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# taz.de -- Berlin vor Wahlwiederholung: Wie soll das weitergehen?
> Nach dem De-facto-Urteil des Verfassungsgerichts ist fraglich, wie ein
> Senat im Wahlkampfmodus die Krise meistern soll. Geisel will Senator
> bleiben.
Bild: Einerseits Konkurrentinnen, andererseits auf enge Zusammenarbeit angewies…
Berlin taz | Noch mal wählen? Genauer: nicht neu wählen, sondern die Wahl
zum Abgeordnetenhaus vom 26. September 2021 wiederholen – mit denselben
Kandidatinnen und Kandidaten? Gehofft hatten CDU und Grüne als vermutlich
Nutznießende vielleicht darauf, richtig daran geglaubt aber nicht. Auch am
Tag nach dem offiziell als „vorläufige Einschätzung“ firmierenden
De-facto-Urteil [1][des Berliner Verfassungsgerichts] blieben noch viele
Fragezeichen.
Die zentrale Frage wird sich erst in den nächsten Wochen und Monaten
beantworten lassen: Wie soll die rot-grün-rote Koalition Berlin durch die
Krise führen, wenn [2][die 2021 nur zweitplatzierten Grünen] mit Senatorin
Bettina Jarasch nach neuen Umfragen große Chancen haben, Franziska Giffey
(SPD) als Regierungschefin abzulösen? Giffey mahnte am Donnerstag dazu,
sich auf die Krisenbewältigung zu konzentrieren. Jarasch äußerte sich
ähnlich und warnte vor einer „gegenseitigen Wahlblockade“.
Bei der schon vom Tagungsort – dem Hörsaal B.001 der Freien Universität in
Dahlem mit fast 600 Plätzen – außergewöhnlichen mündlichen Verhandlung
hatte das höchste Berliner Gericht am Mittwoch klar gemacht, dass es eine
komplette Wahlwiederholung anpeilt. Laut Gerichtspräsidentin Ludgera
Selting kann sich diese Haltung zwar noch ändern, aber nur „an der einen
oder anderen Stelle“. Grundsätzlich steht also eine Wiederholung der Wahlen
zum Abgeordnetenhaus und zu den zwölf Bezirksverordnetenversammlungen außer
Frage. Nicht betroffen ist der Volksentscheid zur Enteignung großer
Immobilienbesitzer, der 2021 ebenfalls anstand.
## Umfrage sieht Grüne weit vor SPD
Giffey und Jarasch – die bei jetzigen Neuwahlen ihre Nachfolgerin würde –
hatten sich nach dem Urteil zunächst nicht geäußert. Beide waren allerdings
anderweitig stark eingebunden – Giffey bei der Ministerpräsidentenkonferenz
zur Energiekrise, Jarasch bei einem Auslandstermin in Budapest.
Umso heftiger preschte Grünen-Landeschef Philmon Ghirmai vor, der die
Verhandlung selbst im Uni-Hörsaal verfolgt hatte. Der verschickte noch am
Mittwochnachmittag eine Pressemitteilung: „Berlin hat eine Führung
verdient, die diese Stadt fit für die Zukunft macht“, schrieb er. Im
landespolitischen Berlin sahen die meisten das als Quasi-Wahlkampfauftakt
an. Die Attacke Richtung Koalitionspartner ging noch über die barsche
Kritik der Linkspartei hinaus, die sich allein auf SPD-Senator Andreas
Geisel konzentrierte und ihm vorhielt, die damals von ihm geführte
Innenverwaltung habe „sehendes Auges versagt“.
Grundlage für die grüne Kampfansage ist merklich die [3][jüngste Umfrage].
Die sieht die Partei von Jarasch bei 22 Prozent, knapp vor der CDU, aber
weit vor der auf 17 Prozent zurückgefallenen SPD. Bei der
Abgeordnetenhauswahl vor einem Jahr waren die Sozialdemokraten noch mit
21,4 Prozent stärkste Kraft vor Grünen und CDU mit 18,9 und 18 Prozent
gewesen. Giffeys Beliebtheitswerte sind ebenfalls eingebrochen.
Mit einem Tag Abstand äußerten sich die beiden führenden Politikerinnen am
Donnerstag schließlich. „Mit der Entscheidung des Gerichts werden wir
verantwortungsvoll und professionell umgehen und diese respektieren“, sagte
Giffey auf taz-Anfrage. Sie schloss damit aus, dass der von ihr geführte
Senat beim Bundesverfassungsgericht gegen eine Wahlwiederholung vorgeht.
„Meine Aufgabe als Regierende Bürgermeisterin ist es, die Berlinerinnen und
Berliner gut durch diesen Herbst und Winter zu bringen und die Energiekrise
in unserer Stadt zu bewältigen.“ Offen ließ sie dabei, wie das in der
rot-grün-roten Koalition im Wahlkampfmodus konkret klappen soll.
Auch Jarasch äußerte sich eher staatstragend und weit zurückhaltender als
ihr Landesvorsitzender Ghirmai am Mittwoch. „Wir sollten nun
verantwortungsbewusst weiterarbeiten“, sagte sie, „das Letzte, was die
Berlinerinnen und Berliner jetzt brauchen, ist gegenseitige
Wahlkampfblockade.“
Bei Jarasch und auch bei Klaus Lederer als führendem Kopf der Linkspartei
im Senat ist durchaus anzunehmen, dass beide die Verantwortung des Amts
tatsächlich über die Partei stellen. Dass sie bewusst gegen
Regierungschefin Giffey arbeiten, ist nicht vorstellbar – zumal beide
anders als Giffey nicht zugleich Parteivorsitzende sind. Auf Mäßigung
[4][drängte auch der führende Rechtspolitiker der Linkspartei, der
Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg].
## Spätester Wahltermin wäre der 28. März
Wann es erneut an die Urne geht, ist weiter offen. Zwischen Verhandlung und
Urteilsverkündigung sollen laut Gesetz maximal drei Monate, zwischen Urteil
und Wahl höchstens 90 Tage vergehen. Spätester Wahltermin wäre dann der 28.
März. CDU-Generalsekretär Stefan Evers ging gegenüber der taz von einem
Termin Ende Januar oder im Februar aus, bei dem die entscheidenden letzten
vier Wochen des Wahlkampfs nach Weihnachten und Neujahr lägen.
Evers hatte noch am Mittwoch den Rücktritt des jetzigen
Stadtentwicklungssenators Geisel gefordert. Den traf er abends bei einem
Leserforum der Morgenpost, wo Geisel einen Rücktritt klar ablehnte. „Was
würde es besser machen, wenn ich zurücktrete?“, sagte Geisel dort der
Morgenpost zufolge. Er habe bei der Wahl 2021 nicht die Fach-, sondern die
Rechtsaufsicht gehabt. Zudem habe er selbst für das Abgeordnetenhaus
kandidiert – „ich hätte nicht eingreifen dürfen.“ Für die SPD waren die
Rücktrittsforderungen gegen ihren Senator am Donnerstag offiziell kein
Thema: „Dazu gibt es nichts zu sagen“, hieß es von der Pressestelle des
Landesverbands.
29 Sep 2022
## LINKS
[1] https://www.berlin.de/gerichte/sonstige-gerichte/verfassungsgerichtshof/
[2] http://Mit%20der%20Entscheidung%20des%20Gerichts%20werden%20wir%20verantwor…
[3] https://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/berlin.htm
[4] /Wiederholung-der-Wahlen-in-Berlin/!5884871
## AUTOREN
Stefan Alberti
Bert Schulz
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