| # taz.de -- Braunkohleförderung in NRW: Das Dorf kommt weg | |
| > Lützerath im Braunkohlerevier Garzweiler wird nun doch abgegraben. In die | |
| > Enttäuschung vor Ort mischt sich vor allem Wut auf die Grünen. | |
| Bild: Die Wüste rückt näher: Blick auf die verbliebenen Häuser der Ortschaf… | |
| Lützerath und Aachen taz | Was wird aus Lützerath, dem winzigen Ort und | |
| gleichzeitig riesigen Klimaschutz-Symbol? Die Vorhersagen waren über Monate | |
| unklar. Am Wochenende hat der Landwirt Eckhard Heukamp nach dem | |
| Zwangsverkauf seines Hofes dann die Schlüssel abgeben müssen. RWE ist jetzt | |
| Eigentümer des gesamten Ortes und hat ab sofort das Recht zur | |
| Inbesitznahme, wie das auf Juradeutsch heißt. | |
| Am Dienstagmorgen kam die Entscheidung der Politik: Kohleausstieg wie | |
| vielfach erwartet bis 2030 statt 2038, aber Lützerath muss dann doch weg, | |
| wegen Energiesicherheit und Gaskrise. RWE feiert sich dafür als eine Art | |
| Klimahelden: „Die langfristige CO2-Bilanz des Unternehmens wird sich so | |
| noch einmal erheblich verbessern“, schreibt Vorstandschef Markus Krebber. | |
| Der indirekte Kriegsgewinnler ergänzt: Die Kohle unter Lützerath werde | |
| benötigt, „um die Braunkohlenflotte in der Energiekrise mit hoher | |
| Auslastung zu betreiben“. Dabei ist nach jetzigem Stand gar nicht die | |
| klimakillende Kohle so wichtig, sondern der Abraum. Damit müssen die | |
| Böschungen auf viele Kilometer Breite wie Länge weit abgeflacht werden. | |
| Es sind Böschungen, die der Konzern in den vergangenen Monaten ohne | |
| erkennbare Not auffallend nah und steil von zwei Seiten um den Ort | |
| Lützerath herumgegraben hat. „Eine Machtdemonstration“, sagt | |
| Antikohleaktivist und Naturführer Michael Zobel, „von wegen: Es werden bis | |
| zur Entscheidung keine Fakten geschaffen, wie alle immer sagten. Das | |
| Gegenteil war der Fall.“ | |
| ## Enttäuscht von den Grünen | |
| Die [1][Mahnwache Lützerath twitterte umgehend], die Grünen Robert Habeck | |
| und Mona Neubauer, Wirtschaftsminister in Bund und -ministerin im Land, | |
| hätten „endgültig ihre Masken fallen gelassen und zusammen mit ihren | |
| NRWE-Buddy Krebber die Zerstörung von Lützerath verkündet“. NRWE ist die | |
| Szeneabkürzung für den Zusammenschluss von NRW und dem Essener Unternehmen. | |
| Andrea von der Mahnwache sagt der taz, man habe immer damit rechnen müssen, | |
| „aber in dem Moment, wo du die Entscheidung vorgesetzt bekommst, ist das | |
| schon ein Schlag ins Gesicht“. Die Stimmung sei „sehr bedrückt, | |
| mindestens“. Sie selbst habe, fügt sie mit ironischer Bitterkeit hinzu, | |
| „jetzt gleich die ehrenvolle Aufgabe, eine Schulklasse hier herumzuführen. | |
| Aber eigentlich hab ich dafür gar keinen Kopf.“ | |
| Dass grüne Amtsträger jetzt Lützeraths Ende mitverantworten, stößt | |
| besonders auf. Dass einige vereinzelte Höfe am hinteren Rand der Gemarkung | |
| Lützerath erhalten bleiben, „feiern die Grünen jetzt noch als Erfolg“, | |
| schimpft ein anderer vom Team Mahnwache, „dabei waren diese Höfe ohnehin | |
| nie im genehmigten Betriebsplan III“. Somit würden Habeck, Neubaur & Co | |
| sich etwas ohne Bedeutung gutschreiben. | |
| Michael Zobel sagt, er sei „maßlos enttäuscht“ und erwäge seine grüne | |
| Parteimitgliedschaft aufzukündigen. „Ich ringe noch mit mir.“ An dem „Or… | |
| den Greta Thunberg heiliggesprochen hat“, so der Spiegel über den | |
| [2][Besuch der schwedischen Klimakämpferin] in Lützerath 2021, stünden | |
| jetzt „ausgerechnet die Grünen auf der anderen Seite“. | |
| ## Gradmesser für grüne Glaubwürdigkeit | |
| Wie nachhaltig wird ein Crash zwischen Grünen und der Klimabewegung? Buirer | |
| für Buir, jene Initiative, die 30 Kilometer südlich so aufopfernd und | |
| erfolgreich für den Hambacher Wald kämpfte, schreiben: Lützerath bleibe | |
| Gradmesser für grüne Glaubwürdigkeit. | |
| Halt, ist nicht Antje Grothus eine der Gründerinnen von Buirer für Buir und | |
| jetzt grüne Abgeordnete in Düsseldorf? „Wirklich kein einfacher Tag für | |
| mich. Das hat mich kalt erwischt. Der endlich gesicherte Kohleausstieg 2030 | |
| ist eine gute Nachricht. Für Lützerath haben wir immer gekämpft. Die | |
| Thematik bleibt unglaublich komplex, auch für mich selbst.“ | |
| Todde Kemmerich, lange Jahre im rheinischen Braunkohlekampf aktiv und | |
| Mitglied der Aachener Gruppe Artists for Future, ist empört vor allem über | |
| die grüne Wortwahl: „Das ist kein Meilenstein für den Klimaschutz, sondern | |
| ein Einknicken vor Großkonzernen wie RWE und Co. Dass Bundes- und | |
| Landesministerien mit Rechtslagen, Genehmigungen und Realitäten | |
| argumentieren, ist kaum auszuhalten.“ Entscheidende Realität sei die | |
| anstehende Klimavernichtung. | |
| Auch Kathrin Henneberger, die junge Mönchengladbacher Grünen-Abgeordnete im | |
| Bundestag, früher Sprecherin des Aktionsbündnisses Ende Gelände, schimpft | |
| auf RWE. Dieses sei nicht wirklich verhandlungsbereit gewesen, schreibt sie | |
| auf Twitter. Es gelte weiter, um jede Tonne nicht verbrannte Kohle zu | |
| kämpfen. Und, klar sei sie enttäuscht: „Was bleibt, ist nun den Staub von | |
| meinem Klettergurt zu pusten und weiterzumachen“ – vor allem auch in der | |
| internationalen Klimagerechtigkeitsbewegung. | |
| ## Vermummte auf den Hinterhofwiesen | |
| Alle Dörfer Bleiben, der Zusammenschluss der verbliebenen | |
| Garzweiler-Gemeinden, hat derweil [3][diese Rechnung aufgemacht]: 570 | |
| Millionen Tonnen Kohle sind noch unter den Dörfern, 280 Millionen sollen | |
| nun bleiben. Und der Rest von 290? | |
| Das DIW Berlin hatte kürzlich ausgerechnet, dass für eine 50-Prozent-Chance | |
| auf Erreichen der Klimaziele höchstens noch 70 Millionen Tonnen davon | |
| verfeuert werden dürfen. „Die Grünen lächeln 220 Millionen Tonnen weg“, | |
| dieser „Hinterzimmerdeal“ sei ein Bruch „der Grünen mit der Wissenschaft | |
| und damit auch mit der Klimabewegung“. | |
| Heukamps denkmalgeschützer Hof von 1763 steht seit dem Auszug des Landwirts | |
| nicht etwa leer. Umgehend sind am Wochenende einige Menschen vom | |
| Baumhaus-Camp auf den Hinterhofwiesen eingezogen und posieren kampfeslustig | |
| und teilvermummt in den Fenstern. | |
| Sicher ist: Es wird teuer für Land und Konzern, das Gelände menschenfrei | |
| und abrissfähig zu bekommen. Zudem haben fast zehntausend SympathisantInnen | |
| der Region unterschrieben, sich am Tag X den Baggern entgegenzustellen. | |
| „Wir machen die Räumung zum Desaster“, schreibt Ende Gelände. Michael | |
| Zobel: „Ich mache mir große Sorgen, dass das eskaliert.“ | |
| 5 Oct 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://twitter.com/MaWaLuetzerath/status/1577215124280336389?s=20&t=3v… | |
| [2] /Greta-Thunberg-im-Braunkohlerevier/!5803568 | |
| [3] https://twitter.com/AlleDoerfer/status/1577242920146509825?s=20&t=QAHeF… | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Müllender | |
| ## TAGS | |
| RWE | |
| Braunkohledörfer | |
| Kohleausstieg | |
| GNS | |
| Lützerath | |
| taz Plan | |
| Braunkohledörfer | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Braunkohletagebau | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Fridays For Future | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Drohende Räumung: Auf nach Lützerath | |
| An der Zerstörung des kleinen Dorfes in NRW zeigt sich der ganze Wahnsinn | |
| der deutschen Klimapolitik. Nun gilt es die Räumung zu verhindern. | |
| Faktencheck Lützerath: „Ein Erhalt ist nicht möglich“ | |
| Der Ort Lützerath soll den Kohlebaggern weichen. NRW sagt, die | |
| Versorgungssicherheit sei sonst gefährdet. Stimmt das? | |
| Kohlepolitik in NRW: Wo bleibt die CO2-Minderung? | |
| NRW will acht Jahre früher aus der Kohle aussteigen. Zugleich sollen | |
| Braunkohlekraftwerke länger laufen. Wie man das nennt? Eine unschöne | |
| Mogelei. | |
| Energiepolitik in NRW: Grünes Licht für Kohlebagger | |
| Der Kohleausstieg in NRW kommt 2030 statt 2038. Dafür laufen zwei | |
| Braunkohlekraftwerke länger. Die Grünen versuchen ihre Glaubwürdigkeit zu | |
| retten. | |
| Erweiterung des Kohle-Tagebaus: RWE darf Lützerath weiter räumen | |
| Schlappe vor Gericht für den letzten verbliebenen Landwirt des rheinischen | |
| Orts, der dem Tagebau weichen soll. Die Klimabewegung will protestieren. | |
| Protest in NRW-Braunkohlegebiet: Betend gegen die Bagger | |
| Die Entwidmung von drei bedrohten Gotteshäusern in Keyenberg, Kuckum und | |
| Berverath sollte still erfolgen. Doch daraus wurde nichts. | |
| Braunkohlerevier in NRW: Proteste an der Abrisskante | |
| Am Tagebau Garzweiler ist Demo-Saison. Außerdem gibt es Erfolge bei der | |
| autarken Energieversorgung. Ob die Anwohner bleiben dürfen, bleibt unklar. |