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# taz.de -- Film „The Woman King“: Die unbesiegbare Kriegerin
> Hollywood entdeckt den afrikanischen Kontinent neu: Regisseurin Gina
> Prince-Bythewood hat ein Historienspektakel gedreht. Es lässt Raum für
> Fantasie.
Bild: Nimmt es mit jedem und allem auf: Nanisca (Viola Davis) in „The Woman K…
Kurz vor Ende von „The Woman King“, einer fieberhaften Phantasie über
schwarze Selbstermächtigung, die lose auf historischen Ereignissen basiert,
wird es symbolisch: Mit den schweren Eisenketten, mit denen die
Sklavenhändler ihr menschliches „Gut“ kurz zuvor noch eingekerkert hatten,
schlägt eine schwarze Amazone auf einen Weißen ein.
Zu diesem Zeitpunkt hat sich Regisseurin Gina Prince-Bythewood endgültig
vom Anschein und Anspruch gelöst, mit „The Woman King“ einen Historienfilm
vorzulegen. Vielmehr ist er da schon zum Fantasyfilm geworden. Dass ihr
Film in den USA fast durch die Bank weg gefeiert wird, auch an den
Kinokassen erfolgreich ist und von manchen gar als Kandidat für die Oscars
gehandelt wird, erzählt viel über den Stand der gesellschaftspolitischen
Debatte im zeitgenössischen Amerika.
Viel ist dort in den letzten Jahren von Diversität und Repräsentation die
Rede, völlig zu Recht natürlich, wurden Menschen, die nicht dem
heterosexuellen kaukasischen Ideal entsprachen, von Hollywood doch viel zu
lange marginalisiert. Dass sich das langsam ändert, hat nun nicht in erster
Linie mit einer neu entdeckten liberalen Haltung zu tun, sondern – da muss
man sich nichts vormachen – mit Geld.
Einen Film über Amazonenkriegerinnen, die im frühen 19. Jahrhundert im
[1][westafrikanischen Staat Dahomey] lebten und kämpften, produziert
Hollywood nicht einfach so mit einem Budget von 50 Millionen Dollar. Drei
Faktoren machten „The Woman King“ möglich: Der Erfolg des [2][Marvel-Films
„Black Panther“], der schwarze Helden und vor allem eine von den
historischen Amazonenkriegern inspirierte Gruppe weiblicher Kämpferinnen
zeigte; der Erfolg, den Gina Prince-Bythewood mit dem Netflix-Actionfilm
„The Old Guard“ hatte; schließlich Viola Davis, eine der renommiertesten
Schauspielerinnen der Gegenwart, die als Produzentin agierte und die
Hauptrolle übernahm.
## Sklavenhandel im Hafen von Ouidah
Davis spielt Nanisca, Generälin der sogenannten Agojies, einer Gruppe von
Amazonenkriegerinnen, die dem König von Dahomey als persönliche Leibgarde
dienen. Im Jahre 1823 steht König Ghezo (John Boyega) im Konflikt mit dem
benachbarten Königreich der Oyos, das jährliche Tributzahlungen fordert und
vor allem den für Dahomeys Wirtschaft wichtigen Hafen von Ouidah
kontrolliert. Und diese Wirtschaft besteht zu erheblichen Teilen aus
Sklavenhandel, was man aus dem Film allerdings nicht wirklich erfährt, im
Gegenteil.
Auch wenn die Basis von „The Woman King“ historisch verbürgt ist, sich
Dahomey 1823 tatsächlich im Konflikt mit Oyo befand, den der [3][junge
König Ghezo], der erst wenige Jahre zuvor auf umstrittene Weise an die
Macht kam, mit Gewalt beendete: Der Kern des Films ist reine und zunehmend
absurdere Fantasie.
Im Mittelpunkt stehen, wie gesagt, die Agojies, deren hartes
Trainingsregime ausführlich geschildert wird. Nicht immer freiwillig
begeben sich die oft jungen Frauen in den Palast des Königs, wo sie ganz
für den Kampf und ohne Mann leben, während der König der Vielweiberei
huldigt. Mit den Augen der jungen Nawi (Thuso Mbedu) erlebt der Zuschauer
diese Welt, die zumindest im Ansatz einen fürs Hollywoodkino völlig neuen
Blick auf die gesellschaftlichen, politischen Verhältnisse Afrikas wirft:
Ein durch und durch organisierter Staat wird gezeigt, eine funktionierende
Wirtschaft, ein Land, das von Macht und Selbstvertrauen geprägt ist.
Die historische Realität ist jedoch kompliziert und passt in aller Regel
nicht in die simplen Schemen, die das kommerzielle Kino bevorzugt. Zur
Realität Westafrikas gehört auch, dass ohne das aktive Mitwirken der
einheimischen Völker der transatlantische Sklavenhandel nicht möglich
gewesen wäre. Ohne Frage war es erst der Hunger der westlichen Welt nach
enormen Mengen billiger Arbeitskräfte, der jene Nachfrage erzeugte, der
sich kaum ein afrikanisches Volk entziehen konnte und wollte.
Ins Innere des Kontinents drangen die Sklavenhändler jedoch kaum vor, sie
bauten Forts, etwa an der Sklavenküste des heutigen Ghanas oder eben in
Dahomey und wurden dort von schwarzen Zwischenhändlern mit Sklaven
versorgt. Gerade der Reichtum Dahomeys basiert ganz erheblich auf diesem
Handel, ein Geschäft, das die Könige von Dahomey auch dann weiterführen
wollten, als der Sklavenhandel zumindest offiziell geächtet war.
## Panafrikanische Botschaft: Ende des Patriarchats
Was „The Woman King“ dagegen erzählt, hört sich ganz anders an. Ganz
negieren ließ sich die Präsenz von Sklaven in Dahomey zwar nicht, aber
verharmlosen. Nur als Kriegsbeute werden hier Sklaven genommen, die zudem
eher gut behandelt werden. Doch vor allem die heroisch gezeichnete Nanisca,
eine nicht zu besiegende Kriegerin, die es mit jedem Mann aufnimmt und
zudem ihrem König eine unbestechliche Beraterin ist, entwickelt sich zur
vehementen Gegnerin der Sklaverei.
Über weite Strecken bewegt sich „The Woman King“ in erzählerisch
konventionellen Bahnen, die vor allem deswegen aus dem Rahmen fallen, weil
hier Frauen, Afrikanerinnen, Kriegerinnen im Mittelpunkt stehen. Zum Finale
jedoch werden endgültig alle Anzeichen des historischen Erzählens
abgestreift, stattdessen eine panafrikanische Botschaft avant la lettre
ausgerufen, die nicht nur das Ende der Sklaverei bedeuten soll, sondern
auch das Ende des Patriarchats.
Mit der historischen Realität hat das nicht mehr das Geringste zu tun,
dafür aber umso mehr mit dem Zeitgeist, der dafür sorgt, dass auch Schwarze
und vor allem schwarze Frauen mit typischen, verklärten Heldenfiguren aus
Hollywood versorgt werden. Man könnte diese Entwicklung für Fortschritt
halten.
7 Oct 2022
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## AUTOREN
Michael Meyns
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