
[2][Im diesjährigen Ranking] des österreichischen Gourmetmagazin Falstaff | |
zum beliebtesten Würstelstand landete „Alles Wurscht“ auf dem ersten Platz. | |
Es sei nicht nur Angebot und Qualität, sagt ein Stammgast. Mindestens | |
genauso wichtig: die Leute, die hinter der Theke stehen. „Oft [3][ist da | |
kein Schmäh], kein Socializing, kein blöder Spruch. Da kann ich auch zu | |
McDonald’s gehen.“ Grillmeister Daniel Steinthaler macht vor, wie es geht: | |
„Ich hätte gerne das Beef Tatar und eine Flasche Champagner,“ sagt eine | |
elegante Frau in Abendkleid, die mit ihren Freundinnen zum Stand gekommen | |
ist. „Sehr gerne, die Dame. Und was trinken die anderen?“ | |
## Vor der Wurst sind alle gleich | |
Der Würstelstand ist eine Wiener Institution. Er stillt den schnellen | |
Hunger, das Bedürfnis nach sozialem Austausch und die touristische | |
Sehnsucht nach authentischen Reiseerlebnissen. Und, darauf ist man | |
besonders stolz, er bringt alle gesellschaftlichen Schichten zusammen. Job, | |
Kleidung, Herkunft: „Am Ende des Tages ist jeder gleich“, sagt Sebastian | |
Neuschler. „Jeder steht in der Schlange, jeder kriegt ein Würstel, jeder | |
ist per du.“ | |
Trotz ihrer viel gepriesenen sozialen und kulturellen Bedeutung hat sich | |
die Zahl der Stände seit 2010 mehr als halbiert, auf weniger als 300 | |
Stände. Zu viel Tradition, zu wenig Innovation sei der Grund, sagt Michael | |
Lanner. Und ein immer gleiches Angebot, zubereitet von schlecht bezahlten | |
Mitarbeitenden, in einer Qualität, die oft zu wünschen übrig lasse. Da sei | |
es kein Wunder, dass viele Würstelstände von Kebab- und Pizzaimbissen | |
abgelöst wurden. Seit einiger Zeit aber gibt es immer mehr Köche und | |
Quereinsteiger, die der angestaubten Institution zu neuem Glanz verhelfen | |
wollen. | |
Michael Lanner und sein Partner waren 2019 die Ersten, die ganz auf | |
Qualität und Nachhaltigkeit setzten. Ihr „Wiener Würstelstand“ ist bis | |
heute der einzig biozertifizierte. Eine „diebische Freude“ habe er, wenn er | |
Leute mit Events wie dem von Blasmusik und Drag-Performance begleitetem | |
Frühschoppen „ein wenig verschrecken“ kann. Und die gute alte Burenwurst �… | |
die haben sie bald aus dem Sortiment genommen. Deftig, grob gewolft, ab und | |
an ein Knorpel. „Das ist der heutige Gaumen nicht mehr gewohnt.“ | |
## Der Würstelstand als „Soziale-Nähe-Versorger“ | |
Lanner kommt aus der Werbebranche, ins Würstelbusiness wechselte er, weil | |
ihn „die soziale Idee“ interessierte. „Der Würschtler ist für mich a bi… | |
der Grätzel-Concierge.“ Ein Anlaufpunkt im Viertel. „Würstelnahversorger�… | |
aber vor allem auch „Soziale-Nähe-Versorger“. Wer mit Michael Lanner und | |
Sebastian Neuschler spricht, muss Zeit mitbringen. Ein Gruß hier, ein | |
kurzer Plausch da. „Ja grüß dich, wie geht’s? Servus, ciao, Baba.“ Ein … | |
in der Stadt. | |
„Das Würstelstandel ist Kulturgut“, sagt ein Gast. „So wie der grantige | |
Kellner. Es gehört uns.“ Welch hohen Stellenwert sie in Wien genießen, | |
zeigt sich auch an der Gewerbeordnung: Imbisse müssen um 24 Uhr schließen – | |
nur jene, die „vom Erscheinungsbild her als Würstelstand ausgeübt“ werden, | |
dürfen bis 4 Uhr geöffnet bleiben. | |
Ausgerechnet die in Salzburg erfundene Bosna ist seit einiger Zeit der neue | |
Star an Wiens Würstelständen. Zwei dünne Bratwürste im getoasteten | |
Weißbrot, obendrauf Senf, Petersilienzwiebeln und Curry. „Bei uns mit | |
selbst gemixtem Bosna Marsala. Das ist unser Bestseller“, sagt Lanner. | |
Ebenfalls beliebt am „Wiener Würstelstand“: Käsekrainer („Eitrige“ im | |
Würsteljargon) und Specials wie der Bologna-Hotdog mit Fenchelsalsiccia, | |
Raclettekäse, Rucola und Oliventapenade. Auf Platz zwei aber liegt die | |
vegane Wurst aus Austernpilzen. Denn auch am Würstelstand [4][werden | |
Tierwohl und Nachhaltigkeit wichtiger]. | |
Seit Kurzem gibt es mit „Eh Wurst“ gar den ersten voll veganen Würstelstand | |
– wobei es streng architektonisch betrachtet kein Stand, sondern eine | |
freistehende Hütte ist, weshalb Inhaber Raphael Rosdobutko sein Geschäft | |
Würstelbar nennt. Auch Rosdobutko ist Quereinsteiger. Vor Corona arbeitete | |
er als DJ, nun grillt er – sehr erfolgreich – Pilz-Bosna, Bratwurst aus | |
Sojaprotein und Currywurst aus Seitan. | |
## Selbst der älteste Stand der Stadt setzt auf Veganes | |
Dass auch sie irgendwann mal ein veganes Würstchen auf den Grill legen | |
würde, hätte sich Vera Tondl zu Beginn ihrer Würstelkarriere hingegen | |
nicht träumen lassen. 1992 übernahm sie den Stand, den ihr Großvater | |
Leopold 1928 gegründet hat. Von seinem mobilen Wagen – fixe Buden gab es | |
erst ab den 1960er Jahren – verkaufte er Frankfurter, rauchige | |
Waldviertler und Burenwurst in Meterware: Der Preis wurde nach Zentimetern | |
berechnet. | |
Heute gilt der „Würstelstand Leo“ als ältester der Stadt. Die Haaße gibt | |
es dort noch immer, aufgrund der stark gestiegenen Gästezahlen allerdings | |
vorportioniert. Den Vorschlag, auch Döner zu verkaufen, hat Vera Tondl | |
abgelehnt – „Ich bleib beim Wiener Angebot!“ – eine vegane Bosna aber h… | |
auch sie mittlerweile im Sortiment. Wer nicht mit der Zeit gehe, | |
verschwinde irgendwann. Der Renner seien die neuen Gourmet-Hot-Dogs mit | |
Salat, Avocado und allerlei Soßen. | |
Sie selbst mag es klassisch: „Ich esse immer dasselbe: Einspänner. Ein | |
Frankfurter mit süßem Senf und Brot.“ Und die Konkurrenz? „Ich ess sie | |
leider alle viel zu gerne, ich habe schon bissl zugenommen!“, klagt Michael | |
Lanner. Deswegen isst Sebastian Neuschler derzeit gern die vegane Bosna. | |
„Das darfst aber net schreiben, sonst krieg ich gleich einen auf den | |
Deckel.“ | |
1 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.yumpu.com/news/de/ausgabe/133929-wienlive-look-ausgabe-052022/l… | |
[2] https://www.falstaff.at/presse/modern-vegan-oder-klassisch-die-beliebtesten… | |
[3] /Kolumne-Gehts-Noch/!5550464 | |
[4] /Pflanzen-essen/!t5312193 | |
## AUTOREN | |
Verena C. Mayer | |
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