# taz.de -- Petition der Woche: Wer übernimmt die Verantwortung? | |
> Von den 50ern bis in die 80er wurden in BRD und DDR Millionen Kinder in | |
> Kur geschickt, viele erfuhren dort Gewalt. Eine Petition fordert | |
> Aufarbeitung. | |
Bild: Anja Röhl, Initiatorin der Petition, auf Borkum, wo es zeitweise 30 Kind… | |
Vertröstet und versetzt – so fühlt sich Anja Röhl, Initiatorin der | |
[1][Petition] „zur Aufarbeitung der Misshandlungen der Verschickungskinder“ | |
an Familienministerin Lisa Paus. Etwa acht Millionen Kinder wurden seit | |
Beginn der 1950er bis Ende der 1980er Jahre quer durch die BRD zur Erholung | |
in spezielle Kinderkurheime geschickt. Viele der verschickten Kinder waren | |
dort Prügel und Demütigungen ausgesetzt und erlitten [2][schwere psychische | |
Schäden]. Auch in der DDR gab es [3][Kinderkuren], ein noch kaum bekanntes | |
Thema. | |
Röhl, die selbst zweimal verschickt wurde, hat im Frühjahr ein Buch zum | |
Thema veröffentlicht. Sie lancierte die Petition, nachdem das | |
Bundesfamilienministerium bei einem Treffen im Juli abgelehnt hatte, sich | |
mit dem Thema zu befassen. Es begründete dies laut Röhl damit, dass für die | |
Verschickungen „allein die Länder verantwortlich“ gewesen seien. | |
Innerhalb kürzester Zeit unterzeichneten fast 40.000 Menschen den Aufruf | |
für eine gesellschaftliche „Anerkennung des Leids“ der Verschickungskinder | |
und eine wissenschaftliche Aufarbeitung der organisatorischen Strukturen | |
und medizinisch-pädagogischen Vorgaben, die das Kinderverschickungssystem | |
möglich gemacht haben. Zudem wollen die Initiator:innen, dass im | |
Bundestag eine Anhörung zu diesem Thema stattfindet. | |
Die [4][Initiative] fordert keine individuelle Entschädigung, sondern | |
finanzielle und logistische Unterstützung bei der Einrichtung von | |
Forschungsprojekten, psychologischen Beratungsstellen und bei der | |
Bewältigung „der ehrenamtlichen Arbeit, die alleine nicht mehr zu schaffen | |
ist“, sagt Röhl. Es brauche ein Dokumentationszentrum, eine Stiftung und | |
eine Geschäftsstelle zur Koordination der Aktivitäten, allein die Flut der | |
Zuschriften sei nicht mehr von Einzelnen zu bewältigen. | |
Über 7.000 ehemalige Verschickungskinder haben auf der Seite der Initiative | |
über ihre Erfahrungen berichtet. Unter dem Dach der Initiative sind | |
zahlreiche Heimort- und Ländergruppen, Selbsthilfe- und Recherchegruppen | |
entstanden. In Nordrhein-Westfalen gab es eine Anhörung im Landtag, in | |
mehreren Bundesländern wurden wissenschaftliche Untersuchungen in Auftrag | |
gegeben. | |
Dass der Bund eine „Verantwortungsübernahme“ ablehnt, empört Röhl. „Die | |
Verschickungen waren ein bundesweit verzahntes Unterfangen“, sagt sie auf | |
Nachfrage der taz, „sie wurden länderübergreifend organisiert. Eine | |
Entsendestelle in Schleswig-Holstein verschickte Kinder nach Bayern und | |
umgekehrt: Sonderzüge der Bahn transportierten in den Jahren 1963 bis 1976 | |
jährlich über 250.000 Kinder kreuz und quer durch die Bundesrepublik, | |
bezuschusst wurden die Fahrten vom Bund, gesetzlich flankiert durch die | |
staatliche Sozialgesetzgebung.“ | |
Röhl hält eine Drittelung der Kosten bei der Aufarbeitung zwischen Bund, | |
Ländern und den Trägerorganisationen für angemessen. „Die Kuren waren für | |
die Träger eine willkommene Einnahmequelle. Unsere Recherchen ergeben ganz | |
klar: Es war ein System – der Bund fungierte als Geldgeber, die Länder | |
hatten die Heimaufsicht, und Träger der Heime (von Kirche bis | |
Arbeiterwohlfahrt und viele andere) tragen gemeinsam die Verantwortung | |
dafür.“ | |
27 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.change.org/p/unterst%C3%BCtzen-sie-die-aufarbeitung-der-misshan… | |
[2] /Kuraufenthalte-von-Kindern/!5818643 | |
[3] /Kinderkuren-in-der-DDR/!5866907 | |
[4] https://verschickungsheime.de/ | |
## AUTOREN | |
Sabine Seifert | |
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