Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Energiepolitik in NRW: Grünes Licht für Kohlebagger
> Der Kohleausstieg in NRW kommt 2030 statt 2038. Dafür laufen zwei
> Braunkohlekraftwerke länger. Die Grünen versuchen ihre Glaubwürdigkeit zu
> retten.
Bild: Qualmen erstmal weiter: RWE-Braunkohlekraftwerk Neurath I und II in Greve…
Nordrhein-Westfalen wird zwei Braunkohlekraftwerke 15 Monate länger laufen
lassen als geplant und den Kohleausstieg von 2038 auf das Jahr 2030
vorziehen. Das haben das Bundeswirtschaftsministerium, das
Landeswirtschaftsministerium NRW und der Energiekonzern RWE am Dienstag
vereinbart. Trotz des vorgezogenen Ausstiegs soll das Dorf Lützerath
abgebaggert werden, um die darunter liegende Braunkohle zu gewinnen.
„Putins Angriffskrieg zwingt uns, vorübergehend stärker Braunkohle zu
nutzen, damit wir in der Stromerzeugung Gas sparen“, sagte
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei der Präsentation der
Vereinbarung. „Das ist schmerzhaft, aber angesichts der Gasknappheit
nötig.“ Die zwei Kraftwerksblöcke Neurath D und E bleiben bis Ende 2024 am
Netz, statt zum Jahresende den Betrieb einzustellen.
Bis Ende 2023 kann die Bundesregierung entscheiden, ob die Kraftwerke bei
Bedarf noch ein Jahr länger im Strommarkt bleiben oder gegebenenfalls in
eine Reserve überführt werden. „Wir haben die Problematik genutzt“, sagte
Habeck mit Blick auf die Vereinbarung mit RWE. Mit dem vorgezogenen
Ausstieg blieben 280 Millionen Tonnen Braunkohle im Boden, sagte er. Das
entspräche einer Menge von 280 Millionen Tonnen CO2, die nicht emittiert
werden.
Wie viel CO2 zusätzlich durch den Weiterbetrieb der beiden
Braunkohlekraftwerke ausgestoßen wird, lasse sich nicht genau beziffern,
hieß es im Bundeswirtschaftsministerium. Das hänge davon ab, wie oft die
Anlagen zum Einsatz kommen. An windstarken Tagen etwa laufen sie nicht.
## Ministerin lädt Aktivist:innen zum Gespräch
Die Vereinbarung sieht vor, dass RWE bis 2030 alle Kohlekraftwerke in NRW
stilllegt. [1][Kompensationszahlungen] über die bereits 2,6 Milliarden Euro
für den ursprünglich 2038 anvisierten Kohleausstieg hinaus sind nicht
vorgesehen. Im Gegenzug zum Ausstieg will RWE [2][neue Gaskraftwerke
bauen], die wasserstofffähig sind. Sie sollen an den Standorten der
Kohlekraftwerke entstehen. „Das ist ein Beitrag zum Strukturwandel“, sagte
RWE-Chef Markus Krebber.
Die Vereinbarung sei ein starkes Signal der Entschlossenheit für
Klimaschutz, erklärte NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur. Aufgrund des
vorgezogenen Ausstiegs erhalten bleiben die Dörfer Keyenberg, Kuckum,
Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath und drei Feldhöfe bei Holzweiler.
Lützerath müsse zwar weichen, aber dafür komme der Kohleausstieg acht Jahre
früher, betonte Neubaur. „Ich verstehe, dass es Widerspruch dazu in den
Reihen der Klimaschutzbewegung gibt“, sagte sie. Sie habe
Aktivist:innen per Brief zum Gespräch darüber eingeladen.
Die Ausführungen von Habeck und Neubaur ähneln dem, was die Grünen-Zentrale
in Berlin am Dienstag in einer Rundmail an die Pressesprecher*innen
der verschiedenen Parteiebenen geschickt hatten, um in der Partei einen
einheitlichen Jubel über die Kohle-Einigung zu orchestrieren. Der Leiter
der Abteilung Digitale Kommunikation zitierte die bevorzugte
Sprachregelung: „Die heutige Einigung ist ein großer Erfolg für den
Klimaschutz“, sollen die Grünen demnach kundtun und betonen, dass „280
Millionen Tonnen klimaschädlicher Braunkohle im Boden und 280 Millionen
Tonnen CO2 aus der Luft“ bleiben.
Und „zu Lützerath spezifisch“: Natürlich hätten sich viele für das Dorf
eingesetzt. Aber RWE besitze nun mal alle Grundstücke und der Abbau ließe
sich nicht mehr stoppen. Immerhin blieben jetzt die Ortschaften des
ursprünglich geplanten dritten Umsiedlungsabschnitts erhalten. „Das ist ein
wichtiger Schritt für die hunderten Menschen im Ort“, so das zentrale
Grünen-Wording.
## „Billiger Versuch“
Die Energieexpertin [3][Claudia Kemfert] vom Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung Berlin widerspricht dem Narrativ der Notwendigkeit.
Aufgrund der aktuellen Energiekrise ist es zwar notwendig, dass für wenige
Jahre die existierenden Kohlekraftwerke stärker ausgelastet werden, sagte
sie. „Nach DIW-Berechnung wäre es dennoch möglich, dass auch der Ort
Lützerath erhalten bleiben kann, da genügend Kohle zur Verfügung stehen
müsste.“
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland [4][(BUND) begrüßt] zwar,
dass es einen konkreten Plan zum vorgezogenen Ausstieg gibt. „Dass es aber
nicht gelingen soll, alle vom Kohleabbau bedrohten Siedlungen zu retten,
ist eine Katastrophe“, sagte BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock.
Die Aktivist:innen von Fridays for Future kritisieren, dass die
Bundesregierung nach wie vor keine weitreichenden Maßnahmen zum
Energiesparen und zur Senkung der CO2-Emissionen ergreift. „Die heutige
Ankündigung war ein billiger Versuch, die Untätigkeit in Sachen
beschleunigte Energiewende und rascher ÖPNV-Ausbau zu verdecken“, erklärt
Darya Sotoodeh von Fridays for Future.
Auch die Linkspartei lehnt die Vereinbarung ab. „Es ist einfach nur
grotesk, dass im Jahr 2022 ein Dorf für die Förderung von Braunkohle
enteignet und abgebaggert wird“, sagte die Vorsitzende der Linkspartei,
Janine Wissler. Diese Entscheidung widerspreche den Klimazielen.
4 Oct 2022
## LINKS
[1] /Entschaedigung-fuer-Kohleausstieg/!5633659
[2] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/energie-rwe-kauft-gaskraftwerk-1.559…
[3] https://www.grenzlandgruen.de/Blog;focus=TKOMSI_com_cm4all_wdn_Flatpress_22…
[4] https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/kommenta…
## AUTOREN
Anja Krüger
## TAGS
Braunkohletagebau
Kohlekraftwerke
CO2-Emissionen
Nordrhein-Westfalen
RWE
Nordrhein-Westfalen
Kohleausstieg
Ampel-Koalition
RWE
Schwerpunkt Klimawandel
Energie
Kohleausstieg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Lützerath als Protestsymbol: Bewegung sucht Energie
Die Klimaaktivist*innen brauchen dringend Erfolge. Doch im Kampf
gegen den Abriss des Dorfes Lützerath lässt sich nicht viel gewinnen.
Deutsch-spanische Konsultationen: Ampel trifft Linksbündnis
Die halbe deutsche Regierung reist zu Gesprächen nach Spanien. Im Fokus
stehen Energie und Sicherheit – aber auch das Klima.
Braunkohleförderung in NRW: Das Dorf kommt weg
Lützerath im Braunkohlerevier Garzweiler wird nun doch abgegraben. In die
Enttäuschung vor Ort mischt sich vor allem Wut auf die Grünen.
Kohlepolitik in NRW: Wo bleibt die CO2-Minderung?
NRW will acht Jahre früher aus der Kohle aussteigen. Zugleich sollen
Braunkohlekraftwerke länger laufen. Wie man das nennt? Eine unschöne
Mogelei.
Unterwegs mit einem Kohlenfahrer: Die Kohle wird knapp
In der Energiekrise erhofft sich manch einer, mit der Gasalternative Kohle
günstiger durch den Winter zu kommen. Doch es wird nicht für alle reichen.
Klimaprotest in Brandenburg: Handgemachter Kohleausstieg
Im Jänschwalde haben Aktivist*innen ein Kohlekraftwerk blockiert. Die
Anlage sollte trotz hoher Emissionen wieder verstärkt betrieben werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.