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# taz.de -- Debatte über 9-Euro-Ticket: Berlin fährt schon mal los
> Rot-Grün-Rot will auf eigene Faust eine Nachfolgelösung für das
> 9-Euro-Ticket in Berlin bis Dezember. Das ist ein schlauer (Schach-)Zug.
Bild: Abgefahrene Idee, das 9-Euro-Ticket – hätte man der FDP gar nicht zuge…
Wenn die Berliner SPD mit Vorschlägen kommt, wie man dem grünen
Finanzsenator Daniel Wesener ein bisschen Geld aus seiner ganz gut
gefüllten Schatulle luchsen kann, sollte man vorsichtig sein: Natürlich
haben die Sozialdemokraten in solchen Fällen ein nicht zu geringes
Eigeninteresse. Das gilt auch für den Vorschlag der Partei, [1][das
9-Euro-Ticket] nur in Berlin bis zum Jahresende zu verlängern. Kostenpunkt:
mehrere hundert Millionen Euro.
Die SPD weiß natürlich, dass die Grünen als vollmundige Unterstützer des
ÖPNV dieser Idee trotz der hohen Kosten wenig entgegensetzen können – zumal
das Ticket zumindest [2][in größeren Städten sehr populär ist.] Doch nicht
nur vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass sich auch die Grünen beim
Koalitionstreffen am Freitag dazu durchgerungen haben, den SPD-Vorstoß
grundsätzlich zu unterstützen. Auch wenn noch nicht klar ist, ob es jetzt
ein 9-Euro-Ticket, ein 19-Euro-Ticket oder ein 29-Euro-Ticket von Oktober
bis Dezember wird.
Denn die Debatte um die Zukunft des All-Inclusive-Tickets ist noch lange
nicht gelaufen. Im Gegenteil: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP)
weigert sich in für seine Partei recht untypischer Weise, die eigene
erfolgreiche Idee fortzuführen. Er wolle prüfen, wie und wo die
Rundumsorglos-Karte für den Nahverkehr in Deutschland funktioniert habe. Da
die FDP so manch anderen Nonsens ohne großes Nachdenken forciert oder
Sinnvolles ausbremst (Tempolimit!), ist [3][Wissings Vorgehen klassische
Verzögerungstaktik.]
Für die nächsten Tage sind in Berlin zahlreiche Proteste gegen die
Streichung des 9-Euro-Tickets angekündigt. Und letztlich ist eine nur in
Berlin geltende Fahrkarte dieser Art erstmal auch nichts anderes als ein
starkes politisches Signal in Richtung Wissing, schnell eine eigene
Anschlusslösung vorzulegen oder sich einer der vielen vorliegenden Ideen
anzuschließen. Das will die Koalition nun offenbar abwarten – aber notfalls
wäre es angebracht, eine eigene Lösung ohne Entscheidung des Bundes
voranzutreiben.
Es gibt noch ein weiteres starkes Argument für die Verlängerung des
Tickets: die soziale Komponente der Fahrkarte angesichts eines sich
abzeichnenden Winters mit stark steigenden Kosten für Heizung und andere
Teile der Grundversorgung. Vor allem Menschen der unteren Mittelschicht,
die nicht reich sind, aber (bisher) auch keine Transferleistungen bekommen,
sind besorgt und wohl auch betroffen. Für jene Berliner*innen stellt
ein Ticket dieser Art eine sicht- und spürbare finanzielle Entlastung dar.
## Das Ticket ist eine Erleichterung für Viele
Spürbar, weil jene, die bereits Monatsticket für BVG und S-Bahn besitzen,
noch einmal viel Geld sparen. Und sichtbar, weil es eine klar von der
Politik zu kommunizierende Hilfe für die Bürger*innen in den zu
erwartenden harten Wintermonaten und angesichts [4][ungerechter Gesetze wie
der Gasumlage darstellt] – ganz anders als die letztlich etwas hilflos
anmutenden Appelle von Politiker*innen, beim Duschen zu sparen oder
Waschlappen zu benutzen. Das Ticket erreicht viele, und das ist in der
jetzigen Situation richtig.
Zudem stellt es für jene, die keine Monatskarten der BVG haben, einen
echten Anreiz dar, das Auto stehen zu lassen und damit Geld zu sparen, und
für jene, die kein eigenes Fahrzeug besitzen, eine Möglichkeit, preiswert
mobil zu sein. In großen Städten, erst recht in Berlin, braucht man kein
Auto: Das ist die Botschaft des 9-Euro-Tickets, und es ist schön, dass auch
die SPD das verstanden hat. Denn nur mit dieser Argumentation kann man
perspektivisch die parkenden Blechkolonnen an und auf den Straßen
reduzieren. Die Grünen sollten sich ihr nicht verschließen.
Natürlich ist die Idee des Tickets – egal ob für 9, 19 oder 29 Euro – nic…
perfekt. Aber die Entwicklung der Debatte seit Mai zeigt: Das Ticket ist
besser als vieles andere, weil es simpel ist. Zu Beginn lehnten es auch
viele progressive Verkehrsexpert*innen ab und forderten, die dafür
nötigen 2,5 Milliarden Euro lieber für den Ausbau des ÖPNV zu verwenden.
Inzwischen ist die Unterstützung auch in diesen Kreisen deutlich gestiegen.
Macht den Nahverkehr preiswert, und der Rest wird folgen.
27 Aug 2022
## LINKS
[1] /Nachfolge-fuer-9-Euro-Ticket/!5866833
[2] /9-Euro-Ticket-und-Lindner/!5870327
[3] /Anschlussprojekt-zeitlich-unmoeglich/!5870590
[4] /Ungerechte-Gasumlage/!5873488
## AUTOREN
Bert Schulz
## TAGS
Wochenkommentar
Berlin
Verkehrspolitik
9-Euro-Ticket
ÖPNV
Verkehrswende
9-Euro-Ticket
Hamburg
Christian Lindner
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Verkehr
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